“Egal wie unglücklich eine Person ist – sie kommt nicht hier rein, um noch unglücklicher zu werden”, sagt Christoph Busch über seinen Zuhör-Kiosk. Vor vier Jahren eröffnete er ihn direkt am Gleis der U-Bahn-Station Emilienstraße. Ein Besuch.
Ein Beitrag von Elena Bock, Lilly Brosowsky und Mia Holland.
Alle vier Minuten, mit jeder ein- und ausfahrenden Bahn, weht sie im Wind: Die Flagge am Kiosk der U-Bahn-Haltestelle Emilienstraße. Darauf abgebildet ist kein knallbuntes Logo einer Eisfirma, sondern ein schlichter Schriftzug: “Ich höre Ihnen zu. Jetzt gleich oder ein anderes Mal”, steht auf der Fahne geschrieben. Gleich daneben blickt Christoph Busch durch die Scheibe des Häuschens auf die Gleise der Station und wartet auf seinen Einsatz: Vorbeikommenden zuzuhören.
Zu Besuch im Zuhör-Kiosk
Der Mann in der kleinen Stube in der Mitte des Bahnsteigs ist den Fahrgästen nicht unbekannt: Sie grüßen, lächeln und halten trotz Zeitdruck kurz inne, um ein paar Worte auszutauschen.
Unter der Erde, mitten im Trubel, haben Christoph Busch und sein Team einen Ort der Entschleunigung geschaffen. Einen Ort der Stille, der Menschen dazu einlädt, sie mit Worten zu füllen. FINK.HAMBURG hat Busch und seinem Zuhör-Kiosk einen Besuch abgestattet und die besondere Stimmung eingefangen.
“Irgendwann habe ich nicht mehr geschrieben, sondern nur noch zugehört”
Christoph Busch ist Drehbuchautor. Das leerstehende Kioskgebäude in der Mitte des Bahnsteigs sollte 2017 seine Schreibstube werden. Dort wollte er sich vom alltäglichen Treiben der Haltestelle inspirieren lassen. Doch geschrieben hat er seitdem kaum.
Von Beruf aus Geschichtensammler, kam ihm im Januar 2018 eine Idee: Warum nicht die Leute selbst erzählen lassen? Busch bastelte ein Schild und musste nicht lange warten: Die Leute kamen. Und mit ihnen die Geschichten.
“Irgendwann habe ich nicht mehr geschrieben, sondern nur noch zugehört”, erzählt Christoph und bei jedem Satz, den er über seinen Kiosk spricht, wird sein Gesicht ganz weich. Man merkt es sofort: Christoph liebt was er tut – und das, obwohl seine Gäste nicht selten sehr traurige Geschichten mit in den Kiosk bringen.
“Mit Glück kann man überall hingehen. Mit Unglück nicht”, sagt Christoph. Sein Umgang mit den Schicksalen seiner Gäste ist simpel: “Wir können eigentlich immer davon ausgehen, egal wie unglücklich die Person ist, sie kommt nicht hier rein, um noch unglücklicher zu werden. Das macht einem sehr viel Mut.” Und er fügt hinzu:
Eigentlich müssten es Helden- und keine Leidensgeschichten sein.
Eine Freundschaft auf Zeit
Viele Menschen kommen wieder – und erzählen Christoph von überwundener Krankheit, von ihren Tinder-Dates oder der neuen großen Liebe. Der Innenraum des Kiosks gleicht einem kleinen Museum: Fotos, Andenken und Dankeschöns schmücken die Fenster zum Bahnsteig – und bringen wiederum Menschen dazu, neugierig stehen zu bleiben.
Heute arbeiten im Zuhör-Kiosk 20 Freiwillige. Besonderes Talent oder eine Ausbildung sei dafür nicht nötig, so Christoph. Auf die Augenhöhe käme es an. Und genau die unterscheidet die Gespräche im Kiosk auch von einer Therapiesitzung: “Ich reagiere so, als wäre ich ein Freund. Und für den Moment bin ich es dann auch”, sagt Christoph und lächelt. Professionelle Distanz braucht es entsprechend nicht.
Christoph Busch und die restlichen Ehrenamtlichen hören geduldig zu. Am Ende sind es aber die Erzählenden selbst, die mit einer großen Portion Mut den ersten Schritt durch die Kiosk-Tür treten – und zu heimlichen Held:innen werden.