Wenn Wissenschaft Brücken schlägt: Die ukrainische Wissenschaftlerin Dr. Maria Fedoruk forscht nach ihrer Flucht an der HAW Hamburg. Von ihrem Mann getrennt, lebt sie mit Mutter und Sohn in Bergedorf und schöpft neue Kraft aus ihren Wissenschaftsprojekten.
Eine junge Frau mit offenem Blick und kurzen braunen Haaren öffnet die Tür eines Einfamilienhauses am Rande Bergedorfs. In der Wohnung im Obergeschoss, in der Maria Fedoruk mit ihrem zweijährigen Sohn Luka und ihrer Mutter Zinaida wohnt, riecht es süßlich herb. Der erste Eindruck – ziemlich leer hier. Ein Spiegel, ein rot gemusterter Teppich und ein großer Schrank für Jacken, viel mehr gibt es im Eingangsbereich nicht.
Maria gibt erstmal eine Wohnungstour: Sie zeigt das Wohnzimmer, in dem sie zusammen mit Luka auf der ausziehbaren Couch schläft, die schmale Küche, das braun geflieste Bad, das Schlafzimmer, in dem Zinaida schläft und das kleine Esszimmer – ein quadratischer Raum mit einem Holztisch, vier gelben Stühlen drum herum und einer Vase mit lila Tulpen, die sie von ihrem Vermieter zum Geburtstag bekommen hat. Im April ist sie 35 geworden. Maria trägt eine Kanne Kräutertee und eine kleine Schale mit Keksen in den Raum und stellt sie auf den Tisch. „Pechyvo! Pechyvo!” („Kekse“ auf Ukrainisch) ruft Luka ganz aufgeregt, kurz bevor er mit seiner Oma zu einem Spaziergang aufbricht.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine macht sich auch in Hamburg bemerkbar. FINK.HAMBURG hat dazu in der Serie “Ukraine in Hamburg” Reportagen und Porträts von Betroffenen zusammengestellt. In der Schule und im Ballett, unterwegs mit einer geflüchteten Influencerin und einem Tennisprofi aus Kiew – FINK.HAMBURG zeigt unterschiedliche Herausforderungen und Perspektiven, die mit dem Krieg zusammenhängen.
Ehemann Igor ist noch immer in Iwano-Frankiwsk
Maria Fedoruk und ihre kleine Familie sind direkt nach dem Kriegsausbruch Ende Februar aus der Ukraine geflohen. Seit dem zehnten März sind Oma, Mutter und Sohn nun in Hamburg vereint. Ihr Mann Igor lebt und arbeitet weiterhin in ihrer Heimatstadt Iwano-Frankiwsk, etwa 130 Kilometer südlich von Lwiw. Maria ist Umweltökonomin und forscht in den Bereichen Ressourceneffizienz, Abfallwirtschaft, nachhaltige Städte und Kreislaufwirtschaft. Zuletzt arbeitete sie an der Nationalen Universität für Forstwirtschaft in Lwiw und bei der NGO Teple Misto, wo sie das Circular Economy Programme koordinierte. Über ihre wissenschaftliche Karriere verschlug es sie auch schon einmal nach Hamburg. 2017 unterstützte sie als PhD-Studentin ein Forschungsprojekt von Prof. Dr. Walter Leal, Leiter des Forschungs- und Transferzentrums „Nachhaltigkeit und Klimafolgenmanagement” der HAW Hamburg, am Life Science Campus in Bergedorf.
Professor Leal ist nicht nur Marias langjähriger Kollege, sondern auch ein wichtiger Verbündeter für ihre „temporäre Umsiedlung”, wie Maria es gern nennt. Leal ist an der HAW Hamburg am Department Gesundheitswissenschaften und als Prodekan für Forschung und Internationales tätig. Er ist Herausgeber zahlreicher internationaler Fachpublikationen und agiert als Review Editor für den Weltklimarat. Zusammen haben er und Maria bereits mehrere wissenschaftliche Artikel veröffentlicht.
Dank der Wissenschaftsbrücke nun in Hamburg
Nach Ausbruch des Krieges hat Leal schnell gehandelt und Anfang März die sogenannte Wissenschaftsbrücke ins Leben gerufen, um gefährdeten Wissenschaftler*innen, nicht nur aus der Ukraine, eine Anlaufstelle zu bieten. Über das Programm können sie sich melden und je nach Qualifikation und Fachrichtung in Hamburg, Deutschland oder auch dem Europäischen Ausland an Hochschulen vermittelt werden. Zusätzlich bestehen Chancen auf Stipendien, die unter anderem durch das Hamburg Programm „Scholars At Risk“ vergeben werden. Dieses Programm wurde durch die Hamburgische Wissenschaftsbehörde Anfang März mit 100.000 Euro unterstützt. Maria Fedoruk hat ihr Stipendium durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt erhalten.
Als Professor Leal sich am dritten Tag nach Kriegsausbruch bei ihr meldete und anbot, nach Hamburg zu kommen, war Maria gerade mit ihrem Sohn Luka bei der Schwiegermutter in Norditalien. Nach einer sehr langen Autofahrt durch die Berge der Slowakei war Italien der erste Schritt in Richtung Sicherheit. Die Abreise verlief dank der Vorbereitungen von Marias Mann zwar reibungslos – er hatte bereits Taschen gepackt, Dokumente bereitgelegt und Verpflegung eingekauft – aber trotzdem sehr emotional.
Zwölf Stunden warten an der Grenze
Mit dem Auto begleitete Igor seine Familie bis zur slowakischen Grenze, dann hieß es Abschied nehmen. Für Marias Sohn war es besonders schwer. Luka, der sonst ein sehr aktives und aufgewecktes Kind sei, sei plötzlich ganz still gewesen, “als hätte er verstanden wie ernst die Situation war”. Nach stundenlangem Warten, konnten Maria und ihr Sohn die Grenze überqueren. Ein Moment des Aufatmens. Die Angst, bombardiert zu werden, habe aber noch eine ganze Weile angehalten, erzählt sie und trinkt einen Schluck Tee.
Die Fedoruks blieben insgesamt zwei Wochen in Italien. Diese Zeit beschreibt Maria als sehr intensiv und nervenaufreibend. Luka war krank und musste sich erholen. Maria befand sich in einem Strudel aus Sorgen machen, Kind versorgen und Nachrichten verfolgen. Erst nachdem sie nach Hamburg geflogen waren, Professor Leal sie vom Flughafen abgeholt hatte und sie in ihrer ersten Unterkunft angekommen waren, wurde “mir bewusst, wie erschöpft ich wirklich war”, sagt Maria.
In der Nacht ihrer Flucht musste die 35-Jährige dann noch für sich selbst packen. Doch woran denkt man in so einer Situation? “Wenn man die Wahl zwischen einer zweiten Hose für sich selbst und zehn Büchern für sein Kind hat, entscheidet man sich für Letzteres.” Auch ihre traditionell bestickten Blusen musste Maria erstmal zurücklassen. Doch zum Glück konnte ihre Mutter ihre zwei Lieblingsblusen ein paar Wochen später mit nach Hamburg bringen – für Maria ein “großes Stück Heimat”.
In Hamburg eine neue Heimat finden
Spätestens nach den ersten Tagen in Hamburg, begannen sich auch Schuldgefühle bei der jungen Mutter einzuschleichen. Warum darf ausgerechnet sie in Sicherheit sein? Und so viele andere nicht? Mittlerweile sind es über zwei Monate, die die drei – Maria, Luka, und Zinaida – in Hamburg leben. Es ist nicht immer einfach, aber die Familie erfährt sehr viel Solidarität und Unterstützung. Die Wohnung, in der sie untergekommen sind, wird Stück für Stück heimeliger. Maria sagt, dass es ihr besonders hilft, ihre Mutter als Unterstützung dazuhaben.
Der 70-jährigen Zinaida mag es wohl am schwersten gefallen sein, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Sie wollte Iwano-Frankiwsk erst gar nicht verlassen. Jetzt bemüht sie sich, sich an die Bruchstücke aus dem Deutschunterricht von damals zu erinnern und kocht ukrainische Gerichte, die Maria an ihre Kindheit erinnern. Auch Luka geht es immer besser. Wenn er fragt, warum sie nicht dahin können, wo sein Papa lebt, versucht Maria zu erklären, dass Bösewichte in ihrem Land seien und einige Superhelden – wie sein Vater – dort bleiben müssten, um sich ums Land zu kümmern. Der tägliche Kontakt mit seinem Papa und die Kita, die er in Bergedorf halbtags besucht, helfen ihm sehr, sich in der Situation zurechtzufinden.
Wenn Wissenschaft Brücken schlägt
Maria betont immer wieder, wieviel Glück sie habe und wie dankbar sie für all die Hilfe sei. Von ihrer ukrainischen Kollegin, die ihre Mutter mit dem Auto nach Deutschland mitgenommen hat, über Professor Walter Leal, der sie von Tag eins unterstütze und auch ihre neuen Kolleg*innen, die ihr bei Behördengängen und der Organisation von Waschmaschine und Spielzeug geholfen haben – “der Support ist unglaublich”, sagt Maria. Gern beschreibt sie die Universität auch als “Mafia”, als große Familie, in der alle Mitglieder füreinander da sind. “Die Universität war die Hand, die ich ergreifen konnte und die mir half, auf eine Bank zu klettern und wieder normal zu atmen.” Neben der Sicherheit für ihren Sohn, liegen ihr auch ihr beruflicher Werdegang und die Forschung besonders am Herzen.
Im Moment arbeitet Maria an Vorschlägen für neue Forschungsprojekte, um sich weiterhin für ihr Stipendium zu qualifizieren. Hinzu kommt ein bereits bestehendes Projekt von Professor Leal, dem sie sich anschließen konnte. Gemeinsam forschen sie nun zum Thema “Ecological impact of Russian war in Ukraine”. Hier in Hamburg besucht sie Demonstrationen, um das Gefühl zu haben, helfen zu können. Maria bemüht sich, ihren Kopf möglichst viel und lange zu beschäftigen. Leider gelingt es nicht immer, sagt sie, vor den Alpträumen zu fliehen. “Nachdem ich Bilder aus Mariupol oder Butscha gesehen habe, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen.”
Am meisten aber träumt sie von einer gemeinsamen Reise mit ihrem Mann. Sie hatten bereits für diesen Sommer geplant mit einem Camper-Van durch Europa zu fahren. In Telefonaten malen sie sich aus, diese Reise schon ganz bald Wirklichkeit werden zu lassen. Die ursprünglich geplanten drei Monate sollen dann aber auf jeden Fall verlängert werden. Sie können es alle kaum erwarten, sich endlich wieder in den Armen zu halten. “Der Gedanke daran, nur vorübergehend umgesiedelt zu sein, gibt mir Hoffnung”, sagt Maria.
Wichtige Anlaufstellen der Wissenschaftsbrücke Hamburg
Die Hamburger Wissenschaftsbrücke, ein Zusammenschluss der Hamburger Wissenschaftsbehörde und unterschiedlicher Hochschulen, soll es Forschenden und Studierenden aus der Ukraine und dem russischen Wissenschaftssystem ermöglichen, ihre Arbeit bzw. ihr Studium in Sicherheit fortzusetzen.
Hier eine Übersicht über die Hilfsangebote des Programms für Wissenschaftler*innen und Studierende:
Hilfe für Forschende
Hamburg Programme Scholars at Risk: für gefährdete Forschende
HIAS_Fellowship: für ukrainische Wissenschaftler*innen oder Kultur- und Kunstschaffende
Scientific Visitor Programme: Stipendien des European Molecular Biology Laboratory
Bundesweite Angebote
DAAD: Unterstützungsangebote für ukrainische Studierende, Wissenschaftler*innen
Hilfe für Studierende
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg: Hilfs- und Lehrangebote der HAW
#UHHhilft: Hilfsangebote der Universität Hamburg
Hochschule für bildende Künste Hamburg: Vereinfachtes Bewerbungsverfahren für ukrainische Bewerber*innen
Hochschule für Musik und Theater: #StandWithUkraine Benefizkonzerte; Unterstützung für ukrainische Studierende
Technische Universität Hamburg: Unterstützung für Studierende in Notsituationen
Bucerius Law School: Stipendien für ukrainische Bewerber*innen