In der Flüchtlingsambulanz im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) werden Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung behandelt – mit Kunsttherapie gegen Kriegstraumata. Warum das hilfreich ist, erklärt die ärztliche Leiterin Areej Zindler.

Titelbild: Julian Khodadadegan

Am Haupteingang des Universitätsklinikums Eppendorf ist viel los. Auf dem weitläufigen Klinikgelände verliert sich der Trubel irgendwann in schmale und tief verästelte Seitenstraßen. An einer von ihnen steht das zweistöckige Haus, in dem die Flüchtlingsambulanz untergebracht ist – eine Einrichtung, die bereits 1998 in dieser Form existiert. Dr. Areej Zindler, Kinder- und Jugendpsychiaterin, leitet die Einrichtung und koordiniert Therapie- und Beratungsangebote.

Insgesamt 14 Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Kunstherapeut*innen sowie Pädagog*innen behandeln hier Kinder und Heranwachsende mit Fluchterfahrung und bieten auch Familienuntersützung an. Hinzu kommt ein Netzwerk aus Dolmetscher*innen. Diese übersetzen für die Patient*innen, die unter anderem aus Somalia, Syrien und Afghanistan stammen. Seit dem russischen Angriffskrieg kommen auch aus der Ukraine geflüchtete Menschen hinzu. Bei Traumatisierungen ist eine frühzeitige Behandlung wichtig. Wenn erst einmal viel Zeit für den Spracherwerb vergeht, so Zindler, bis Geflüchtete im Rahmen einer Psychotherapie oder Beratung über ihre Erfahrungen sprechen können, können diese sich zu einer Erkrankung chronifizieren.

Kriegstrauma bei Kindern

Die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeitet seit 2003 in der Flüchtlingsambulanz und übernahm hier 2016 die ärztliche Leitung. „Wir passen unsere Unterstützung individuell an die Patient*innen an“, sagt sie. Es komme immer darauf an, was sie erlebt haben: „Dazu gehören neben Verlust und Trauer auch Schuldgefühle und Gewalterfahrungen. In der Flüchtlingsambulanz bieten wir Einzel- und Gruppentherapien an und wenn nötig, auch Medikation. Zudem gibt es Unterstützung durch pädagogische Fachkräfte und Familienberatung.“

Das Therapie- und Beratungsangebot der Flüchtlingsambulanz richtet sich an Kinder und Heranwachsende bis einschließlich 21 Jahren. Diese Grenze lässt sich laut Zindler aber nicht so leicht ziehen: „Bei der Therapie von Kindern muss man die Eltern immer einbeziehen. Kinder verarbeiten die Fluchterfahrungen und Traumata in der Regel besser. Wenn ihnen frühzeitig eine Struktur angeboten wird, dann kommen sie hier an und finden sich im Leben zurecht.“

Im Obergeschoss stehen Vitrinen auf dem lichtdurchfluteten Flur. Darin stehen Tonfiguren und Plastiken, von denen manche rot, braun und schwarz bemalt sind. Sie wurden während der Kunsttherapie von Kindern und Jugendlichen angefertigt. Einige Werke zeigen Beziehungskonstellationen während der Flucht, andere geben dem Leid und den Gefahren, denen sie ausgeliefert waren, ein Gesicht.

Die Kunsttherapie ist eine Besonderheit in der Flüchtlingsambulanz, da sie nicht zum Behandlungsspektrum einer jeden psychotherapeutischen oder psychiatrischen Praxis gehört. Für Areej Zindler bietet diese Therapieform einen entscheidenden Vorteil bei der frühzeitigen Behandlung: „Die Kunsttherapie eignet sich besonders für Kinder, die noch gar nicht oder wenig sprechen, weil sie nonverbal funktioniert.“ Auch für Erwachsene kann es leichter sein, belastende Erlebnisse und damit verbundene Emotionen kreativ zum Ausdruck zu bringen.

Neues Leben, unsichere Perspektive

Erwachsene haben es laut Zindler häufig schwerer als ihre Kinder. Die Traumatisierung liege im schlimmsten Fall länger zurück und sie seien in einer anderen Umgebung aufgewachsen: „Für die Eltern ergibt sich oft eine völlig neue Situation: Nichts ist mehr so, wie es vor der Flucht war. Zudem besteht Unsicherheit darüber, wie es in Deutschland weitergeht. Wenn sich die Erwartungen an das Leben hier nicht erfüllen, fühlen sich Erwachsene zudem schnell verloren“, so Zindler. Wie lange ein Mensch für die Überwindung seiner seelischen Erkrankung benötigt, könne stark variieren: „Die Behandlungsdauer ist sehr unterschiedlich. Manchmal genügen wenige Wochen, bis sich eine Verbesserung einstellt. Wenn Traumata überwunden werden müssen, dauert es länger. Jemand, der gezwungen wurde, seine Eltern umzubringen, braucht mehrere Jahre“, so Zindler.

Gewachsene Infrastruktur im UKE

Die Flüchtlingsambulanz gehört zu Centra – dem Koordinierungszentrum für traumatisierte Geflüchtete. Für erwachsene Patient*innen mit Fluchterfahrung gibt es andere Angebote, die Centra vermittelt und koordiniert. Es wird vom UKE betrieben und von der Sozialbehörde der Stadt Hamburg finanziert. Die Patient*innen kommen auf unterschiedlichen Wegen zur Einrichtung. Sie werden von Kitas, Ehrenamtlichen, Schulen und Arztpraxen vermittelt. Durch die Finanzierung über die Sozialbehörde steht etwa die Frage, wer welche Kosten übernimmt, einer Therapie nicht im Weg.

Seit 1998 gibt es die Flüchtlingsambulanz in Hamburg. Damals war sie die erste Einrichtung ihrer Art in Deutschland. Schon vor dem Krieg in der Ukraine gab es laut Zindler eine lange Warteliste: „Wir haben Patient*innen aus den umliegenden Gebieten von Hamburg, etwa auch Stade oder Itzehoe“, sagt sie. Spätestens an dem Krieg in der Ukraine werde deutlich, dass es Strukturen wie die Flüchtlingsambulanz brauche, um schnell auf eine Fluchtbewegung reagieren zu können. „Viele Patient*innen benötigen für die Therapie auch Übersetzer*innen, was eine Behandlung in einer normalen Praxis schwierig macht“, so Zindler.

Um den gestiegenen Bedarf akut zu stemmen, koordiniert die Flüchtlingsambulanz zusammen mit anderen Einrichtungen und Praxen außerhalb des UKE die Therapieangebote für ukrainische Flüchtlinge. Damit jede*r einen ruhigen Ort abseits des Großstadttrubels findet, an dem er*sie Unterstützung bekommt und seine Erlebnisse aufarbeiten kann.