Die Newcomer-Band Brimheim war ein Highlight auf dem diesjährigen Reeperbahn Festival. Auf zwei sehr unterschiedlichen Konzerten erzählt die dänische Gothrock-Band eindrücklich Geschichten von Verletzlichkeit und Selbstzweifeln, vergisst dabei aber nicht, richtig abzurocken.
Text und Fotos von Mirjam Bär
Aus dunkel geschminkten Augen schaut die große Sängerin trotzig auf die Menge. Die weiße E-Gitarre mit regenbogenfarbenem Gurt setzt sich deutlich von dem komplett schwarzen Outfit ab. Helena Heinesen Rebensdorff ist die einzige Frau in der Band “Brimheim”, die ihr Debüt auf dem Reeperbahn Festival feiert. Hinter ihr: Søren Manscher mit Akustikgitarre, Peter Albrechtsen am Bass, Jeppe Bremann am Schlagzeug und Buster Jensen an E-Gitarre und Keyboard. “Are you ready for some Rock’n’Roll?”, fragt die ganz in schwarz gekleidete Frau verschmitzt und es wird sofort laut. Zeitweise spielen sie mit vier Gitarren gleichzeitig.
Gleich zwei Konzerte spielten Brimheim beim diesjährigen Reeperbahn Festival in Hamburg: ein kurzes im Rahmen der “Danish Night” am Donnerstagabend im Indra und ein längeres am Samstagabend im Bahnhof Pauli. Die erste Show war sehr überzeugend und die andere von Unsicherheiten und technischen Problemen wie Rückkopplung geprägt.
Erster Stopp: “Danish Night”
Im Indra trafen sich am Donnerstagabend zunächst Manager*innen, Journalist*innen und Plattenlabels der Dänische Musikszene bei einem exklusiven Empfang. Nach 20 Uhr war der winzige Club dann auch für die regulären Festivalbesucher*innen geöffnet. Von R’n’B über Rock bis hin zu Dream-Pop konnte man auf dem Showcase der “Danish Night” vier sehr unterschiedliche Dänische Künstler*innen erleben.
Organisiert, wie auch in den Vorjahren, wurde der Abend von der Non-Profit-Organisation Music Export Denmark, kurz MXD. Die Organisation hat sich zur Aufgabe gemacht, Musiker*innen aus Dänemark auf dem Sprung in den internationalen Musikmarkt zu unterstützen. Erst trat die Rapperin Dayyani auf, dann gab es eine kleine Pause. Um 21.10 Uhr dann: Brimheim. Auf der Bühne steht eine fünfköpfige Band mit drei, manchmal sogar vier Gitarren (Bass, zwei E-Gitarren und akustische Gitarre).
Was Brimheims Musik trägt, ist Helenas einzigartige Stimme, kombiniert mit melancholischen und erfrischend ehrlichen Texten. In “This Weeks Laundry” geht es zum Beispiel um den gesellschaftlichen Druck, in allen Lebensbereichen perfekt zu sein. Gesund essen, richtig Wäsche trennen, Raumpflanzen am Leben erhalten. Nickende Köpfe im Publikum. Sie scheint mit ihren Zeilen anzukommen.
Stronger, Better, More Complete
Im Song “Can’t Hate Myself Into A Different Shape” singt Brimheim von Selbstverletzung, Gefühlen der Unzulänglichkeit, von anderen Frauen, die immer “stärker, besser, vollständiger” (“stronger, better, more complete”) erscheinen. Ihre durchdringende Stimme beginnt leise und elegant mit dem Satz „If I could just shave off another piece of myself“ und geht dann mit lauten Grunge-Gitarren über in einen verzweifelten Refrain.
Die schwarzen Haare und Make-up erinnern an die Gothic/New Wave Bewegung der 1980er/1990er Jahre. Unterstützt wird dies durch eine aufwendige Instrumentierung, die hier im Indra gekonnt auf die Bühne übersetzt wird. Sie spielt überwiegend Songs von ihrem Debüt Album, das Anfang des Jahres veröffentlicht wurde, aber auch frühere Singles wie “Kafka” und “Four Chambers” schaffen es ins Set.
Eins der Highlights ist neben Sängerin Helena der Gitarrist und Keyboarder Buster Jensen. Er spielt Gitarre, als ginge es um sein Leben. Plötzlich legt er ein Solo ein, springt von der Bühne runter ins Publikum, landet auf den Knien und malträtiert die Saiten. Dann hebt er die Gitarre an den Mund und spielt mit der Zunge. Das ist Einsatz, das ist Leidenschaft, die fast an große Gitarristen wie Jimi Hendrix und Jimmy Page erinnert.
Das Konzert geht nur eine halbe Stunde und ist sehr plötzlich vorbei. Das Publikum ruft vergeblich nach einer Zugabe.
Show Nummer Zwei im Bahnhof Pauli läuft stockend
Konzert zwei im Bahnhof Pauli am Samstagabend läuft leider nicht so glatt. Schon beim Soundcheck scheint es Probleme zu geben und auch beim Konzert kommt es immer wieder zu Rückkopplung. Man merkt der Band die Unsicherheit an. Sängerin Helena ist in sich gekehrt und schaut immer wieder nervös zu ihrer Ehefrau im Publikum. Auch Gitarrist Buster ist längst nicht so ausgelassen in seinem Spiel wie im Indra bei Show Nummer Eins.
Dennoch: Die Mitglieder der Band schauen sich immer wieder lange und tief in die Augen und grinsen sich breit an. Man bekommt das Gefühl, dass hier eine enge Verbundenheit herrscht. Sie alle tragen die Kunst mit, aber auch alle sind enttäuscht, dass die Show heute nicht so glatt läuft, wie vorgestern. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass die Band nach der ersten Show im Indra für ein Headliner-Konzert nach Svendborg, Dänemark gefahren ist, nur, um am nächsten Tag direkt wieder auf dem Reeperbahn Festival auf der Bühne zu stehen. Trotzdem lachen die Musiker*innen Umbaupausen einfach weg.
Brimheim: Eine Band mit zwei Seiten
Die Band hatte auf dem Dänischen Newcomer-Festival Spot in Aarhus die ersten größeren Konzerte gespielt. Auch dort präsentierte sie sich auf zwei Konzerten sehr unterschiedlich: als unsichere Musiker*innen mit technischen Schwierigkeiten an Tag eins, ausgelassen und mit sichtbarer Spielfreude an Tag zwei. Brimheim macht komplexe Musik mit komplexer Instrumentation. Auf ihrem Debüt-Album “Can’t Hate Myself Into A Different Shape” kommt das überzeugend rüber, an der Beständigkeit ihrer Live-Performance muss die Band aber noch arbeiten.