Im Oktober ist Breast Cancer Awareness Month. Brustkrebs ist immer noch die häufigste Krebserkrankung bei Frauen – etwa eine von acht Frauen bekommt im Laufe ihres Lebens die Diagnose Mammakarzinom. Auch Männer können daran erkranken. Umso wichtiger ist es, über die Krankheit aufzuklären. In Hamburg geht der Schuss nach hinten los.
Ein Kommentar von Julia Kaiser
Titelbild: Julia Kaiser
An fast jeder Bus-, S- oder U-Bahn-Station in Hamburg sind sie angebracht: die Plakate für den Brustkrebs Awareness Monat der Stiftung Mammazentrum Hamburg. Die Stiftung macht auf Brustkrebs aufmerksam und fördert Projekte, die Patient*innen beim Diagnose- und Therapieverlauf unterstützen. Auf ihren Werbeplaketen ist eine weibliche Brust, ein Slogan und ein QR-Code zu sehen. Der Slogan: „So geht Grabschen richtig.”
Die Intention hinter der Kampagne ist gut, das steht gar nicht zur Frage. Rechtzeitig erkannt, sind die meisten Brustkrebs-Erkrankungen heilbar. Und Selbst-Abtasten, für das die Plakate werben, ist eine sinnvolle Sache. Die Umsetzung der Kampagne: eher problematisch. Auf den ersten Blick wirken die Plakate cool, anders, ansprechend. Endlich zeigt mal jemand eine weibliche Brust in der Öffentlichkeit. Und dann auch noch mit Nippel! Ja, über dem Nippel ist zwar der QR-Code angebracht, aber man kann dennoch alles deutlich erkennen. Dann folgt der zweite Blick: Richtig grabschen? Moment mal, geht’s noch?!
Grabschen ist eine Straftat
Fast jede Frau, 97 Prozent um genau zu sein, wurde schon einmal sexuell belästigt, so eine Studie der Hochschule Meersburg. Sei es „nur”, so die Untersuchung, durch anzügliche Bemerkungen oder Witze, unangenehmes Anstarren, zu nahekommen oder unerwünschte Berührungen. Jetzt eine Kampagne auf die Kosten dieser Frauen zu machen, ist makaber.
Seit der Sexualstrafrecht-Reform 2016 ist Grabschen eine Straftat. Durch die Verankerung des “Nein heißt Nein”-Grundsatzes ist ein sexueller Übergriff strafbar, wenn er gegen den erkennbaren Willen einer Person erfolgt, beispielsweise wenn die Person „Nein” sagt oder weint. Allgemein aufdringliches Verhalten oder mündliche Äußerungen sind nach Strafgesetzbuch (StGB) zwar nicht strafbar, körperliche Handlungen aber ganz klar schon. Im sogenannten Grabsch-Paragraf (§ 184i StGB) heißt es: „Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt […]“ wird mit einer Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet.
Und nun “Grabschen” als lockerer Werbespruch? Dass Werbung auch nach hinten losgehen kann, zeigte schon das Marketing der Firma True Fruits 2019. Die Smoothie-Firma machte Werbung auf Kosten von Opfern sexueller Gewalt, indem sie Slogans verwendete wie „Abgefüllt und mitgenommen”. Damals entschied sich auch der Deutsche Werberat dafür, dass die Kampagne „nicht nur die Grenze des guten Geschmacks, sondern auch zum Vulgarismus” überschreite.
Gerade nach „Nein heißt Nein”, #metoo – einer Bewegung, bei der Frauen online über sexuelle Übergriffe berichteten – und dem Marketing-Skandal von True Fruits sollten solche Werbemaßnahmen eigentlich der Vergangenheit angehören.
Für Opfer ein Schlag ins Gesicht
Umso verwunderlicher, dass die Stiftung Mammazentrum Hamburg jetzt mit der „Richtig Grabschen”-Kampagne wirbt. Vor allem, da nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, dass es um Brustkrebsvorsorge, konkret das Abtasten, geht. Mit Grabschen wird etwas Negatives, zutiefst Unangenehmes assoziiert. Opfer sexualisierter Gewalt könnte diese Werbung triggern und an Dinge erinnern, die sie lieber vergessen würden. Und: Grabschen ist nicht gleich Abtasten! Das sollten die Herren und die Damen der Stiftung eigentlich wissen.
Die zuständige Kreativagentur Tanktank sagt auf ihrer Website selbst über die Kampagne: „Um im täglichen Themen-Getöse von Pandemie, Krieg oder Inflation überhaupt mit solch einem Thema durchdringen zu können, haben wir ein Motiv geschaffen, dass (sic!) in aller Munde ist: So geht Grabschen richtig.” Und die Stiftung Mammazentrum Hamburg? “Wir wollten Aufmerksamkeit generieren, um in die Diskussion zu kommen – und das sind wir auch. Es ist uns wichtig zu zeigen, dass man auch viel selber machen kann, wie Abtasten, und wir wollen Mut machen, regelmäßig zur Vorsorge zu gehen”, so die Stiftung auf Nachfrage von FINK.HAMBURG.
Es wurde also wohl ganz bewusst provoziert. Ob es das für den guten Zweck braucht? So sicher nicht.
Brustkrebsvorsorge ist wichtig
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko einer Erkrankung. Durch eine regelmäßige Brustkrebsvorsorge lässt sich das Brustkrebsrisiko senken. Ab einem Alter von 30 übernehmen die gesetzlichen Krankenkasse die Kosten des Abtastens beim Gynäkologen. Man kann und sollte sich aber auch regelmäßig selbst abtasten. Dazu gibt es in vielen Frauenarztpraxen oder auch im Internet Anleitungen – auch von der Stiftung Mammazentrum Hamburg. Neben dem Abtasten hat man Im Alter von 50 bis 69 Jahren alle zwei Jahre Anspruch auf ein Mammografie-Screening, eine Röntgenuntersuchung der Brust, das ebenfalls von der Krankenkasse übernommen wird. Allerdings sind diese Screenings auch umstritten, Frauen sollten sich vorab in Ruhe über mögliche Vor- und Nachteile informieren.