Das Museum am Rothenbaum, das MARKK, hat in den letzten Jahren einen inneren Wandel durchlaufen. Um sein koloniales Erbe aufzuarbeiten, arbeitet das Museum mit Aktivist*innen und Künstler*innen zusammen. Die neue Ausstellung „Wasser Botschaften“ ist ein Beispiel für diese Arbeit.
Text und Fotos: Alma Bartels
Wasser plätschert, Möwen kreischen und Wellen rauschen. Diese Geräuschkulisse umgibt alle Besucher*innen, die die Ausstellung „Wasser Botschaften“ des Museums am Rothenbaum für Kulturen und Künste, kurz MARKK, betreten. Es werden Aufnahmen der Shinecook Bay, Turtle Island, des Yuma Flusses (auch als Rio Magdalena bekannt), des Tschadsees in Nigeria und des Wattenmeeres in Deutschland abgespielt. Im Eingang der Ausstellung hängt ein riesiges, grünes Fischernetz. Es dient als Raumtrenner und leitet die Besucher*innen zu den ersten Exponaten in der rechten Ecke.
Stimmen zischen aus den Lautsprechern einer Videoinstallation. Die Ausstellung ist in vier Stationen eingeteilt, die sich alle mit unterschiedlichen Fassetten von Wasser und Klima beschäftigen. Im ersten Bereich des Raumes, „Leben mit Wasser“, stehen mehrere kleine Bootmodelle, Muscheln und Gefäße aus den Marshall Inseln – gut geschützt hinter Glas.
Noch vor wenigen Jahren sahen die Ausstellungen des MARKK vollkommen anders aus. In der Vergangenheit wurden dort exotisierende Dorfszene nachgestellt und über Kulturen geredet, anstatt mit ihnen zusammen zu arbeiten. Bis 2018 nannte sich das Haus noch “Museum für Völkerkunde”. Doch seit einigen Jahren geht das MARKK einen anderen Weg: Besonders die Ausstellungen sehen spürbar anders aus.
Von Grönland bis zum Wattenmeer
Zurück im Ausstellungsraum sind als Kontrast zu den tropischen Marshall-Inseln weiter rechts, in einer dunkleren Ecke der Ausstellung, einige Robbenfellmäntel ausgestellt. Sie sind Beispiele für die Lebensrealitäten der Inuit-Gemeinden auf Grönland. Diese haben vor allem mit Klimaveränderung zu kämpfen. Ihre Grundversorgung wird knapper, aber auch der Kolonialismus spielt hier noch immer eine Rolle. Die Inuk Dichterin und Aktivistin Aka Niviâna hofft, dass sie stärker wird durch den gemeinsamen Kampf mit anderen Ersteinwohner*innen. Stärker „als die kolonisierenden Monster, die bis heute unser Leben zu ihrem Vergnügen verschlingen“. In dem ausgestellten Gedicht – in Videoformat, betitelt „Rise – From one island to another“ – führt sie einen Dialog mit der Klimaaktivistin und Poetin Kathy Jetñil-Kijiner von den Marshall-Inseln und enden mit einem gemeinsamen Appell an den globalen Norden:
Wir haben Jahre, wir haben Monate, bevor ihr uns wieder opfert, bevor ihr von euren Fernseh- und Computerbildschirmen aus zuseht, um zu sehen, ob wir noch atmen, während ihr nichts tut.
Zwei junge Besucher*innen sitzen gebannt vor einer Videoinstallation über Langeneß, eine Hallig im Wattenmeer. Sandküste und grauer Wellengang sind zu sehen. Halligen sind Nordseeinseln, die regelmäßig überflutet werden. Bei Sturmfluten bedeckt das Wasser fast die gesamte Insel, die Menschen leben hier tagtäglich mit dem Wasser. Doch auch hier in Deutschland hat der Klimawandel fatale Auswirkungen: Zu viel Wasser und zu hoher Salzgehalt zerstören den Lebensraum vieler Tiere um die Halligen. Umgekehrt könnten sie ohne Wasser und Salz aber auch nicht überleben. Dieser kleine Bereich der Ausstellung zeigt die geografische Nähe der Problematik auf, macht ihn für manche Besucher*innen greifbarer als steigende Meeresspiegel im Pazifik oder Wasserknappheit in Südamerika.
Die erste Station, in der sich auch der Abschnitt über die norddeutschen Halligen befindet, behandelt eben diese Gemeinschaften, die den zum Teil drastischsten Auswirkungen des Klimawandels ausgesetzt sind. Ob es nun Gletscherschmelzen, Überflutungen oder der Meeresspiegelanstieg ist.
Die Besucherin Sara Castellanos findet diesen Bezug wichtig: „In Deutschland hat man sich bis jetzt keine Gedanken gemacht; es gab immer Wasser.“ Sie hat sich immer gefragt, wo das Wasser in Hamburg herkommt. „Hier in Deutschland gab es kein Problem mit dem Wasser.“ Sie sagt, dass jetzt die Böden anfingen auszutrocknen. „Wenn es regnet, dann sehr heftig. Das kenne ich aus meiner Kindheit und Jugend in Spanien, so war das immer.“
Wasser mit Persönlichkeit
Die zweite Station „Wasser Verwandtschaften“ beschäftigt sich mit kulturellen Praktiken der Menschen und ihrer Verbindung zum Wasser. Neben Wassergeister-Masken aus dem Nigerdelta in Nigeria fällt der Blick auch auf einen reich verzierten Rock. Auf dem blau schimmernden Stoff sind detaillierte Stickereien von Fischen, wildem Reis und Wasserblumen zu sehen. Der Rock wurde speziell für diese Ausstellung genäht, von Gizhiibaabinesiik Cheryl Copenace, eine Künstlerin des Anishinaabe Stammes in den USA. Er soll die Verbindung zwischen Wasser und dem Leben darstellen, die durch kulturelle Praktiken gefestigt werden.
Ein paar Schritte vom Rock entfernt fällt der Blick auf einen riesigen Text mit Foto- und Videoinstallation. Hier beginnt die dritte Station der Ausstellung. Hier werden kapitalistische Vorstellungen und koloniale Strukturen hinterfragt, die Wasser als unbegrenzte Ressource betrachten und die Umwelt ausbeuten.
Der abgebildete Text ist das sogenannte „T622“-Gesetz aus Kolumbien. Das Urteil erkennt den regionalen Atrato-Fluss und seine Nebenflüssen als Rechtssubjekt an: Er bekommt Personenrecht und Schutzanspruch. Die afro-kolumbianischen Gemeinden, die an diesem Fluss, in der Region Chocó leben, sind abhängig von ihm und seinem Erhalt. Durch den Goldabbau der 1980er Jahre ist der Fluss bis heute stark verseucht. Nach jahrelangen Rechtsstreits und Kämpfen der indigenen Aktivist*innen wurden dem Fluss 2016 per Gesetz ein Gremium aus Vertreter*innen des Staates und Gemeinde, und zusätzlich eine eigene Aufsichtskommission zugeteilt.
Neues Konzept des MARKK
Die Ausstellung “Wasser Botschaften” ermöglicht den Besuchenden nicht nur Einblicke in den kulturellen und zum Teil problematischen Umgang mit Wasser, sondern präsentiert auch die veränderte Herangehensweise an Ausstellungen des MARKK im Allgemeinen. „Wir wollen ein partnerschaftliches Verhältnis erzielen und Personen eine Stimme geben“, sagt die Museumsdirektorin Barbara Plankensteiner. „Es gab viele rassistische, exotisierende Darstellungen von Menschen anderer Kulturen, die hier transportiert wurden und die in den Köpfen der Menschen fortleben“, sagt sie weiter. Mit dieser Ausstellung soll es ihnen gelingen, diese alten Strukturen aufzubrechen und ein neues Verständnis in der Öffentlichkeit zu generieren.
„Wir haben seit sechs Jahren eine ganz andere Ausstellungsästhetik”
Während Kuratorin Johanna Wild bei der Eröffnung begeistert durch die Ausstellung führt und viel zu dem Konzept und Exponaten erzählt, hält sich die Direktorin eher im Hintergrund.
Sie ist aber eine der wichtigsten Personen, wenn es um den Wandel des Museums geht. „Es war uns ein wichtiges Anliegen das Museum zu dekolonisieren und diversifizieren.“ So die Direktorin. Im Vergleich zu Früher würden sie nun keine Kulturen mehr ausstellen oder Dörfer nachbauen, sondern arbeiten im engen Austausch mit Gemeinden, Künstler*innen und Aktivist*innen zusammen. „Wir legen Wert darauf die Objekte würdig zu präsentieren und sie gemeinsam zu erforschen“ sagt Barbara Plankensteiner. „Wir haben seit sechs Jahren eine ganz andere Ausstellungsästhetik.“. Auch die Planungszeit hat sich in den letzten Jahren verändert. Es findet ein engerer Austauschmit den Akteur*innen statt; Entscheidungen werden nicht mehr alleine getroffen, wodurch die Vorbereitungszeit aufwendiger geworden ist.
Auch die Namensänderung war ein wichtiger Schritt, der die Veränderung auch nach Außen trug. „Wir haben in den letzten sechs Jahren ein komplett neues Image erarbeitet. Inhaltlich und gestalterisch haben sich unsere Ausstellungen komplett verändert“. Ihr Stolz auf die Arbeit und das Museum ist ihr beim Reden anzumerken.
Als Plankensteiner 2017 die Führung des Hamburger Museums übernahm, sah vieles noch anders aus. Die Hamburgische Geschichte ist geprägt vom Kolonialismus und hat Jahrzehnte lang von der Ausbeutung deutscher Kolonien profitiert. Das Gleiche gilt auch für das Museum am Rothenbaum.
Raubkunst im Archiv
Spätestens seit den 1970er Jahren verlangen afrikanische Staaten ihre Kunstobjekte zurück. Westliche Museen und Regierungen reagierte jedoch lange nicht. Erst in den letzten Jahren verringert sich der Widerstand, Objekte werden zurückgegeben. Auch Deutschland gab zuletzt Ende 2022 1100 der berühmten Benin Bronzen an Nigeria zurück. Alleine in Hamburg lagen 179 Bronzen in den Archiven der Museen.
Doch dies darf nur der Anfang sein. Das Museum hat seit 2020 eine „Afrika-Kuratorin“, die sich mit der Rückgabe von den Kunstobjekten befasst. Erst müsse allerdings eine Rückgabeforderung einer Gemeinde vorliegen, dann wird es vom Museum geprüft. „Das ist ein langer, langer Prozess“, erklärt Johanna Wild. Um diesen Prozess zu beschleunigen hat das Museum eine Liste im Internet veröffentlicht, in der afrikanische Staaten oder Museen einsehen können, ob sich ihre gestohlene Kunst im Archiv des Museum am Rothenbaum befindet.
Doch das Museum besitzt nicht nur gestohlene Kunstobjekte aus dem afrikanischen Kontinent. Auch Objekte aus Nordamerika liegen im Archiv des MARKK. Einige davon sind jetzt in der Ausstellung „Wasser Botschaften“ zu sehen.
Nachhaltigkeit in den Ausstellungen
Im Ausstellungsraum stehen überall lila angemalte Holztische, auf denen die Exponate ausgestellt sind. Beim genaueren Hinsehen wird klar, dass die Tische teilweise umgedreht oder umlackiert wurden. Bunt schimmernde Linien verlaufen sich über die Flächen – sie sehen aus wie Flussarme oder Wasserrillen.
Verantwortlich für diese Designs und die Möblierung ist das Londoner Design Kollektiv „Resolve Collective“. Sie wurden vom MARKK beauftragt den Raum zu gestalten und haben zusammen mit der Stadtteilschule in Wilhelmsburg Workshops rund um das Thema Wasser und Klimawandel veranstaltet. Die Ergebnisse sind auch in der Ausstellung zu sehen: Einige Schüler*innen haben Karten von den Halligen in der Zukunft gemalt oder Gefäße aus Ton aus der Elbe geformt. Die Möbel hat das Designkollektiv recycelt: „Wir wollten nur Möbel benutzen, die bereits in vorherigen Ausstellung standen“, so Akil Scafe-Smith, einer der Künstler des Londoner Kollektivs.
„Die Idee wie Wasser in Beziehung zu den Menschen steht ist ständig präsent.“
Scafe-Smith sieht in den ausgestellten Objekten und der Thematik Gemeinsamkeiten zur Arbeit des Kollektivs und dem Museum. Das Konzept des Recyclens sei nicht nur dem Kollektiv wichtig, auch das Museum lege mittlerweile eine größeren Wert darauf. „Gerade Ausstellungsgestaltungen und Ausstellungsdesign ist ja dafür bekannt, dass es überhaupt nicht klimafreundlich ist“, sagt Johanna Wild. Die Bemühung um mehr Nachhaltigkeit in ihren Ausstellungen gehört ebenfalls mit zu dem Wandel, den das Museum seit mehreren Jahren durchlebt.
Diese Veränderung ist auch dem Kollektiv aufgefallen. „Wir haben noch nie mit einem Museum gearbeitet, dass sich so explizit mit seinem kolonialen Erbe auseinander gesetzt hat“, so Akil Scafe-Smith. Die Darstellung des Museums habe die Künstler beim ersten Treffen in der Vorbereitung für die Ausstellung überzeugt: „Sie haben sich nicht als eine Art Helden inszeniert, sondern waren radikal ehrlich mit ihrer heikle Situation und ihrer Vergangenheit“, erzählt Scafe-Smith weiter.
Wasser ist heilig, Wasser ist Leben
An der letzten Station der Ausstellung der laufenden Ausstellung “Wasser Botschaften” geht es um Wasserschutz und Klimagerechtigkeit – Kolonialismus immer im Fokus. Eine riesige Installation aus Bannern und T-Shirts reicht bis an die Decke. Die Designs sind Slogans der „Indigenous Water Decade“ Initiative in den USA. „Mni Ki Wakan“ wird hier in der indigenen Lakota-Sprache skandiert. „Wasser ist heilig“ oder „Wasser ist Leben“ auf Deutsch. Die Initiative wurde von amerikanischen Ersteinwohner*innen in Minnesota gegründet, um Wasserrechte und Wassergerechtigkeit für alle zu fördern.
Als Spiegel zum Nordamerikanischen Teil befindet sich in der gegenüberliegenden Ecke ein riesiges Foto der „Pacific Climate Warriors“. Kämpferisch und ernst blicken die drei Pazifikinsulaner in die Kamera, in ihren Händen halten sie traditionelle Paddel und Masken; sie tragen traditionelle Kleidung und Schmuck ihrer Kulturen. Die Inszenierung als Krieger*innen ist hier bewusst gewählt. Sie wollen nicht als passiven Klimaopfer erscheinen.
Wasser ist der rote Faden
Am Ende der Ausstellung bleibt ein gemischter Eindruck. Das Thema Wasser leitet gut durch den Ausstellungsraum, allerdings sind die einzelnen Stationen nicht immer deutlich erkennbar. Das sei allerdings bewusst so: “Das Designteam wollte erreichen, das man durch die Ausstellung mäandert und fließt wie Wasser ohne, dass eine deutliche Wegführung vorgegeben oder Abfolge suggeriert wird”, erklärt Johanna Wild.
Das Thema Wasser bildet den roten Faden. Der Blick in die Zukunft, für mehr Klimaschutz und Gerechtigkeit ist ein Teilaspekt, der den Macher*innen wichtig war. Für einige war er mehr oder weniger zu erkennen: „Wenn man sich mit einem Thema beschäftigt, dass so brisant und wichtig ist wie Wasser, soll man die Faust im Gesicht der Betrachter*innen sein“, wünscht sich beispielsweise Sara Castellanos. Die Besucherin hat sich alle Stationen der Ausstellung angesehen. Einiges hätte sie sehr beeindruckt, aber sie hatte sich mehr erhofft. Sie habe das Gefühl, dass die Ausstellung es sich einfach gemacht habe und schöne Exponate gezeigt, für Menschen aus einem reichen Land, die nur passive Betrachter seien und nicht mehr tun.
Vielleicht sind genau die Menschen gemeint, die die beiden Dichterinnen Aka Niviâna und Kathy Jetñil-Kijiner in ihrem Video angesprochen haben: Menschen der reichen, westlichen Welt, die SUV fahren und die realen Probleme der Menschen im globalen Süden nur passiv betrachten. Ohne etwas zu tun oder sich zu engagieren.
Ausblick in die Zukunft
Den Wandel, den dieses Museum bereits seit einigen Jahren durchlebt, muss wohl noch in vielen Köpfen der Menschen in Deutschland passieren. So, wie das Hamburger Museum vergangenheitsorientiert war, wendet es sich heute der Zukunft zu. Exponate wie der Rock der Anishinaabe Designerin, aber auch eine Fotoreihe des nigerianischen Fotografen Wilfred Ukpong wurden speziell für diese Ausstellung in Auftrag gegeben. Das Museum ist damit Auftraggeber für die Kulturen und Menschen der Welt geworden, die es früher ausgebeutet hat.
Das Museum soll übrigens eine Komplettsanierung bekommen. 110 Jahre nach seiner Eröffnung wird das Museum weiter an die Standards des 21. Jahrhunderts angepasst. Unter anderem ist ein barrierefreier Zugang geplant, eine Neugestaltung der Dauerausstellung und bessere technische Aurüstung soll angeschafft werden. Der Umbau soll fünf Jahre dauern und 123 Millionen Euro kosten. Wie sich das Museum am Rothenbaum dann präsentiert bleibt abzuwarten. Dies scheint noch nicht das Ende des Wandels zu sein.
Alma Bartels, Jahrgang 1996, hat eine Schwäche für mongolischen Metal. Sie ist schon einmal kostenlos um die Welt gereist, kann sich aber kaum erinnern: Sie war erst zwei Jahre alt. Aufgewachsen zwischen Hamburg und Barcelona entwickelte sie ein Faible für Sprachen: Neben Englisch und Spanisch spricht sie auch Koreanisch und Katalanisch. Für Stern.de produzierte sie Videos über Fragen wie “Wie viele Nägel hat Ikea schon verkauft?”. In Bremen studierte sie Politologie und entdeckte ihre Liebe zum Kulturjournalismus. Am liebsten würde sie die mongolische Band Hanggai einmal danach fragen, wie das mit diesem Kehlkopfgesang eigentlich funktioniert. (Kürzel: aba)