Armut in Hamburg Obdachlosigkeit
Max ist 23 und lebt zur Zeit auf der Reeperbahn. Foto: Lukas Schepers

Max ist 23. Er kommt aus Österreich und lebt auf den Straßen der Welt. Sein Alltag ist geprägt von Drogenexzessen und Kriminalität. Doch all das soll nicht umsonst sein. Er hat ein festes Ziel vor Augen.

Wenn man die Reeperbahn herunterläuft, dauert es nicht lange, bis man die ersten Obdachlosen sieht, die in Decken eingewickelt mit dem Gesicht zur Hausfassade liegen. Leben sie noch? Wie halten sie das aus?

Der 23-jährige Max kann es erklären. Er lebt selbst auf der Straße und hat trotz seines jungen Alters viele extreme Erfahrungen gemacht: „Wenn du hier schnorrst, brauchst du Drogen, um auf der Höhe zu bleiben. Das ist sehr anstrengend, deswegen überlebt man nicht länger als anderthalb Jahre auf dem Kiez“, erzählt der Anarchopunk mit österreichischem Dialekt. Seit vier Monaten ist er schon hier. 2011 war er das erste Mal in Hamburg und hat sich in die Stadt verliebt. Seitdem wohnt er mal am Wagenplatz, mal in besetzten Häusern, aber größtenteils auf dem Kiez.

Er weiß also, wie hart das Pflaster hier wirklich ist. „Ich habe schon öfters gesehen, wie jemand vom Kiez gegangen wurde. Also nicht von Gleichgesinnten, sondern von den Zuhälter-Schlägern.“ Das seien meist die Hells Angels. „Wenn es der Hure auf den Arsch geht, dass du gerade in einer Stunde 100 Euro gemacht hast und sie nur 60… Ja, dann hast du ein Problem“. Man werde in irgendeine Ecke gezerrt, verprügelt und liegengelassen.

„Man muss schon auf seine Eier aufpassen“, erklärt Max. Deswegen hat er immer seinen Hund Balou dabei. Balou hat schon zwei Mal zugebissen, als er zu betrunken war, um sich selbst zu wehren. Wie sein Hund trägt Max selbst ebenfalls eine Kette um den Hals. An ihr befestigt er nachts seinen Rucksack. Er setzt sich auf die nasse Bank, öffnet sein Dosenbier und dreht sich eine Zigarette. Balou legt sich neben ihn. „Das ist mein Baby, erst 17 Monate. Seine Mutter gehörte auch mir. Ist leider verreckt“, sagt er traurig, trotz der rabiaten Formulierung. „Wegen ihm habe ich meine Freundin verlassen“, ergänzt er lachend und lässt seine Hand von Balou abschlecken. Dann erzählt Max, wie seine Freundin eines Tages nach Hause kam und der Hund sie nicht hereinlassen wollte: Sie roch nach einem anderen. Er packte innerhalb einer Stunde seine Sachen und verschwand.

Das ist ungefähr ein Jahr her. Seitdem war er in Frankreich, der Schweiz, Spanien, Kroatien, Serbien und in Griechenland. „Immer auf Platte gelebt. Immer geschnorrt. Viel getrampt, ab und zu mit dem Zug. Das ist Freiheit pur“, schwärmt er und genießt den letzten Zug seiner Zigarette, die fast nur noch aus einem Filter besteht. Das nächste Ziel ist Kopenhagen. In maximal zwei Monaten will er das Geld für ein Ticket zusammenhaben. Er ist überzeugt: „Der Kiez verschlingt dich. Irgendwann kommst du daher, rauchst nur noch Schore und bist ein kleiner verfickter Junkie“, erzählt er energisch. Schore ist ein umgangssprachlicher Begriff für Heroin. Das könne er seinem Hund nicht antun, deswegen reist er ständig weiter.

Max geht davon aus, dass die Leute, die sich mit ihm Treffen wollen, ihn besuchen müssen. Egal, wo er gerade ist. Seine Mutter hat ihn einmal in Ungarn besucht. „Ist halt die Mutter, ja?“, schwurbelt er vor sich hin. Seine Kindheit verbrachte Max in einem Heim, weil er gerne zuschlug. Trotz allem Gewaltpotenzial merkt man, dass Max ein intelligenter Mensch ist.

Drogenexzesse bis zum Tod

Er brach die Schule ab und fing eine Lehre zum Kunstschmied an. Die Firma ging in Konkurs. Dann arbeitete er zwei Jahre in einer Küche. Sein Chef wollte ihn nachts für fünf Euro die Stunde schwarz arbeiten lassen. „Ich habe ihm die Schürze vor die Füße geworfen, und gesagt, er soll sie sich in den Arsch schieben.“ Darauf folgte eine einjährige Karriere als Drogendealer, zusammen mit der Freundin, die er wegen Balou verlassen hat. „Ich habe in Österreich Crystal verkauft. Als ich dann gesehen habe, wie die ersten Freunde an einer Überdosis gestorben sind, habe ich aufgehört“, sagt er ohne große Regungen. Trotzdem beteuert er immer wieder, wie ihn das verändert habe. Insgesamt sitzen 26 seiner Freunde im Gefängnis. Die meisten wegen Einbrüchen, Körperverletzung und Drogenhandel. Sieben sind in der Psychiatrie. Sechs bereits gestorben. Er schaut sich nach seinen Freunden um, die weiter hinten vor einem Dönerladen betteln.

Er selbst nimmt noch nach seinem Entzug Drogen. „Süchtig bin ich immer noch, aber nicht mehr abhängig“, sagt er durch die bereits fast zahnlosen Lippen. Wenn es ihm auf dem Kiez zu krass wird, kommt er für eine oder zwei Nächte in einem besetzten Haus hinter Pinneberg unter. „Das ist meistens Montag oder Dienstag. Da brauche ich eine Pause“, erklärt er und streichelt seinem Hund über den Kopf. „Hier auf dem Kiez trinke ich meine zwei, drei Bier am Tag, rauch abends einen fetten Joint zum Schlafen. Aber um mich nach einer harten Woche zu belohnen, haue ich mir ab und zu nochmal Schore in den Kopf, aber das ist nur für den Genuss.“ In dem besetzten Haus sei das kein Problem: „Da ist wirklich jeder willkommen. Hier ist man nur der Dreck unter dem Fingernagel der Gesellschaft“, sagt er bestimmt und lässt seinen Zeigefinger über den verhältnismäßig leeren Kiez schweifen.

Crystal Meth würde er allerdings nie wieder anrühren. „Wenn du die nötige Intelligenz hast, lernst du den Umgang mit deinem eigenen Suchtverhalten“, meint Max. „Die Menschen wollen immer etwas verdrängen, aber die Welt ist so schön. Ich möchte sie sehen und die Dinge klar erkennen.“ Manche Drogen sollen ihm dabei geholfen haben. Er holt ein Notizbuch hervor und liest vor: „Machen einige allen alles vor, machen alle alles allen nach.“ Das sei ihm auf LSD eingefallen.

Max schreibt sogar Bücher. 27 sollen es schon sein. Er notiert alle Erfahrungen, die er macht und schickt die Manuskripte heim zu seiner Mutter, die sie gut aufbewahrt. Bücher zu lesen, lehnt er allerdings ab. Er will seine Erfahrungen selber machen, folgt quasi der philosophischen Strömung des Empirismus.

Bei all den Schwierigkeiten, die so ein Vagabundenleben mit sich bringen, bleibt ein klares Ziel vor Augen: „Ich habe mir vorgenommen mit 30 von der Straße runter zu sein und Sozialpädagoge zu werden. Ich gehe dann zurück nach Österreich.“ Dort hat Max einen Freund bei der Sozial-Therapeutische Initiative (STI). Er will dann Heimkinder betreuen und sie vor dem bewahren, was er gerade tagtäglich erlebt.