Die Geschichte zweier junger Frauen ist durch ein Verbrechen miteinander verbunden. “Angels Wear White” zeigt ihren mutigen Kampf in Gesellschaftsstrukturen, die die Verurteilung eines Straftäters erschweren.
Die Strände in der unbenannten südchinesischen Kleinstadt sind feinsandig und weit, dennoch sind sie in diesem Frühling verlassen. Zuweilen beleben ihn Paare, die sich für ihre anstehenden Hochzeiten ablichten lassen. Dafür vertreiben sie diejenigen aus dem Bild, die augenscheinlich kein so perfektes Leben führen, als dass jemand es festhalten möchte. Es sind diese Frauen, die Vivian Qu in ihrem Neo-Noir-Drama „Angels Wear White“ in den Fokus rückt.
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So wie die junge Frau Mia, die als Rezeptionistin in einem Strandhotel gerade so über die Runden kommt und für die doch sehr viel von dieser Arbeit abhängt. Denn Mia zieht seit Jahren von Ort zu Ort, hat keinen Personalausweis, kennt nicht einmal ihr richtiges Geburtsdatum – in dieser Kleinstadt mit ihren einsamen Stränden hat sie einen kurzweiligen Frieden gefunden.
Instabile Lebensverhältnisse
Aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren, schweigt Mia darum, als sie Zeugin eines Sexualverbrechens wird, das in dem Hotel an zwei Schulmädchen verübt wird. Eines der Opfer ist die zwölfjährige Wen, deren vielschichtige, nun auf dramatische Weise gestörte, Entwicklung vom Kind zur Frau in den Vordergrund der Handlung rückt.
Das Mädchen wächst in instabilen Verhältnissen auf: Die Eltern sind geschieden, weder Mutter noch Vater beschäftigen sich mit ihr. In der Schule fällt sie als Rebellin auf. Nach der verhängnisvollen Nacht können Wens Eltern und ihr Umfeld mit dem Geschehenen nicht umgehen. Es beginnt ein Tauziehen aus mühsam unterdrückter Wut und mechanischer Gelähmtheit.
Unter sphärischen Klängen und eindringlichen Tönen zieht sich die Welt um Wen immer enger zusammen.
Währenddessen muss auch Mia lernen, mit den Konsequenzen ihres Schweigens zu leben und fängt an, nach Auswegen aus ihrem Dilemma zu suchen.
Der Kampf der Frauen
In ihrer zweiten Regiearbeit schildert Vivian Qu eine Situation, in der die ethisch vermeintlich richtige Lösung auf der Hand zu liegen scheint und macht dabei schmerzhaft klar, weshalb diese trotzdem nicht einmal in die Nähe des Greifbaren rückt. Mutig legt Qu dabei die unterdrückende Gewalt patriarchaler Strukturen offen, die sich durch alle Schichten zieht und sich trotz aller Versuche, dagegen anzukommen, immer weiter reproduziert.
Mit extrem nahen Einstellungen, die in ihrer Distanzlosigkeit manches Mal die Grenzen des Ertragbaren überschreiten, fokussiert Vivian Qu die Komplexität der weiblichen Charaktere. Der Zuschauer begleitet hautnah die Kämpfe, die diese mit sich selbst und ihrem Umfeld ausfechten müssen.
Am Ende werden sich beim Zuschauer düsterer Frust und schimmernde Hoffnung die Waage halten – so wie sich die unumstößliche Macht der Gesellschaft und der Lebenswillen des Einzelnen sich in “Angels Wear White” auf faszinierende Weise immer wieder ausbalancieren.
“Angels Wear White” lief beim 25. Filmfest Hamburg und war dort für den Kritikerpreis nominiert.