Elsa fühlt sich keinem Geschlecht zugehörig und ist arbeitslos. In Hamburg eine Wohnung zu suchen, ist in dieser Situation ein Albtraum.
Die Illustrationen für diesen Artikel wurden von der HAW-Studentin Melanie Gandyra angefertigt.
Nun könnte sie ihre Kaffeetasse auch mal wieder loslassen. Nervös klammert sie sich an das Gefäß, ihr Blick wandert hektisch hin und her. Das Logo auf ihrem bunten T-Shirt lugt unter dem schlichten, grauen Cardigan hervor. Am Ärmel klebt ein Button mit der Aufschrift „Mein Personalpronomen ist Sie/Ihr“. Immer wieder fallen die langen blass-rosa Haare vor ihre geschminkten Augen. Ihre Arme und Hände sind ununterbrochen in Bewegung.
„Viele Vermieter sind der Meinung, dass ich als Arbeitslose nicht wohnfähig bin.“ Elsa* ist 28 Jahre alt und will sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen*. Der Stimme und den Gesichtszügen nach zu urteilen ist Elsa ein Mann, sie kleidet sich aber wie eine Frau. Auch bei Facebook führt sie einen weiblichen Namen. Seit knapp drei Jahren lebt sie nun in Hamburg – und musste in dieser Zeit bereits fünfmal umziehen. Stets bekommt sie nur zeitlich begrenzte Mietverträge. Das liege an ihrer Arbeitslosigkeit, aber auch an Intoleranz im Bezug auf ihr fehlendes Geschlecht, klagt sie.
Umzug in die Arbeitslosigkeit
In ihrer Heimatstadt Münster hatte Elsa einen unbefristeten Mietvertrag und einen Vollzeitjob in einem Callcenter. Münster sei aber „eine Kleinstadt“, voller „Studenten oder Menschen, die eine Familie gründen“. Sie habe sich dort einfach nicht mehr wohlgefühlt.
Mit dem Umzug nach Hamburg kamen die Probleme. Nach ihrem qualifizierenden Hauptschulabschluss im Jahr 2006 hat Elsa keine Ausbildung begonnen. Seitdem ist sie als arbeitssuchend gemeldet, sie schlägt sich mit Nebenjobs durch. Aktuell arbeitet sie dreimal in der Woche in einem Supermarkt und bestückt dort Regale. Außerdem führt sie Hunde aus. „Manchmal geht dabei der Hund mit mir spazieren.“ Elsa lacht. Das tut sie häufig, oft klingt es verlegen. Aber als der Kellner versehentlich eine Tasse fallen lässt, hebt Elsa sie zuvorkommend und mit einem entspannten Lächeln auf.
Für ihre Jobs hat sie als Hartz-IV-Empfängerin lediglich einen Freibetrag von 100 Euro, auf alle Einkünfte, die darüber liegen, muss sie 80 Prozent an den Staat abtreten. Bei einem Hartz-IV-Satz von aktuell 416 Euro im Monat bleibt da nicht viel übrig zum Leben. Trotzdem komme sie mit ihrem Geld recht gut aus. „Ich lebe sparsam und habe keine teuren Hobbys.“
Ein Leben in Kisten
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Elsa sieht in ihrer Freizeit fern, geht ab und an auf kleine Punkrock-Konzerte. Für das günstige – weil kleine – Tattoo an der Hand macht sie „zu viel Prosecco“ verantwortlich.
Aber da sind eben die ewigen Umzüge. Für die muss Elsa oft monatelang sparen. Kommen sie unverhofft, hat sie ein Problem. Zumal sie selbst keinen Führerschein hat und deswegen immer einen Transporter samt Fahrer mieten muss. Eine komplette Zimmereinrichtung hat sie mittlerweile angesammelt – Nachtschränkchen, Rollschrank, Lampen, ein Röhrenfernseher und zwei Regalständer für ihre VHS-Kassetten mit Filmen oder Aufzeichnungen von Black-Metal- und Punkrock-Konzerten. Dazu Küchenutensilien wie ihre Lieblingstasse. „Ich trenne mich nicht von meinen Sachen“, sagt sie. Umso mehr ärgern sie manche der Erlebnisse, die sie in den letzten Jahren hatte. Ein Wohnungseigentümer in Lüneburg etwa traute ihr wegen ihres nicht definierten Geschlechtes nicht zu, einen Haushalt mit der nötigen Sorgfalt führen zu können.
Für all die Umzüge kommen 400 Euro im Jahr zusammen: Transport, Nachsendung der Post, die Ummeldung beim Amt. St. Georg, Karoviertel, Reeperbahn und Iserbrook sind ihre bisherigen Stationen.
Zu Hause gefühlt hat sich Elsa nur ein einziges Mal. In der Wohnung im Karoviertel konnte sie ein ganzes Jahr lang bleiben, und sich ihr Zimmer so einrichten, wie es ihr gefiel. Doch der Vertrag war befristet.
Auf Dauer befristet
Auch danach kam sie immer wieder nur zur Zwischenmiete unter. Die Zeit der gefühlt aussichtslosen Suche begann. Mal wohnte sie „zur Probe“ und es gab zwischenmenschliche Probleme, auch wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit, sagt Elsa. Mal war der eigentliche Bewohner nur kurz nicht in der Stadt. Aktuell wohnt Elsa bei einer Familie in Iserbrook.
Über Online-Wohnungsbörsen, vor allem aber auf Facebook, versucht sie seitdem verzweifelt, eine Wohnung zu finden, in der sie auf unbestimmte Zeit bleiben darf.
Doch das ist auf dem Hamburger Wohnungsmarkt für die Arbeitslose eine hoffnungslose Angelegenheit. „Ich bin am Verzweifeln, fühle mich ausgebrannt“, sagt Elsa leise.
Viele Vermieter oder potenzielle Mitbewohner könnten nicht mit der Tatsache umgehen, dass sie sich keinem Geschlecht zuordnen möchte, sagt sie, aber nachweisen lässt sich so etwas kaum.
Ihre Arbeitslosigkeit macht die Suche nicht einfacher. Eigentümer bei Wohnungsbesichtigungen haben sie schon das ein oder andere Mal „nicht wohnfähig“ genannt. Dabei gibt es, nüchtern betrachtet, für Vermieter kaum bessere Mieter als Hartz-IV-Empfänger. Ihre Miete übernimmt nämlich die Sozialkasse.
Elsa will ankommen
„Nach zehn Jahren Arbeitslosengeld II kenne ich mich mit der Bürokratie und den Gesetzen recht gut aus. Eigentlich könnte ich Jura studieren.“ Auf dem Amt lasse sie sich auch deswegen nicht mehr alles gefallen. Inzwischen gebe sie auch mal Kontra, diskutiere oder fordere einen neuen Sachbearbeiter.
Auf der Suche nach Arbeit hat ihr auch das nicht weitergeholfen. Aber das ist nicht alles: „Meine ganze Energie und Konzentration ist mit der Wohnungssuche verballert.“ Manchmal beschleiche sie die Angst vor der Obdachlosigkeit. Dabei ist sie keineswegs wählerisch. Eine schulische Ausbildung, die ihr vom Jobcenter in Aussicht gestellt worden ist, würde sie gerne machen.
Die Kaffeetasse ist mittlerweile abgeräumt, nun klammert Elsa sich an ihr Handy. Fragt man sie nach ihren Träumen für die Zukunft zögert sie lange. „Da habe ich gar keinen Kopf für“, sagt sie, über eine Minute später, aber laut und klar. „Ich habe kein Fundament, auf dem ich aufbauen kann.“
* Name geändert
* Sie selbst bezeichnet sich als nicht-binär.
Also, habe gerade über eine fb Gruppe von diesem Artikel erfahren und bin nicht glücklich damit, wie die Redaktion mit der interviewten Person umgegangen ist. Gemeint ist, dass auf Ihren Wunsch, im Artikel bitte keine weiblichen Personalpronomen zu verwenden, auch nach mehrmaliger Bitte nicht eigangen wurde. Ich kann zwar verstehen, dass es für den otto normal-Leser ungewohnt ist, innerhalb des Textes andere Personalpronomen zu finden – ich finde aber auch, dass die Aktion die ja eigentlich wünschenswerte Auseinandersetzung mit Nichtbinär in der Mainstreampresse irgendwie ad absurdum führt. Ich fänd es toll, wenn Fink.HAMBURG sich der Kritik annehmen und den Artikel entsprechend anpassen könnte.
Lieber Lucas,
vielen Dank für deine Anmerkung. Uns war es wichtig, die Anonymität der Person im Text zu wahren, so wurde es im Vorfeld mit der Person abgesprochen. Deshalb, und auch das wurde im Vorfeld abgesprochen, haben wir diese Perspektive im Text gewählt. Wir werden die Person im Text nicht nachträglich de-anonymisieren und auch keine Kommentare freischalten, in denen das geschieht. Dass die betreffende Person sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnet, ist im Text frühzeitig und unmissverständlich benannt.
Durch eine Verlinkung innerhalb des Textes zu einer aufklärenden Seite zum Begriff “nicht-binär” sind zudem wir dem Wunsch der Person entgegengekommen, ausführlich darzulegen, wie die Person sich selbst identifiziert.
Liebe Grüße,
FINK.HAMBURG
Liebe Redaktion,
eigentlich ein guter Artikel und ein wichtiges Thema – danke dafür –
aber Formulierungen wie “Der Stimme und den Gesichtszügen nach zu urteilen ist Elsa ein Mann, sie kleidet sich aber wie eine Frau” können einerseits sehr verletzend sein, vor allem vermitteln sie aber ein falsches Bild von trans Identitäten. Ihr schreibt selbst, dass die Person nicht-binär ist. Folglich IST sie auch nicht -irgendwelchen willkürlichen Dingen nach “zu urteilen” – “ein Mann”, und kleidet sich irgendwie nebenher “als Frau”. Leser_innen nehmen das auf und wiederholen diese Verletzungen und Missverständnisse.
Sich dieser Themen anzunehmen ist wichtig, ich hoffe ihr tut es weiterhin, und der Wohnungsmarkt ist auch ein gutes, sehr konkretes Beispiel für zahlreiche heteronormative/transfeindliche Diskriminierungen in unserer Gesellschaft.
Um diese Mechanismen nicht selbst (mehr oder weniger unbewusst) zu reproduzieren (wenn in einem Team ohne trans Personen gearbeitet wird – was sich idealerweise mittelfristig ändert) ist es aber wichtig gut zuzuhören und bereit zu sein dazuzulernen, von Menschen, die direkt Erfahrung mit diesen Diskriminierungen machen.
Dann können Patzer wie der oben zitierte Satz vermieden werden und am Ende sind wir alle schlauer! Das klappt aber eben nur in einem ernsthaften Dialog, sonst wird es fast immer zum Sprechen-Über und Reproduzieren von Machtgefällen bzw. Ausnutzen von Stories.
Ich persönlich finde diese Quelle hier lesenswert: http://www.transinterqueer.org/download/Publikationen/TrIQ_Journalist_innen-2.%20Aufl.-web(2).pdf
Alina
Liebe Alina,
vielen Dank für deine konstruktiven Anmerkungen. Wir als Redaktion sind offen für Kritik.
Wir verstehen, dass dieses Thema sensibel ist und besonderer Aufmerksamkeit bedarf.
Liebe Grüße
FINK.HAMBURG
Guter Artikel!
Gerade auch der Umgang mit dem doch augenscheinlich schwierigen Interviewpartner/in. Auf Facebook hat sich diese Person selbst de-anonymisiert. Fink.Hamburg und der betreffende Journalist war zu jederzeit freundlich und professionell! Ein Lob dafür!
Ich bleibe mit einem „Like“ dabei und freue mich über weitere interessante Artikel!