Hafen bedeutet für viele Landungsbrücken und Elbphilharmonie. Wenige hundert Meter entfernt sitzen Seeleute der Kreuzfahrtschiffe mitten im Hafen in der Seafarers Lounge. Auch sie sind Gäste in Hamburg, haben aber keine Zeit, die Stadt zu besuchen. Dafür kaufen sie massenweise Süßkram.
Fünf Uhren über dem Tresen zeigen die Zeit in verschiedenen Seefahrernationen an. Manila 21:40 Uhr, Jakarta 20:40 Uhr, Delhi 19:10 Uhr, Moskau 16:40 Uhr. In Hamburg ist es 15:40 Uhr und die Eröffnung des Hafengeburtstags steht kurz bevor. Von den Menschenmassen an den Landungsbrücken bekommen die jungen Männer in der Seafarers Lounge am Kronprinzkai in Steinwerder nichts mit. Sie ruhen sich aus, telefonieren mit der Familie, kaufen im Kiosk ein oder trinken ein Bier. In weniger als einer Stunde müssen sie zurück an Bord des Kreuzfahrtschiffes sein, auf dem sie arbeiten.
Die Lounge sieht aus wie eine Mischung aus Wohnzimmer, Bar und Kiosk. Es ist voll. Überall sind Gespräche auf unterschiedlichen Sprachen zu hören. Durch das Fenster sieht man die orangefarbenen Rettungsboote und Balkone der MSC Meraviglia. Palettenweise Kartoffeln und Sprühsahne werden mit Gabelstaplern und Kränen auf das Kreuzfahrtschiff verladen. Es ist der Arbeitsplatz der meisten Seemänner, die hier gerade ihre freie Zeit verbringen.
Heimat in der Fremde
An allen drei Kreuzfahrtterminals Hamburgs gibt es Seafarers Lounges. Sie sind auf die Bedürfnisse der Seeleute zugeschnitten und gehören zur Deutschen Seemannsmissionen Altona sowie Hamburg-Harburg. Deren Leitgedanke ist die christliche Nächstenliebe. Trotzdem: “Orte wie die Seafarers Lounge stehen ausdrücklich allen Nationalitäten und Religionen offen. Schließlich kommen die Seeleute aus der ganzen Welt und haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe”, sagt Markus Wichmann, Leiter der Einrichtungen.
Die Räume liegen meistens im Sicherheitsbereich der Terminals, damit die Seeleute bei der Einreise- und Zollkontrolle keine Zeit verlieren. Das Team, das den Betrieb sicherstellt, besteht aus Bundesfreiwilligen und Ehrenamtlichen. 30.000 Seeleute wurden von ihnen im vergangenen Jahr betreut.
Schokolade, Nudelsuppe, Schweinekrustenchips
Ronald, Eduardo und Pablito sitzen auf einer Bank vor dem Eingang zur Lounge. Ronald hält eine Tüte Bananenchips und sein Smartphone in den Händen. Er isst, telefoniert mit seiner Familie und unterhält sich gleichzeitig mit seinen Kollegen Pablito und Eduardo. “Auf dem Schiff gibt es zwar Wifi, das ist aber teuer und nur sehr langsam. Facebook only”, sagt Ronald grinsend.
Die Seefahrer arbeiten in einem der Restaurants des Kreuzfahrtschiffes. In der Lounge kaufen sie gerne ein, denn die Preise sind niedriger als an Bord. 50.000 Tafeln Schokolade gingen 2017 an den drei Standorten über die Theke. Deutsche Schokolade ist unter den Seeleuten sehr beliebt. Sie kaufen sie in großen Mengen für Freunde und Familie. Indonesische Gäste greifen zur Nudelsuppe, dänische und philippinische Seeleute essen am liebsten Schweinekrusten-Chips.
Pro Jahr sind die Mitglieder einer Seemannschaft nur zwei bis drei Monate zu Hause bei ihren Familien. Ob die drei Filippinos bei ihrer nächsten Fahrt wieder zusammen arbeiten werden, ist ungewiss, denn ihre Arbeitseinsätze werden von Crew-Agenturen geplant.
Kreuzfahrtschiffe: Sozialer Wohnungsbau auf hoher See
Direkt vor der Seafarers Lounge liegt die MSC Meraviglia, ein Kreuzfahrtschiff der italienisch-schweizerischen Reederei Mediterranean Shipping Company, 315 Meter lang und 43 Meter breit. Sieben Tage die Woche, acht Monate am Stück arbeiten Ronald, Eduardo und Pablito auf dem Schiff. Insgesamt ist Platz für 1.500 Crewmitglieder und 5.700 Gäste. Damit ist die MSC Meraviglia das Schiff mit der größten Passagierkapazität, das bislang Hamburg angelaufen hat. An Bord gibt es unter anderem zwölf Restaurants, mehrere Bars und jede Menge Freizeitbereiche wie den Aquapark, die Bowlingbahn, ein TV-Studio und Theater. “Meraviglia” heißt auf italienisch “Wunder”. Kritiker bezeichnen Schiffe dieser Größe hingegen als sozialen Wohnungsbau auf hoher See.
Ein Arbeitstag an Bord hat bis zu 14 Stunden
Nach Auskunft von MSC gibt es für die Besatzung eigene Freizeiteinrichtungen wie einen Pool und Fitnessbereich, einen Shop sowie eine Bar und Bibliothek. Veranstaltungen wie Crew-Karaoke, Talentshows und Galaabende würden eigens für die Mitarbeiter organisiert. Ihre Freizeit ist jedoch sehr begrenzt, es bleibt wenig Zeit für Hobbys oder einen Landgang im Hafen. “Der Großteil unserer Besatzung wird für elf Arbeitsstunden pro Tag vergütet, von denen drei als Überstunden gewertet werden”, so die Pressestelle von MSC. Laut Seearbeitsübereinkommen dürfen die Seeleute sogar 14 Stunden am Tag beziehungsweise maximal 72 Stunden pro Woche arbeiten.
Kostbare freie Zeit
Um ihnen die wenige freie Zeit so angenehm wie möglich zu machen, engagiert sich Markus Wichmann seit zehn Jahren für die Deutsche Seemannsmission. Zusätzlich zu seinem BWL-Studium wollte er immer etwas im sozialen Bereich machen. Zunächst arbeitete er zwei Jahre ehrenamtlich für die Seemannsmission, bevor er mit Gründung der Seafarers Lounge 2010 hauptamtlich deren Leitung übernahm.
“Wir erlauben den Gästen die kleine Flucht aus dem Alltag und bringen den internationalen Gästen etwas Heimatgefühl”, so Wichmann über seine Arbeit und ergänzt: “Wir bieten ihnen vieles für den täglichen Bedarf zu sozialverträglichen Preisen.” Der monatliche Lohn von Ronald, Eduardo und Pablito beträgt ungefähr 1.200 US-Dollar. Mit Trinkgeldern sind auch 1.700 US-Dollar möglich, erzählen sie. Ein Großteil des Geldes schicken sie in die Heimat zu ihrer Familie.
Die Arbeit der Seafarers Lounge wird zu circa zehn Prozent durch die freiwilligen Schiffsabgaben der Reedereien gedeckt. Der restliche Teil wird durch Spenden und vor allem durch die Verkäufe in den kleinen Shops der Lounges finanziert.
In Hamburg sagt man Tschüss
Mittlerweile zeigt die Hamburger Uhr kurz nach 16 Uhr an. Ronald, Eduardo, Pablito und die anderen Sefahrer haben sich von ihren Frauen am Telefon verabschiedet und die letzten Chips aufgegessen. Jetzt eilen sie zurück zum Schiff. Um 16:30 Uhr beginnt ihre Schicht. Von Hamburg haben sie dieses Mal wieder nichts gesehen. Das sind sie aus vielen anderen europäischen Häfen gewohnt. Einen Kühlschrankmagneten in Michel-Form kaufen sich viele der Seefahrer trotzdem, als Mitbringsel für Zuhause.
Entwicklung des Kreuzfahrttourismus in Hamburg
Die Kreuzfahrtbranche in Hamburg entwickelt sich seit Jahren rasant. Mittlerweile gibt es im Hafen drei Kreuzfahrtterminals: Hafencity, Altona und Steinwerder. In diesem Jahr werden 880.000 Gäste bei 220 Schiffsanläufen erwartet. Vor zehn Jahren brachten 61 Schiffe noch 90.000 Gäste nach Hamburg. Die Hamburger Wirtschaft freut sich über das Wachstum der Branche, denn die Gäste nutzen vor und nach der Schiffsreise Hotels und Restaurants, besuchen kulturelle Einrichtungen und gehen einkaufen. Auch Schiffsausrüster, Werften und andere Dienstleister profitieren davon. Die Handelskammer hat zuletzt 2013 eine Wertschöpfung von 270 Millionen Euro durch die Kreuzschifffahrt errechnet. Der Naturschutzbund (Nabu) blickt kritisch auf den Kreuzfahrtboom, vor allem weil zurzeit nur ein Schiff regelmäßig die Landstromanlage in Altona nutze. Alle anderen Schiffe ließen ihre Motoren auch im Hafen laufen und produzieren dabei Abgase mit hoher Schadstoffkonzentration, die der Umwelt und den Menschen in Hamburg schaden.