Der Eingang im Innenhof führt zur Cantina Fux & Ganz.
Der Haupteingang der ehemaligen Viktoria-Kaserne wird noch renoviert. Über den Innenhof gelangt man zu der Cantina Fux & Ganz. Foto: Anika Schnücke.

Nach langem Kampf gegen Verdrängung hat ein Kollektiv aus Künstlern und Gewerbetreibenden einen Ort für Kultur und Bildung geschaffen – zu günstigen Mieten. Ein Gang durch die ehemalige Viktoria-Kaserne führt zu den Ateliers, Seminarräumen und Werkstätten der Genossenschaft Fux eG.

Das Gebäude der Genossenschaft Fux eG.
Der Haupteingang zur Kaserne muss noch fertiggestellt werden. Foto: Anika Schnücke

Das dichte Grün der Baumkronen liegt wie ein Dach über der Straße, Vögel zwitschern und nur vereinzelt rattert ein Auto über das Kopfsteinpflaster. Es wirkt idyllisch hier mitten in der Stadt, doch lautstarkes Hämmern durchbricht diese Ruhe. Der Lärm kommt aus dem großen alten Gebäude aus rotem Backstein zwischen Zeiseweg und Bodenstedtstraße. Hinter den massiven Backsteinmauern verbirgt sich mehr als eine Baustelle: Etwa 220 Genossinnen und Genossen arbeiten hier.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie besonders das ist. Die 2013 gegründete Fux-Genossenschaft setzt sich aus dem Frappant e.V. und der Initiative Lux und Konsorten zusammen. Beide Gruppen kämpften zuvor gegen die Verdrängung ihrer Arbeitsplätze. Das Frappant-Gebäude sollte dem IKEA-Bau in Altona weichen. Es folgten Besetzungsaktionen. Lux und Konsorten behängten das leerstehende Electrolux-Gebäude mit Transparenten. Die Stadt entschied, den Kreativen die Viktoria-Kaserne zur Zwischennutzung zur Verfügung stehen. 2015 kaufte das Kollektiv den stark sanierungsbedürftigen Komplex nach langen Verhandlungen für 1,8 Millionen Euro der Stadt Hamburg ab.

9.000 Quadratmeter Fläche für die Genossenschaft

Tanja Schwichtenberg ist Coach und Beraterin in der Genossenschaft Fux eG
Tanja Schwichtenberg engagiert sich als Genossin in der Arbeitsgruppe für Öffentlichkeitsarbeit. Foto: Anika Schnücke

Tanja Schwichtenberg weiß, wie man auf der 9.000 Quadratmeter großen Fläche schnell an sein Ziel kommt. Sie arbeitet als selbstständige Beraterin im sozialen Bereich und hat einen Raum in der Viktoria-Kaserne für ihre Supervisionen angemietet. Als Genossin engagiert sie sich ehrenamtlich in der Arbeitsgruppe für Öffentlichkeitsarbeit. Jetzt steht sie in einem Treppenhaus, dessen hohen Wände blanke Mauern sind und achtet darauf, dass sich nicht zu viel Baustaub unter ihren Sohlen festsetzt.

“Diese Cantina ist schizophren.”

Genossenschaft Fux eG
Die Fux eG ist aus dem Zusammenschluss des Frappant e.V. und dem Kollektiv Lux und Konsorten entstanden. Ziel der Genossenschaft ist günstigen Mietraum für Kleingewerbe und Künstlerinnen und Künstler zu schaffen. Die ehemalige Viktoria-Kaserne soll ein gemeinschaftlich betriebener Ort für Kunst, Kultur und Bildung sein. Geld wird solidarisch investiert. Die Mitgliedsanteile bilden das Eigenkapital der Genossenschaft. Mehr zur Fux eG.

Direkt neben dem Treppenhaus führt ein kleiner Gang zur Cantina Fux & Ganz. “Wir sind der Treffpunkt von innen und außen: Bei uns kommt die Nachbarschaft zusammen”, sagt der Mann hinter der Theke, Andrés Troya. Die Melodie seiner Stimme fängt sich in der südamerikanischen Musik, die durch die Kantine klingt. Kantine scheint jedoch der falsche Begriff für diesen Ort zu sein. “Diese Cantina ist schizophren. Sie kann sich nicht entscheiden, was sie sein will: Restaurant, Treffpunkt der Nachbarschaft oder Ort zum Feiern und Tanzen”, sagt Troya. Somit sei sie alles in einem und damit gut. Nebenbei bereitet er einen Kaffee Americano für den Mann vor, der sich gerade an den Tresen gesetzt hat. Stammgäste gibt es viele – die muss Troya nicht erst nach ihrem Wunsch fragen.

Empanadas und Kartoffelpuffer

Andrés Troya steht hinter dem Tresen der Cantina Fux & Ganz in der Genossenschaft Fux eG.
Andrés Troya ist einer von drei Leitern der Kantine in der ehemaligen Viktoria-Kaserne. Foto: Anika Schnücke

Der gebürtige Ecuadorianer mit der grauen Kappe ist einer von drei Leitern der Cantina Fux & Ganz. Argentinien, Ecuador und Süddeutschland – die Herkunft der drei Betreiber spiegelt sich in der Küche wieder. Empanadas und Kartoffelpuffer stehen auf der Wochenkarte. Im März 2017 wurde das erste Mittagessen serviert, seitdem kommen bis 18 Uhr täglich Mitglieder der Fux eG und Anwohner vorbei. “Jetzt sind wir schon ein Jahr alt und hatten noch keine Eröffnungsparty”, sagt Andrés Troya und lässt seine Mundwinkel in gespielter Traurigkeit nach unten sinken. Die komme aber, sobald der Haupteingang fertiggestellt sei.

Miete für fünf Euro netto

Zurück im Treppenhaus erklärt Tanja Schwichtenberg, dass die Viktoria-Kaserne langfristig zu günstigen Mieten nutzbar sein soll. “Wir sind mit fünf Euro netto pro Quadratmeter gestartet”, sagt sie. Die Mieten seien auf eine längere Zeit kalkuliert, aber Schwichtenberg fügt hinzu: “Man kann nicht immer alles vorhersehen. Bei einem Bau dieser Größe entstehen plötzlich Kosten, die man nicht einkalkulieren kann.”

die Genossenschaft Fux eG saniert das Gebäude denkmalgerecht.
Die ehemalige Viktoria-Kaserne wird denkmalgerecht saniert und modernisiert. Foto: Anika Schnücke

Nicht weit entfernt liegen Bienenwaben in einer Kiste. Sie gehören zum Campus für Permakultur. Edouard van Diem ist Permakultur-Designer: “Dabei geht es darum, lebendige und zukunftsfähige Systeme zwischen Mensch und Natur zu gestalten. Das können zum Beispiel essbare Parks oder essbare Städte sein”, sagt er. Van Diem geht an das große bogenförmige Fenster, das viel Licht in den Raum lässt, zupft ein Blatt von einer Pflanze und steckt es sich in den Mund. Jedes Gewächs auf seiner Fensterbank ist essbar, häufig kocht er sich einen Tee aus den frischen Blättern.

“Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, anders zu arbeiten.”

Eduard van Diem ist Permakultur-Campus in der Genossenschaft Fux eG.
Eduard van Diems Büro gehört zum Permakultur-Campus. Foto: Anika Schnücke

Erst vor wenigen Tagen ist er aus Afrika zurückgekehrt, seine Haut ist noch von der Sonne gebräunt. Dort betreut Van Diem drei bis vier Monate im Jahr Permakultur-Projekte. Am Campus in der Victoria-Kaserne unterrichtet er Auszubildende im ökologischem Bauen – Low-Tech statt High-Tech – oder doziert über Komplementärwährungen und Tauschgeschäfte. Bevor er in diese Räume zog, arbeitete er auf dem Dachboden über seiner Wohnung: “Das ist echt ein Quantensprung. Für mich ist es großartig meine Kollegen und die Möglichkeit zum Austausch zu haben. Bei dem Kasernenkonzept ist ganz viel möglich. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, anders zu arbeiten.”

Kreativität im Quartier Okapi

Die Kaserne ist mit ihren langen Gängen, die auf mehreren Etagen verlaufen und durch Treppenhäuser verbunden sind, wie ein Labyrinth. Hinter jeder Tür wartet ein neuer Arbeitsbereich. In den einzelnen Etagen organisieren sich die so genannten Quartiere selbst. “Die Quartiere sind ein bisschen wie WGs in einem großen Haus”, so Tanja Schwichtenberg.

„Die Quartiere sind ein bisschen wie WGs in einem großen Haus.“

Ein Zeichenraum im Gebäude der Genossenschaft Fux eG.
Die Räume werden auf unterschiedliche Weise genutzt. Neben Karin Krölls Büro befindet sich ein Zeichenraum. Foto: Anika Schnücke

Im Quartier Okapi haben Kommunikationsdesigner und Illustratoren einen Arbeitsort gefunden. Vorher bewohnten sie ein Haus in der Blücherstraße, das sie räumen mussten, da es abgerissen werden sollte. Eine schwierige Situation, die durch den Umzug in die Kaserne gelöst wurde. Karin Kröll sitzt nun in einem lichtdurchfluteten, schmalen Büro. Nur die Gewölbedecke und der rot geflieste Boden erinnern daran, dass der Raum einst als Latrine genutzt wurde. Die Grafikerin arbeitet an einem Kinderbuch. Nebenbei ist sie ehrenamtlich Mitglied des Aufsichtsrats der Genossenschaft. Zwar sei das ein großer Aufwand neben dem Tagesgeschäft, aber man müsse Verantwortung übernehmen, damit die Genossenschaft von allen getragen werde.

Lange Warteliste

Geschichte zwischen Backsteinen
Bevor die Genossinnen und Genossen der Fux eG die ehemalige Viktoria-Kaserne bezogen, hatte das Gebäude viele Nutzungsweisen. Von 1878 bis 1883 erbaute das Land Preußen die Kaserne in Altona. Während des Nationalsozialismus hatte die Gestapo Schleswig-Holstein für zwei Jahre ihren Sitz in dem Gebäude. In weiter westlich gelegenen Hallen wurden 1933 politische Gefangene inhaftiert, ab 1938 auch zu deportierende staatenlose Juden. Es folgten Jahre der Nutzung durch Polizei und Zoll. Von den ursprünglich drei Kasernenblöcken steht heute nur noch der Dritte. Im Innenhof zeigen Infotafeln die Zeit von 1878 bis heute. Außerdem werden regelmäßig historische Führungen angeboten. Mehr zur Geschichte der ehemaligen Viktoria-Kaserne.

Im nächsten Flur lehnt ein Fenster an der Wand. Der dunkelgrüne Rahmen zeigt den Originalfarbton der Fensterrahmen, die im Laufe der Jahre weiß gestrichen wurden. Die Räume in diesem Teil des Gebäudes müssen noch saniert werden. Ist ein Raum fertig, kann innerhalb der Kaserne umgezogen werden und neue Ateliers oder Büros entstehen. “Es ist ein bisschen wie Tetris spielen”, sagt Tanja Schwichtenberg.

Wichtig sei, dass die Räume lebendig genutzt werden und nicht nur als Lagerfläche verkommen. Zurzeit gibt es einen Aufnahmestopp für Interessierte, die mit ihrem Gewerbe in die Kaserne ziehen möchten: “Es gibt eine lange Warteliste.” Wenn man seinen Arbeitsraum in Zukunft aber zum Beispiel nicht mehr alleine nutzen möchte, kann ein weiterer Genosse oder eine weitere Genossin hinzukommen.

Haarschnitt im Ex-Treppenhaus

Friseurin Doris Grahl ist nutzende Genossin in der Fux eG.
Der Friseursalon von Doris Grahl befindet sich in einem ehemaligen Treppenhaus. Foto: Anika Schnücke

Jeder Winkel wird in der ehemaligen Kaserne ausgenutzt. Der Friseursalon von Doreen Grahl etwa befindet sich im Erdgeschoss des ehemaligen Treppenhauses. Vorher-Nachher-Bilder hängen über den braunen Schalensitzen an der Wand.

“ICH HABE EIN FAIBLE FÜR ARBEITSEINSÄTZE.”

“Wir sind hier etwa 220 nutzende Genossinnen und Genossen, das sind auch 220 potenzielle Kundinnen und Kunden für mich”, sagt sie. Grahl sorgt nicht nur für neue Haarschnitte, bei Umzügen innerhalb der Kaserne meldet sie sich gerne freiwillig: “Ich habe ein Faible für Arbeitseinsätze.” Gegenseitige Unterstützung ist in der Genossenschaft unerlässlich, sagt Tanja Schwichtenberg. “Damit wir diesen Ort gemeinschaftlich betreiben und die günstigen Mieten halten können, müssen alle mithelfen.”

Ein einziger Besuch reicht kaum aus, um in jedes Atelier und Büro oder in alle Werkstätten zu schauen. Mit wenigen Schritten gelangt man von dem Friseursalon durch einen Seiteneingang erneut auf das Kopfsteinpflaster des Zeisewegs. Die Kaserne bleibt zurück. Seit mehr als hundert Jahren steht sie fest an dieser Stelle, doch ihr Fundament ist seit dem Einzug der Fux eG ein anderes.

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