Mützen, Socken, Schals: 2018 haben die “Wooligans” mehr als 4000 Teile gestrickt. Und damit vielen Obdachlosen in Hamburg geholfen. Wie die Initiative entstand, wer mitmachen kann und warum Stricken alles andere als langweilig ist.

Draußen ist es kalt, die Temperaturen liegen seit einigen Tagen um den Nullpunkt. Ohne Handschuhe oder Schal friert man schnell. Kaum betritt man am letzten Sonntag im Monat den AWO-Treff Louise Schroeder wird einem warm. Man hört das Lachen bis in den Flur. Im Eingang stehen schon die Kaffee- und Teekannen bereit, wer durch die Tür kommt wird  angelächelt und hereingebeten.

“Schön, dass ihr da seid! Wolle findet ihr da, Plätze bald nicht mehr.” Mit diesen Worten empfangen die Organisatorinnen altbekannte und neue Gesichter. Es ist Viertel vor vier, offiziell fängt das Treffen erst in einer Viertelstunde an. Plätze gibt es jetzt schon keine mehr.

Jeden dritten Sonntag im Monat treffen sich die selbsternannten “Wooligans” um 16 Uhr im AWO-Treff. Mit randalierenden Fußballfans hat die Gruppe jedoch gar nichts zu tun. Die Wooligans treffen sich um gemeinsam zu stricken oder zu häkeln (kurz: “sträkeln”). Nicht nur zum Spaß, sondern auch für den guten Zweck. Denn alles was die Wooligans sträkeln, wird an obdachlose Menschen in und um Hamburg verteilt, damit ihnen in den kalten Monaten warm bleibt.

Wooligans schenken Wärme

Die erste Inspiration für einen Namen waren Wortspiele von Friseursalons. Doch mit dem Wort Wolle und dem Anspruch, dass der Namen nicht platt sein sollte, war das nicht so leicht. Die Idee für den Namen Wooligans hatte dann eine Freundin von Gründerin Sarah. Der Name sei sofort hängengeblieben, sagt sie.

Sarah beschäftigt sich schon lange mit dem Thema Obdachlosigkeit. “Die Menschen ohne Obdach leiden unheimlich unter der Kälte. Nicht nur wegen der Temperaturen, sondern auch wegen der sozialen Kälte.” Es beginne bereits damit, dass sie auf der Straße sitzen und deshalb auf sie herabgeschaut wird. Um ihnen zu helfen, hatte Sarah die Idee, eine Strickgruppe zu gründen. Mit einem Anstoß durch die Clubkinder und dem Verein Wege aus der Einsamkeit e.V. wurde sie umgesetzt. Dass daraus ein Projekt dieser Größe geworden ist, kann sie kaum glauben. Gerade arbeiten die Gründerinnen daran, dass aus der Initiative ein Verein wird.

Die Plastikbehälter sind bis oben mit Wolle gefüllt. Foto: Melina Mork
Die Plastikbehälter sind bis oben mit Wolle gefüllt. Foto: Melina Mork

Eine Aktion gegen Einsamkeit

Die Tische sind vollbesetzt mit jungen und alten Frauen, alle ausgestattet mit Stricknadeln. Im Flur stehen riesige Plastikbehälter mit Wolle. Jedes Wollknäuel, das bei den Wooligans versträkelt wird, wurde gespendet. Farblich sortiert türmt sich die Wolle in den Behältern. Davor stehen Teilnehmerinnen, die sich ein Wollknäuel nach dem anderen aussuchen und mit zu ihrem Platz nehmen.

Die Menschen, die bei dem Treffen zusammen stricken, sind so bunt wie die Wolle im Flur. Das haben sich die Wooligans auch vorgenommen: Menschen jeden Alters, Geschlechts und Herkunft zusammenzubringen. Männermangel gibt es trotzdem noch.

Marion und Katharina sind heute das erste Mal hier und haben es sich in einer Ecke des Raumes gemütlich gemacht. Katharina strickt einen Schal, Marion hat gerade eine Socke angefangen. Sie haben über Facebook von den Wooligans erfahren und sind direkt zum nächsten Treffen gekommen. “Man weiß ja irgendwann nicht mehr, wohin mit den ganzen Sachen”, sagt Katharina. “Zwischenzeitlich hatte ich zehn Mützen zu Hause rumliegen.” Jetzt werden die Sachen gebraucht.

Teilnehmerinnen bewundern das entstandene Totenkopfhalstuch einer weiteren Teilnehmerin. Foto: Melina Mork
Teilnehmerin Karin bewundert das entstandene Totenkopfhalstuch einer weiteren Teilnehmerin. Foto: Melina Mork

Ein weiterer Sinn der Treffen ist es auch, alten Menschen einen Weg aus der Einsamkeit zu zeigen. Deswegen finden die Treffen immer im Altonaer Seniorentreff statt. Inge ist schon fast von Anfang an dabei, erzählt sie, seit die Wooligans sich im Café Schmidtchen getroffen haben. Sie hat über eine Anzeige in einer Zeitung von der Gruppe erfahren. Sie sitzt an einem großen Tisch und unterhält sich mit ihren Sitznachbarinnen. “Zu Hause strickt man ja immer alleine”, erzählt Inge. “Hier hat man Gesellschaft, kommt auf neue Ideen und lernt immer neue Menschen kennen. Das finde ich am schönsten.”

Fröhliche Farben für die dunkle Jahreszeit

Bei den Wooligans ist es egal, wie viele Kenntnisse jemand hat. Kommen darf jeder. Das Einzige, was TeilnehmerInnen mitbringen müssen ist gute Laune, schreiben die Organisatorinnen auf ihrer Webseite.

Alle Infos zum nächsten Treffen

Das nächste Treffen der Wooligans findet am 17. Februar im AWO-Treff Louise Schroeder (Gefionstraße 3, 22769 Hamburg) statt.

Jede*r darf kommen, Strickkenntnisse sind nicht  vorausgesetzt.

Jennifer, Andrea, Anni und Alexandra haben zusammen 74 Jahre und einen Monat Strickerfahrung. Den einen Monat bringt Jennifer mit. Sie kommt jetzt zum zweiten Mal zu einem Wooligans-Treffen. Stricken gelernt hat sie letzten Monat von einer anderen Teilnehmerin. Seitdem übt sie fleißig und strickt gerade an ihrem ersten Schal – in Knallrot. Mit den bunten Farben wollen sie ein bisschen Farbe in das Leben auf der Straße bringen. Jennifer hat auch überlegt, wie sie helfen kann und war von den Wooligan-Treffen begeistert. Besonders, weil die gestrickte Kleidung nicht so vergänglich ist.

Alexandra und Andrea stricken beide seit mehr als 30 Jahren. Die Wooligans sind trotzdem etwas Besonderes für sie. “Ich weiß, dass es mir gut geht. Geld kann ich vielleicht nicht geben, aber dafür Zeit und Wärme”, sagt Andrea. “Vor allem: Stricken kann man ja auch nach der Arbeit beim Fernsehen. Da nutzt man die Zeit für etwas Gutes.”

Alexandra findet besonders schön, dass die Obdachlosen etwas Selbstgemachtes bekommen. “Jeder von uns kann in den Laden gehen und sich eine Mütze kaufen. Menschen, die auf der Straße leben, können das nicht. Und sie wertschätzen es besonders, wenn sie etwas Gestricktes bekommen.”

“Dieses Genieren muss ja nicht sein”

Auf dem Flur sitzen Dennis und Dorothee. Sie sind aus Oldenburg angereist und haben im Raum nebenan keinen Platz mehr bekommen. Vom Stricken hält sie das allerdings nicht ab. Dennis hat ein selbstbedrucktes T-Shirt an: “#Knitnerd_Dennis” steht auf seiner Brust geschrieben. Seit Dorothee ihn dazu verdonnert hat, ist er ein wahrer Strickenthusiast. “Ich arbeite auf dem Bau, abends zu stricken ist für mich Beruhigung”, sagt er.

Dennis und Dorothee stricken im Flur des AWO-Treffs. Foto: Melina Mork
Dennis und Dorothee stricken im Flur des AWO-Treffs. Foto: Melina Mork

Er und Dorothee stricken überall: 365 Tage im Jahr, egal wo, egal was. In Wartezimmern, Cafés und im Park. Schräge Blicke oder Kommentare wegen ihres Alters oder Geschlechts bekommen sie oft. Bei den Wooligans ist das anders. Selbst als Dennis der einzige Mann auf dem Treffen war, hat ihn das nicht gestört: “Es war einfach egal. Man wird hier von jedem sehr, sehr herzlich aufgenommen.”

Beim letzten Treffen haben sie einen ganzen Karton Strickwaren mitgebracht. Dorothee hat schon als Jugendliche gestrickt. Am liebsten Socken, Socken gehen immer. Ihr Tipp für alle, die stricken lernen wollen: “Setz dich einfach dazu, wir zeigen es dir. Man ist nie zu jung oder zu alt, um stricken zu lernen.”

Aus Stricken wurde mehr

“Wir stricken auch nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr hindurch”, sagt Sarah. Sie und ihre Mitgründerinnen organisieren die Treffen in ihrer Freizeit. Und wenn es so läuft wie heute, dass die Gäste alle zufrieden sind, lachen und Spaß haben, ist sie komplett zufrieden. Im Jahr 2018 haben die Wooligans insgesamt 4.538 Teile gestrickt. Darunter: Mützen, Socken, Gärtnerhandschuhe, Stulpen oder Schals. Die Teile kamen nicht nur aus Hamburg, sondern auch aus ganz Deutschland. Denn Mitorganisatorin Meike arbeitet bei der Post und hat eine Annahmestelle für Pakete eingerichtet, nachdem immer mehr Menschen von außerhalb angefragt haben, wie sie denn helfen können. Viele haben über die Medien von den Wooligans erfahren.

Die Organisatorinnen der Wooligans zählen die gespendeten Strickwaren mit einer Strichliste.
Die Organisatorinnen der Wooligans zählen die gespendeten Strickwaren mit einer Strichliste. Foto: Melina Mork

“Wir werden fast überrannt”, sagt Meike. “Gerade stehen 23 Pakete bei uns im Lager.” Nachdem die Postfiliale und Meikes Wohnung zu klein wurden, mussten die Pakete in ein Lager umziehen. Aber auch das wird langsam zu klein. Meike freut sich trotzdem immer, wenn sie sieht, was die Leute alles geschickt haben.

Die sortierten Strickwaren werden von Helferinnen an die Obdachlosen verteilt. Manchmal auch auf kurzem Weg: “Heute war beispielsweise ein Mann da, der hat sich ein einziges Paar Socken abgeholt, für einen Herren, den er immer auf seinem Arbeitsweg sieht”, freut sich Organisatorin Ina über das Engagement der Menschen.

Verteilung über Hamburgs Helferstruktur

Der Rest wird gleichmäßig auf die verschiedenen Hilfsorganisationen Hamburgs verteilt und über die Webseite transparent kommuniziert. “Hamburg hat bereits eine sehr gute Helferstruktur”, sagt Gründerin Sarah.” Da mussten wir nicht selbst mit dem Bollerwagen umherziehen.” Um alles zu verteilen, arbeiten sie beispielsweise mit den Bergedorfer Engeln, dem Cafée mit Herz oder auch dem gerade gestarteten Kältebus zusammen. Anfangs waren diese noch skeptisch, als die Wooligans mit den Strickwaren zu ihnen kamen. Aber mittlerweile sind die Wooligans eine feste Institution und die Spenden werden gerne genommen.

Sozialarbeiterin Julia Radojkovic von der Mobilen Betreuung des Cafée mit Herz ist begeistert von den Wooligans und empfindet das Projekt als große Bereicherung: „Das ist unglaublich, was die Organisatorinnen auf die Beine gestellt haben. So etwas gab es vorher noch nicht und auch die Obdachlosen sind begeistert von den Strickwaren.“ Besonders, weil die Teile so seien „wie von Muttern“.

Und die Bilanz heute? Diesmal waren mehr als 60 TeilnehmerInnen da. Sie befüllten sieben große, blaue Tüten mit Strickwaren. Als die Wooligans den Treff verlassen, sind es minus vier Grad. Dass obdachlose Menschen bei diesem Wetter teils draußen schlafen, ist für Menschen mit Obdach kaum vorstellbar. Dank der Wooligans haben es einige von ihnen ein bisschen wärmer.