Ein Projekt droht zu scheitern: Nachdem die Esso-Häuser an der Reeperbahn abgerissen wurden, durften ehemalige Bewohner das neue Quartier mitplanen. Nun werfen sie dem Investor unlautere Methoden vor. Ein Zwischenstand.
Die Natur scheint sich die gut 6000 Quadratmeter große Fläche am Spielbudenplatz auf St. Pauli langsam zurückzuholen. Gestrüpp wächst zügellos die letzten verbliebenen Brocken der ehemaligen Esso-Häuser hinauf. Äste, Moos und Blätter – braune, grüne, rote – zieren die Brachfläche zwischen Reeperbahn und Kastanienallee. Ein paar kaputte Weinflaschen liegen herum, Raben picken in Müllsäcken herum, Tags sind an die Holzverkleidung geschmiert, die das Gelände umgeben.
Fünf Jahre spiegeln sich in dieser Szenerie. So lange ist es her, dass auf dem Gelände die Esso-Tankstelle und zwei Wohnkomplexe standen. Eine architektonische Glanznummer waren die Bauten bei weitem nicht, viel mehr hatten sie einen emotionalen Wert für St. Pauli. “Die Esso-Tankstelle war ein Treffpunkt”, sagt Frank Egel, St. Paulianer seit 25 Jahren. Hier cornerte man noch bevor Cornern en vogue wurde. “Das war gelebte Nachbarschaft”, so Egel.
Dann wurde der Komplex abgerissen. Dem ging ein langwieriger Konflikt zwischen Mietern und Investor voraus – der in einer Evakuierung der Gebäude wenige Tage vor Weihnachten 2014 gipfelte, wegen Einsturzgefahr.
Seit gut eineinhalb Jahren steht nun fest, was mit dem Gelände passieren soll: Enstehen soll das Paloma-Viertel, ein neues Quartier, zu großen Teilen geplant von und für die Bewohner des Stadtteils. So hieß es zumindest. Doch das Ganze stockt. Investoren, Politik und Anwohner verheddern sich in einem Dickicht aus Finanzierung, Zuständigkeiten und Kalkulationen. Wie war das mit “La Paloma” pfeifen noch gleich?
Die Nord-Süd-Passage ist in Gefahr
Konkret gestritten wird um das Baufeld 5, die Nord-Süd-Passage, eine 800 Quadratmeter große Fläche, die als “Nachbarschaftscluster” bespielt werden soll. Im öffentlichen Planungsbüro Planbude wurden vier Jahre lang Ideen und Konzepte gesammelt, um diesen Bereich zu gestalten. 2300 Beiträge wurden erarbeitet: aus Lego oder Knetmasse gebaute Konstruktionen, 3D-Prints, Fotocollagen, zusammengetragene Geschichten der Esso-Romantik, Ausschnitte aus Inspirationslesungen. Alles fein säuberlich in Aktenordnern archiviert. Viele dieser Ideen fanden den Weg in den städtebaulichen Vertrag. Nun sei das Projekt in Gefahr.
Frank Egel sitzt an diesem Sonntag in dem engen Container der Planbude, der an das Areal grenzt. Ihn umgeben all die Einfälle, festgehalten auf Papier und in Modellen. Der 49-Jährige ist Fotograf, Aktivist und DJ. Seine Gruß- und Abschiedsformeln sind invariabel: Er pflegt die etablierte Moin-Ahoi-Kombination. Seit 14 Jahren wohnt Egel im Niebuhr-Haus, dem markanten Hochhaus an der Reeperbahn. Er kennt viele Leute, viele Leute kennen ihn. Einige von ihnen lebten jahrzehntelang in den Esso-Häusern. Seine Hoffnung war, durch das Beteiligungsverfahren in der Planbude wenigstens ein bisschen vom Charme damaliger Tage wiederzufinden.
“Klare Versprechensbrüche”
Die Stadt und der Investor, das Immobilienunternehmen Bayerische Hausbau, stimmten vielen Ideen der Wunschproduktion zu, die dann im Mai 2018 im städtebaulichen Vertrag festgehalten wurden: Restaurants sollen entstehen, die Bars Molotow und Kogge zurückkehren, Kiez-typische Läden und Sozialwohnungen entstehen. Doch nun bröckelt die Vereinbarung. Der Vorwurf der Planbuden-Betreiber: Die Bayerische Hausbau bringe Konditionen im Vertrag unter, die so nie besprochen waren. “Das sind klare Versprechensbrüche”, sagt Frank Egel, der sich seit 2012 für das Projekt engagiert.
So habe der Investor ursprünglich zugesichert, einen Teil des Geländes, Baufeld 5 samt Nachbarfeld 4, zu verkaufen. Wenige Monate später habe sie das Angebot auf Baufeld 5 reduziert. St. Paulis SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Henriette von Enckevort, die seit 2013 in das Projekt involviert ist, weiß von dieser Abmachung allerdings nichts.
Zudem äußerte die Planbude den Vorwurf, die Bayerische Hausbau wolle an den Einnahmen des Musikclubs Moltow, die durch Veranstaltungen zustande kommen, beteiligt werden. Es gehe um zehn Prozent des Gewinns. Das ist so nicht vereinbart gewesen, sagt Egel.
Bernhard Taubenberger, Sprecher der Bayerischen Hausbau, betont hingegen, auf die Akteure im Stadtteil maximal zugegangen zu sein. Man habe sich vier Jahre lang in 50 Verhandlungsrunden zusammengesetzt und gemeinsam mit Menschen aus dem Kiez einen städtebaulichen Vertrag ausgearbeitet. “Unser kleines Grundstück drohte zeitweilig Gefahr, zum Sehnsuchtsort aller unerfüllten Wünsche von Politik und Stadtteil zu werden”, sagt er. “Mehr Kompromiss geht daher nicht.”
Es klafft eine Finanzierungslücke
Erstaunlich ist die Tatsache, dass nie eine Machbarkeitsstudie für die Pläne in Auftrag gegeben wurde, das geht aus den Gesprächen mit den beteiligten Akteuren heraus. “Das hätte passieren müssen, bevor der Vertrag aufgesetzt wurde”, so Egel.
Baugemeinschaften fingen nach Bekanntgabe des Bauvertrages schließlich selbst an zu kalkulieren. Mit dem Ergebnis: Ein Kauf des Teilareals sowie die Bebauung nach Wunsch seien nicht zu stemmen. Die Baukosten seien zu hoch und es klaffe eine riesige Finanzierungslücke. Alle Baugemeinschaften sprangen ab. Das Baufeld steht somit ohne Träger da. Nun prüft die Stadt Hamburg, ob sie das Areal kaufen kann, um die Wunschbebauung zu realisieren.
“So haben wir momentan ein Mehr an Möglichkeiten”, so SPD-Politikerin Henriette von Enckevort. Im städtebaulichen Vertrag seien wichtige Vereinbarungen festgehalten worden, sagt sie. “Aber jetzt geht es eben um die Umsetzung dessen, ins echte Leben.” Von Enckevort hält eine zu pessimistische Haltung für unnötig. Das Projekt sei noch immer mitten im Prozess. “Wir müssen mutig bleiben”, lautet ihre Parole.
Findet sich keine Baugemeinschaft für das Baufeld 5, darf die Bayerische Hausbau das Areal bebauen, ohne sich an die bisher ausgehandelten Rahmenbedingungen zu halten. Die mit den Bewohnern erarbeiteten Ideen um Kulturcluster und Sozialwohnungen würden mit ziemlicher Sicherheit scheitern: “Baut die Hausbau hier, wäre das rein profitorientiert”, so Egel. “Und dann wird das Quartier gesichtslos.”
Für Egels St. Pauli wäre das ein großer Verlust. In den Esso-Häusern wohnten Menschen zu günstigen Mieten, es gab die Russendisko und den Pornoladen Sexy Heaven. “Orte, an denen auch mal was schief ging.” Unperfekt, schmuddelig, sanktpaulig. Eine Großstadt brauche genau solche Orte, findet Egel. Heute bedeute Großstadt scheinbar HafenCity. “Irre teuer, keinen Vorteil des urbanen Lebens und du kennst noch nicht mal deinen Nachbarn.” Man müsse zurück zu ehrlichen Zuständen.
Der Charme von St. Pauli
Als es langsam dunkel wird, Frank Egel die Planbude schon längst abgeschlossen hat und die Frequenz der umherschwirrenden Leute auf dem Kiez merklich zunimmt, ist da ein Mann. Er geht die schwarze Holzverkleidung entlang, die das Areal umgibt. Bedächtig schaut er daran hinauf. Ob er wohl in Erinnerungen schwelgt? Den Müll, die Raben, die leeren Weinflaschen hinter der Barrikade kann er nicht sehen. Er stellt sein Bier ab, schaut zwei Mal über seine Schulter, tritt näher an den Zaun und pinkelt ihn an. Wie charmant.