Ein fitter Körper ist für viele das Ergebnis von Gerätetraining im Fitnessstudio. Alternative Sportarten wie Movement setzen auf ein Training, das neben dem Körper auch den Geist fordert.

Die Knie der Kursteilnehmer bewegen sich in einer Acht, im Kreis, dann gehen sie zu Boden. Sie bewegen sich in flüssigen Schwüngen wie Scheibenwischer durch die Luft und über den schwarzen Boden. Zu dem Lied „Movement“ von Hozier aus den Lautsprechern ist nur gelegentlich das dumpfe Geräusch von nackten Füßen zu hören, die sich durch den Raum bewegen.

Movement Trainer Egidijus Kel im Bewegungsflow.
Movement Trainer Egidijus Kel. Foto: Ljev- Visual Communication / Leon Farrenkopf (www.ljev-communications.com)

Im Athletics- und Movement-Kurs im Kampf- und Fitnessstudio Zanshin-Dojo in Hamburg Altona liegt der Fokus an diesem Sonntag auf dem Knie. Das größte Gelenk des Menschen wird durchgehend beansprucht und trägt dabei eine Last, die beim Gehen, Springen oder Stolpern dem drei- bis achtfachen des Körpergewichts entsprechen kann. Drehen, beugen, rollen: Im Bewegungs-Flow wärmen sich die Teilnehmer auf.

„Wenn es zwickt ist das ok, sogar gut,“ sagt Trainer Egidijus Kel. Er steht mittig im Raum, seine Beine bewegen sich wie die einer Puppe, die an unsichtbaren Fäden getragen wird. Seine Augen sind geschlossen. Um ihn herum bewegen sich die Köpfe der Kursteilnehmer immer wieder sanft auf und ab. Jeder ist vertieft in seine eigenen Bewegungen.

Tennis, Golf, Judo und Ballett gleichzeitig

Spielerisch erforschen, Aus der Linie gehen, Mobilität neu lernen: Beim Movement-Training geht es darum immer wieder Neues zu lernen. Ungefähr so, als würde man Tennis, Golf, Judo und Ballett gleichzeitig lernen. Das Gehirn bekommt ständig neue Reize und lernt permanent dazu. „Geistige und körperliche Leistungsfähigkeit hängen, wie mittlerweile nachgewiesen, zusammen. So ist es möglich mit Hilfe komplexer Bewegungen gezielt verschiedene Hirnareale zu aktivieren. Wenn unser zentrales Nervensystem während des körperlichen Trainings gefordert wird, hat das einen Einfluss auf unser psychisches Wohlbefinden.“ sagt David Hilmer, Fitnesstrainer und Sportwissenschaftler.

Frida Iversen steht wie der Rest der Gruppe an der schmalen Seite des Raumes. Die 24-jährige Stadtplanerin gehört zu den „Regulars“ in dem zweimal wöchentlich stattfindenden Kurs. Seit einem halben Jahr verpasst sie kaum eine Stunde. Sie beugt sich vor, bis sie mit ihren Händen den Boden berührt. Sie krabbelt mit den Händen ein paar Schritte nach vorne, bis ihr Rücken und ihre Beine gestreckt sind und ihr Körper und der Boden die Linien eines Dreiecks bilden. Dann tasten sich ihre Hände noch weiter nach vorne, sodass ihr Körper in einer Linie knapp über dem Boden schwebt. Erst dann zieht sie die Füße nach wie eine Raupe. Fünf Mal wiederholt sie den Ablauf, bis sie auf der anderen Seite ankommt.

Über den Boden kriechen, mit angespanntem Körper durch den Raum hüpfen, sich von einem Partner über den Boden rollen lassen: Movement-Konzepte funktionieren nicht wie andere Lehren der modernen Fitnesskultur und zählen damit wie Crossfit oder Neuro-Athletik zu den alternativen Sportarten. Bei diesen wird auf die typischen Bauch-Beine-Po Übungen oder Gerätetraining verzichtet. Der Fokus liegt darauf, neue Reize zu bekommen und damit seinen Körper und Geist an die Grenzen zu bringen. „Bei alternativen Sportarten hat man ein anderes Leistungsversprechen, dem im Normalfall das Training im Fitnessstudio nicht gerecht wird. Es fehlt die Betreuung, Erfolge bleiben aus, man bleibt nicht dran“ sagt Hilmer.

Kriechen, krabbeln, robben: Die Kursteilnehmer lernen Im Movement und Athletics Kurs ihren Körper durch ungewohnte Positionen herauszufordern.
Im Movement-und-Athletics-Kurs lernen die Teilnehmer, sich selbst durch ungewohnte Positionen herauszufordern. Foto: Ljev- Visual Communication / Anna Vystavkin (www.ljev-communications.com)

Melanie F.’s Fingerspitzen pressen sich in das Holz. Ihre Füße heben vom Boden ab, ihre Arme berühren ihre Seiten. Ihr Oberkörper zittert kaum merklich, während sie langsam ihre Beine streckt. Frida Iversen hält stützend ihre flache Hand unter Melanie F.’s Zehenspitzen und hebt sie ein paar Zentimeter an. Sie zählt von zehn herunter, dann löst Melanie F. die Spannung und kommt zwischen den zwei Holzboxen, über denen sie eben in der Luft schwebte, zum Stehen. „Vor ein paar Wochen konnte ich meine Beine noch nicht durchstrecken, jetzt muss ich sie nur noch dort oben halten können!“, sagt sie. „Zeit!“ Auf Kels Ruf hin wird an die nächste Station in der Halle gewechselt.

Teamarbeit statt Muskeldenken

Bei Sportarten wie Crossfit oder Movement, die in Gruppen betrieben werden, ist die äußerliche Veränderung eher ein schöner Nebeneffekt. Sich in der Gruppe auspowern und Bewegungsfertigkeiten lernen steht im Mittelpunkt. Der Bewegungsaspekt ersetzt das Muskeldenken.

Statt an einem Gerät zu sitzen und ein Gewicht nach vorne drücken, steht Teamarbeit im Fokus. „Die moderne Fitnesskultur hat ihren Fokus auf dem Aussehen und auf dem eigenen Ego. Movement zerbricht dieses Bild und sagt, es geht nicht ums Ich, sondern ums Wir. Es nimmt den zwischenmenschlichen Abstand, den wir von der Gesellschaft übernommen haben“, sagt Egidijus Kel.

In der Halle ist es jetzt laut. Zur Musik bewegen sich zirka 50 Arme auf und ab und von links nach rechts. Die Arme schwingen locker um den Oberkörper, wandern dem Oberkörper voraus Richtung Boden, werden abwechselnd Richtung Decke gestreckt und wieder fallen gelassen. Die meisten Augen sind geschlossen, die Köpfe entspannt ein bisschen nach vorne gelehnt. Egidijus Kel lässt seinen Kopf von der einen Schulter zur anderen rollen. Dabei hängen seine Arme locker an seinen Seiten und seine Knie sind kaum sichtbar gebeugt.

Egidijus Kel erklärt die nächsten Bewegungsabläufe. Foto: Ljev- Visual Communication / Anna Vystavkin (www.ljev-communications.com)

Entspannungsphasen sind in der Movement-Kultur besonders wichtig. „Egal wie effektiv du trainierst, egal wie gut das Training ist, Erholung und Schlaf ist das Wichtigste, sonst ist alles umsonst. Du musst dem Körper Ruhe geben“ sagt Kel. „In einer Art musst du dir vorstellen eine Trainingsstunde ist wie eine Impfung: Indem du dem Körper danach Ruhe gibst, bekommt er den Impuls stärker zu werden.“

Der 32-Jährige stellt die Musik ab. Der Lautsprecher dröhnt jetzt nur noch wie ein laufender Staubsauger durch die Halle. „Wenn ihr jetzt das Gefühl habt, eure Knie fühlen sich nach dieser Übung nicht unbedingt besser an, ist das normal. Aber wenn ihr eure Knie das nächste Mal aber in einem ungewohnten Winkel beugt, werdet ihr merken, dass es euch leichter fällt“ sagt Kel. Frida Iversen nickt.

Titelfoto: Foto: Ljev- Visual Communication / Anna Vystavkin