Der Basketballverein Alba Berlin verabschiedete sich gerade von den Alba Dancers. Frauen, die Männer beim Sport anfeuern, seien nicht mehr zeitgemäß. Solche Aussagen treffen in Hamburg auf Unverständnis. Ein Besuch beim Hamburg Towers Dance Team.
Kopf in den Nacken. Blonde Haare wirbeln durch die Luft, Füße fliegen hinterher. Körper schweben über dem Boden und drehen sich rückwärts um eine unsichtbare Achse. Nach dem Salto landen die Frauen auf einer blauen Turnmatte. Kurz jubeln, abklatschen, dann gehen die Mitgliederinnen des Hamburg Towers Dance Team wieder in Position.
Der Körper lernt durch Wiederholung. Jede Bewegung muss sitzen. Während des Spiels haben die Tänzerinnen wenig Zeit. In den kurzen Pausen rennen die Frauen aufs Parkett, lächeln, winken, tanzen und feuern die Hamburg Towers an. Der Basketballverein aus Wilhelmsburg spielt seit der Saison 19/20 in der ersten Bundesliga. Die Heimspiele in der Inselparkhalle sind gut besucht.
Auch der Konkurrent der Hamburg Towers, das Team Alba Berlin, spielt seit 25 Jahren in der obersten deutschen Liga mit. Bis vor kurzem tanzten auch dort Frauen in den kurzen Pausen während der Spiele auf dem Feld. Doch der Verein trennte sich Ende September von seinen Alba Dancers. Diese „attraktiven Pausenfüller“, sagte der Geschäftsführer Marco Baldi, würden nicht mehr in die Zeit passen.
Der Verein will damit ein Zeichen in der Gender-Debatte im Basketball setzen. Frauen, die in einem Kostüm das Publikum unterhalten, während Männer Pause machen – so etwas sollte es nicht mehr geben. Das klingt für Außenstehende auf den ersten Blick logisch und unterstützenswert. Diejenigen, die es betrifft, konzentrieren sich lieber auf den sportlichen Aspekt – zumindest ist das bei den Tänzerinnen in Hamburg der Fall.
Cheerdance als Sport
„Es ist schade, dass das den Mädels genommen wurde“, sagt Schirin Fuschini. Ihre Mannschaftskollegin und Trainerin Katja Baumgärtner stimmt ihr zu. „Ich kann es nicht nachvollziehen. Die Argumentation fällt darauf zurück, dass Cheerdance nicht als Sport gesehen wird“, sagt die 28-Jährige.
Ähnlich wie beim Cheerleading werden Mannschaften angefeuert, weniger mit akrobatischen Elementen, dafür mit mehr Tanzbewegungen. In Deutschland gibt es dafür einen Verband. Der Cheerleading und Cheerdance Verband Deutschland ist seit 2017 sogar Mitglied des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Die Frauen bezeichnen sich nicht als Cheerleader. „Wir machen Tanzsport“, sagt Baumgärtner. Unterschätzt werden sie trotzdem oft. „Man hört, das sei ja nur Tanzen“, sagt die Trainerin und schüttelt dabei den Kopf.
Die Frauen betreiben viel Aufwand für ein paar Minuten Show. Vor einem Spiel sind sie schon drei Stunden vorher da und gehen ihre Choreografie durch. Nebenbei trainieren sie jeden Dienstag- und Donnerstagabend zwei Stunden in der Halle in Wilhelmsburg. „Hier kommen wir an unsere Grenzen. Wir pushen uns gegenseitig. Wir sind ein starkes Team“, sagt Baumgärtner.
Das Training beginnt mit einem Warm-up. Erst sechs Runden einlaufen, dann Krafttraining, gefolgt von Stretching. Dann wird der Rückwärtssalto geübt. Drei Frauen werfen eine vierte immer wieder in die Luft. Einmal landet der Schuh einer Tänzerin fast im Gesicht einer anderen. Alle zucken kurz zusammen. „Wir haben teilweise krasse Verletzungen beim Training gehabt“, sagt die Trainerin.
Danach übt das Team alles zusammen in einer Choreografie für das nächste Spiel. Baumgärtner leitet an. Mit einem Heft in der Hand tanzt sie zwischen den Frauen hin und her und erklärt die unterschiedlichen Bewegungen.
Das Problem des Outfits
Den sportlichen Gedanken versucht das Team auch auf seine Outfits zu übertragen. Das ist nicht immer einfach. Der Grat ist schmal. Das Outfit muss passen, gut aussehen und nicht zu viel, aber ein bisschen Haut zeigen. „Wir könnten uns auch im Trainingsanzug und einer Kapuze hier hinstellen“, sagt Fuschini. Ein bisschen Show und ein Kostüm gehöre aber nun mal zum Tanzen dazu.
Was die Frauen anziehen, besprechen sie gemeinsam. Für die kommende Show geht es um ein Netzshirt. Die Frauen begutachten es kritisch. Aussehen ist nicht alles. Es muss vor allem sportlich wirken.
Wie die Tänzerinnen bei Alba Berlin in Stiefeln zu tanzen, wäre nicht ihr Stil, sagt Fuschini. Vergleicht man die Facebook-Fotos der Teams miteinander, fällt auf: Alba Berlin setzte andere Akzente in ihren Outfits. Mehr bauchfrei, kürzere Hosen und weiße Stiefel.
Die Rolle der Männer
Bis jetzt findet sich kein Mann unter den Mitgliedern des Hamburg Towers Dance Team. Noch gab es keine Anfragen. „Ich fände die Idee nicht schlecht“, sagt Baumgärtner. Aber ihre Tänze seien gerade eher weiblicher und beim Outfit müsse man dann auch schauen.
Früher konnte das Team in einem eigenen Raum trainieren. Der wird zukünftig zu einer VIP-Area umgebaut. Jetzt trainieren sie mit den Männern gleichzeitig am Rand der Halle. Jeder Meter wird genutzt. In der Mitte sprinten Männer von Korb zu Korb, alle brüllen durcheinander, Turnschuhe quietschen über den Hallenboden, Bälle prallen auf den Boden. Die Towers haben ein Platzproblem. Nach ein paar Minuten in der Halle tun einem die Ohren weh.
Mit den Spielern haben sie nur vor ihrem Training Kontakt. Kurz bevor es losgeht, kommt ein Spieler vorbei und albert mit den Frauen rum. Die Szene würde auch gut in einen amerikanischen Cheerleaderfilm passen.
Davon lassen sich die Frauen aber nicht beirren. Motivation und Konzentration sind hoch. „Alle zwei Wochen ist ein Heimspiel und dann können wir zeigen, was wir gelernt haben“, sagt Fuschini. Dazu gehört auch der Rückwärtssalto. Im Spiel muss er sitzen. Dann liegt keine Matte auf dem Hallenboden und der ist genauso hart wie der Sport selbst.
Titelfoto: Simon Schröder