“Ich hör dich verzögert” – ein Satz, den jeder Zoomer kennt. In Videokonferenzen an der Uni oder bei der Arbeit ist das auszuhalten. Wie aber lassen sich so Chorproben digital abhalten, bei denen Sänger*innen synchron bleiben müssen?
Doris Vetter sitzt am Klavier, sie singt. Auf dem Bildschirm vor sich sieht sie die Mitglieder ihres Chores Music rocks!. Alle sind zu Hause, allein, und sie singen trotzdem gemeinsam. Denn seit Beginn der Pandemie finden die Proben des Laienchores digital statt.
Music rocks! ist einer von hunderten Chören in Hamburg. Er entstand vor vier Jahren unter der Leitung von Vetter. Vor Corona trafen sich die etwa 40 Hobbysänger*innen mindestens zweimal pro Woche in einem Raum einer Hamburger Schule.
Die Chormitglieder singen nicht nur Pop und Musicals, sie lernen zu einigen Songs auch Choreografien. Die viele Arbeit, die neben dem Spaß hinter den Chorproben steckt, wird regelmäßig auf den Bühnen Hamburgs vor großem Publikum belohnt. Jetzt sind alle Auftritte wegen Corona abgesagt.
Zusammen singen trotz Zeitverzögerung
Am 22. März probten die Hobbysänger*innen ein letztes Mal gemeinsam in einem Raum. Dann wurden schlagartig alle Schulen geschlossen, Gruppentreffen untersagt. In wenigen Tagen erarbeitete Chorleiterin Vetter ein Konzept für die Hamburger Chorszene, damit Chorproben digital stattfinden können.
Dass vor allem ältere Chormitglieder keine technischen Geräte besaßen, war dabei zum Beispiel eines der kleineren Probleme. Hier haben sich die Chormitglieder gegenseitig unterstützt.
Eine viel größere Hürde: Wenn bis zu 40 Menschen in Sopran, Alt, Tenor und Bass zusammen singen, muss jede*r im Takt bleiben. Bei virtuellen Meetings ob via Zoom, Skype oder Teams, kommt es jedoch immer wieder zu Zeitverzögerungen in der Bild- und Tonübertragung. Stimmen erklingen selten synchron.
Music rocks! hat einen Weg gefunden, dieses Problem zu umgehen. FINK.HAMBURG hat bei den singenden Zoomern nachgefragt – natürlich via Zoom-Gespräch. Zunächst erzählt Doris Vetter von ihren Erfahrungen.
Während der digitalen Chorproben hat nur die Chorleiterin ihr Mikrofon an. Die anderen Chormitglieder schalten ihre Mikrofone stumm, folgen den musikalischen Anleitungen, können sich gegenseitig nicht hören. Zeitverzögerungen sind bei dieser Methode unproblematisch.
Music rocks! nutzt Audacity, ein Programm, mit dem auf beliebig vielen Spuren Audiodateien gemischt werden können. So kann ein Song in vier verschiedenen Stimmlagen aufgenommen, anschließend übereinander gelegt und abgespielt werden. Obwohl der Chor nicht gemeinsam singt, bekommen die Mitglieder damit in den Proben ein Gefühl dafür, wie alle Stimmen zusammen klingen.
Tanzen vor der Webcam
Timo ist seit drei Jahren bei Music rocks!. Seine große Leidenschaft ist das Tanzen, in einem Chor hatte er zuvor noch nicht gesungen. Nun ist er Tenor. Mit seinen Tanzerfahrungen hat er Schwung in den Chor gebracht: Gemeinsam mit einem weiterem Chormitglied studiert er Choreografien mit den Hobbysänger*innen ein. Geht das auch, wenn die Chorprobe digital erfolgt?
„Man hofft, dass die Nachbarn das nicht hören“
Die Chormitglieder Elena, Christin und Jasmin schätzen den Teamgeist von Music rocks!. Für sie sind die regelmäßigen Chorproben ein wichtiger Ausgleich zum Alltag. Sie freuen sich, dass diese trotz Pandemie stattfinden.
Sonst sangen sie in großer Gruppe, jetzt sitzt jede allein vor dem Laptop. Wie fühlt sich das an?
Youtube statt Konzertsaal
Wann sich der Chor das nächste Mal am selben Ort sieht, ist ebenso ungewiss wie etwaige Konzerttermine. Um die Zeit ohne Auftritte zu überbrücken, hat sich Music rocks! für seine Fans eine kleine Überraschung überlegt: Auf Youtube gibt der Chor mit Clips in Zoom-Optik einen Einblick in die neue virtuelle Chorwelt.
Jetzt geht es für alle Sänger*innen aber erst einmal in die vierwöchige Sommerpause. Alle hoffen, dass man danach zumindest schon in kleineren Gruppen in einem großen Raum proben kann. Vetter ist jedenfalls überzeugt: „Ein Team wird durch so eine Zeit unglaublich gestärkt.“
Titelbild: Music rocks!