Kann ein Besuch im Gefängnis vor einer Inhaftierung schützen? Der Verein “Gefangene helfen Jugendlichen” bringt Häftlinge und auffällige Jugendliche in Hamburg zusammen. Am Ende ist vielen klar: “Hier will ich nicht landen”.

Chillen, pumpen und Drogen verticken – so stellen sich viele Jugendliche wohl das Leben im Gefängnis vor, wenn sie sich an Musikvideos und Filmen orientieren. In der Realität sieht es in einer Strafanstalt meist anders aus. Der Verein “Gefangene helfen Jugendlichen” konfrontiert junge Erwachsene mit dem Gefängnisalltag und den persönlichen Geschichten der Insassen. Gefährdete und bereits straffällig gewordene Jugendliche sollen sensibilisiert und von einer kriminellen Laufbahn abgehalten werden.

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Jugendliche und Insassen auf Augenhöhe

1996 hatten drei Inhaftierte der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel, die in der Nähe des Hamburger Flughafens liegt, die Idee für den Verein: Insassen der JVA sollten ehrenamtlich mit straffällig gewordenen Jugendlichen sprechen, um sie vor einem Leben im Gefängnis zu bewahren. Durch einen Besuch der Justizvollzugsanstalt in kleinen Gruppen sollen junge Erwachsene den Gefängnisalltag unmittelbar miterleben. Die Gespräche mit den Insassen sollen Klischees von Kriminalität, Gefängnissen und Gewalt entkräften.

Die JVA-Besuche sind bereits seit 1998 ein Kernprojekt der Initiative. Seit 2001 existiert der Verein. Vier Jahre später erhielt er eine Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe, so ist es leichter Fördermittel zu erhalten.

„Die Zusammenarbeit hat sich über die Jahre verändert. Der Verein ist professioneller geworden, Mitarbeiter wurden geschult und wir haben viel Wert auf Evaluation gesetzt“, erklärt Geschäftsführer Volker Ruhe. Die Arbeit des Vereins wird dokumentiert, die Erfolge sind öffentlich einsehbar. So hat sich gezeigt, dass vor allem die Empathiebereitschaft der jungen Erwachsenen noch intensiver behandelt werden muss. Das Angebot wurde daraufhin um Rollenspiele erweitert. Dabei lernen die Jugendlichen sich in die Lage ihrer Opfer hineinzuversetzen.

Moralische Wertvorstellungen müssen gefördert werden

Fast jede vierte Straftat wird laut Bundeskriminalamt von Personen jünger als 21 Jahre begangen. “Straffällige Jugendliche bekommen oft schon von Kindesbeinen an kriminelles Verhalten vorgelebt. Moralische Wertvorstellungen können sich so nicht etablieren”, sagt Sozialarbeiterin Annalinna Schäfer. Den jungen Menschen ist die Bedeutung von Ehrlichkeit, Gerechtigkeit oder Hilfsbereitschaft oft nicht bewusst. Es fällt ihnen schwer zu entscheiden was richtig und was falsch ist.

Schaubild, Straftaten von Jugendlichen und Erwachsenen 2019
Laut Bundeskriminalamt wurden im Jahr 2019 über 2 Millionen Straftaten begangen. Bei 430.000 waren die Tatverdächtigen jünger als 21 Jahre. Schaubild: Paula-Lu Wiedeking

“Später beginnt dann häufig ein Teufelskreis zwischen der Lebenswelt der Jugendlichen, ihrer Peer Group und ihren Bedürfnissen. Jugendliche aus prekären Verhältnissen haben, wie alle Heranwachsenden, das Bedürfnis ‘mithalten’ zu können, sich zu profilieren. Das Mittel der Bedürfnisbefriedigung ist dann meistens die Kriminalität”, erklärt Sozialarbeiterin Schaefer.

Der Verein setzt da an. Jugendliche sollen lernen ihr Verhalten zu reflektieren und mögliches Fehlverhalten einzugestehen.

Gewaltprävention an Schulen

Der Verein möchte durch Kriminalitäts- und Gewaltprävention die Zukunft junger Menschen positiv beeinflussen. Neben den Besuchen in der JVA und den Gesprächen mit Inhaftierten findet daher auch Präventionsunterricht in Schulklassen statt. Kernthemen des Unterrichts sind die Aufklärung und Vorbeugung von Gewalt, Drogen und Mobbing. Ehemalig Inhaftierte und Suchterkrankte erzählen, welchen Einfluss ihr Verhalten auf ihre Zukunft hatte – und auch auf ihr Umfeld.

Und auch an die andere Seite wird gedacht: Die Geschädigten von Straftaten. „Prävention ist eine der besten Arten von Opferschutz. Wenn man schon vorher etwas tun kann um Opfer zu vermeiden, ist das doch einfach super“, so Ruhe.

Ein Gewinn für Jugendliche und Gefangene

In einem Hamburger Gefängnis gegründet, hat “Gefangene helfen Jugendlichen” heute auch Standorte in Bremen, Hannover und Nordrhein-Westfalen. Davon profitieren nicht nur die Jugendlichen. Die Inhaftierten, die ehrenamtlich für den Verein tätig sind, erhalten durch ihre Mitarbeit eine sinnvolle Aufgabe und eine Ablenkung vom Haftalltag.

Der Verein möchte nicht abschrecken, sondern aufklären und sensibilisieren, und damit haben sie auch oft Erfolg. Nach dem Besuch der JVA ist den meisten Jugendlichen klar: “Hier möchte ich nicht landen.”

Titelbild: Gefangene helfen Jugendlichen e.V.