Corona kann zum Heilsbringer für unsere Verkehrsprobleme werden. Viel zu lange haben wir schon über die Wende diskutiert, viel zu lange gewartet. Vor Kurzem wurde uns nun aber die Entschleunigung aufgezwungen: Corona nötigt uns alle, einen Gang zurückzuschalten.
Ein Land, in dem 12 Millionen Euro für Bundesstraßen ausgegeben werden, die eigentlich für Radwege eingeplant waren, hat definitiv ein Verkehrsproblem. Das merkt man auch in Hamburg, etwa an den Fahrradwegen, die von Schlaglöchern durchsät sind, und steigenden Preisen im öffentlichen Nahverkehr. Dazu kommt, dass Fahrradfahrer*innen eigentlich gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer*innen sein sollen – dies aber de facto noch nicht sind.
Durch Corona haben sich viele Dinge in unserem Alltag verändert, warum nicht auch der Verkehr? Die Entschleunigung auf Hamburgs Straßen bietet die perfekte Chance für die Verkehrswende – also für mehr Fahrräder, mehr öffentlichen Personennahverkehr und weniger Autos in der Stadt.
Grundlage dafür sind bessere Fahrradwege, besser ausgebauter ÖPNV und weniger Parkplätze für Autos. Der erste Schritt in diese Richtung hat bereits stattgefunden, als die rot-grüne Koalition beschloss, dass künftig auf dem Jungfernstieg und in der Mönckebergstraße kaum Autos und dafür mehr Fahrräder und Busse fahren sollen. Mehr davon! Jede Maßnahme, die die autofreie Innenstadt näherbringt, ist wertvoll.
Hamburg noch keine Fahrradstadt
Mit gutem Beispiel voran gehen auch andere Metropolen – meist in größeren Schritten als die Stadt Hamburg. Brüssel plant 40 Kilometer neue Fahrradwege zu bauen, denn zurück zum “business as usual” dürfe es nicht gehen, sagte die belgische Verkehrsministerin. Der Moment – also die Corona-Krise – müsse genutzt werden, um einen guten Neustart zu gewährleisten.
In Berlin werden dafür sogenannte Pop-Up-Bikelanes eingerichtet. Die bis zu zwei Meter breiten Fahrradwege sollen mehr Abstand für Radfahrer in der Krisenzeit gewährleisten. Den brauchen wir unbedingt auch dann noch, wenn wieder mehr auf den Straßen los ist.
Dabei geht es nicht nur um Abstand zu möglichen Infizierten. Insbesondere Sicherheit ist ein Thema beim Fahrradfahren und Hamburg schneidet da nicht besonders gut ab: Hier ist das Fahrradfahren mehr als acht Mal so gefährlich wie in Amsterdam. Das muss sich ändern. Und die Akzeptanz in der Bevölkerung ist längst da:
Laut einer Umfrage des Norddeutschen Rundfunks sind sowieso 67 Prozent der Hamburger Bürger*innen für autofreie Bereiche in der Innenstadt. Mehr Radwege zulasten von Autofahrspuren befanden 53 Prozent für gut. Hamburgs Bürger*innen scheinen sich die Fahrradstadt zu wünschen, die Hamburg schon länger sein möchte. Um in diesem Vorhaben wirklich glaubwürdig zu bleiben, sollte die Gunst der Stunde genutzt werden.
Nahverkehr unterstützen statt Autos fördern
Wenig glaubwürdig beim Thema zukunftsfähige Mobilität zeigt sich allerdings leider immer noch die Automobilindustrie. Konzerne und Ministerpräsidenten der Autoländer fordern staatliche Unterstützung bis hin zur Abwrackprämie, um die eingebrochenen Fahrzeugverkäufe wieder anzukurbeln.
Doch genau hier ließe sich ansetzen: Man sollte den Autokauf – egal ob mit Verbrennungsmotor oder Batterieantrieb – nicht wieder fördern, weil es sowieso schon genug Autos auf Hamburgs Straßen gibt. Das Geld kann besser investiert werden. Sicherlich gewinnt das Auto aktuell an Fans, weil man den Mindestabstand dort einfacher einhalten kann als im ÖPNV; das Verkehrsmittel der Zukunft sollte es trotzdem nicht sein.
Dass der ÖPNV an Wohlfühlfaktor verloren hat, ist verständlich, darf jedoch nicht unbeachtet bleiben. Denn ohne ÖPNV gibt es keine Verkehrswende. Das bedeutet: Vertrauensbildende Maßnahmen, wie beispielsweise saubere und hygienische Busse und Bahnen, sind notwendig. Damit wieder mehr Menschen den Nahverkehr nutzen, könnten Ticketpreise subventioniert werden. Oder gleich aufs Ganze gehen und, wie Luxemburg, den kostenlosen ÖPNV einführen.
Also, worauf warten wir noch? Bis Öl endlich unrentabel ist? Oder vielleicht darauf, dass die Automobilindustrie Lust auf zukunftsfähige Mobilität hat? Beides keine guten Optionen. Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, müssen zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen: Hamburg braucht die Verkehrswende und der beste Zeitpunkt dafür ist jetzt!
Titelfoto: Jonathan Schanz