Eigentlich hätten die Hamburger Künstler Marc Einsiedel und Felix Jung auf dem MS Artville Kunstfestival ausgestellt. Mit dem Ausfall des Festivals gehen sie spielerisch um. Ein Porträt über Kunst in der Pandemie.
Hamburg Hammerbrook – das sind breite, laute Straßen und massenweise trister Beton. Und etwas abseits davon: das perfekte Quartier für Marc und Felix. Ihr Atelier ist umgeben von Bille und von Seitenkanälen der Elbe. Und von weiteren Ateliers, Büros und Fabriken. Die ehemalige Schlosserei ist Teil einer Reihe von vier Atelierhäusern, die dort am Bullerdeich stehen. Im Hinterhof ist der Lärm der Stadt kaum hörbar. Rund 20 Kreative haben sich hier ihre eigene Insel geschaffen. Öffentlicher Raum – von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.
Die beiden Künstler schwärmen von dem Ort und der Nachbarschaft: “Hammerbrook wird zwar in den nächsten jahren ganz furchtbar, aber jetzt ist es gerade an einem guten Peak, wo viel gemacht wird und wo man überall seine Finger mit im Spiel haben kann”, sagt Marc. Ab und an fällt Fjalla ihm ins Wort. Die schwarze Hündin ist laut und aufgedreht – ganz anders als die zwei Künstler, mit denen sie sich das Atelier teilt.
Felix Jung, 35 Jahre alt, und Marc Einsiedel, 37, arbeiten als Künstlerduo We are visual zusammen. Sie wirken sehr unterschiedlich und trotzdem sind sie seit zehn Jahren pausenlos zusammen: Sie konzipieren gemeinsam, verreisen gemeinsam, basteln, malen und werkeln gemeinsam und verdienen gemeinsam ihr Geld.
Die Kunst der Inszenierung
Hinter den alten Designersesseln, auf denen Marc und Felix sitzen, hängt eine ihrer Arbeiten. Ein abstraktes Bild, das Marc kurz vor unserem Gespräch spontan verändern will. Felix ist dagegen, sie besprechen sich und lassen alles, wie es ist. Sie wissen, wie sie sich und ihre Kunst inszenieren – natürlich, sie sind Profis. Begonnen haben sie mit illegaler Kunst in der Öffentlichkeit. Heute sind die meisten ihrer Arbeiten legal.
Das Duo will sich nicht auf eine Kunstform und schon gar nicht auf ein Thema festlegen. “Wenn wir immer das gleiche machen, hab ich sofort Langweile. Weil wenn ich irgendwas kann, wird es uninteressant”, erklärt Felix begeistert. Deshalb wechseln die Beiden häufig die Rolle: Einerseits sind sie freischaffende Künstler, die in Galerien oder im Freien ausstellen, andererseits planen, bauen und koordinieren sie kommerzielle Projekte wie Bühnenbilder fürs Theater oder die Installationen auf dem Pangea Festival an der Ostsee. Was sich durch all ihre Arbeiten zieht: die künstlerische Handschrift und das Interesse am öffentlichen Raum – Begriffe, die im Gespräch mit ihnen häufig fallen.
Die Kunst der Krise
Ob Theater, Festival oder Theaterfestival, hier realisieren die Künstler große Auftragsarbeiten. So auch bei ihrer Arbeit für das MS Artville, das dieses Jahr wieder für vier Wochen am Wilhelmsburger Reiherstieg stattgefunden hätte. Wegen der Corona-Pandemie findet das Kunstfestival jedoch nicht wie geplant statt. Die Künstler befanden sich schon mitten im Arbeitsprozess, als klar wurde, dass die Arbeit nicht präsentiert werden könne, berichten Marc und Felix.
Eine Herausforderung für das Duo: Schließlich müssen sie mit ihrer Kunst auch Geld verdienen. Das Atelier will bezahlt werden und die privaten Fixkosten auch. Eine feste Anstellung hatten die Beiden seit Jahren nicht mehr. Leben und Arbeit finanzieren, ohne Projekte wie ihre Installation auf dem MS Artville: unmöglich.
Was genau geplant war, möchten Marc und Felix jedoch nicht preisgeben: “Die Arbeit werden wir jetzt natürlich nicht präsentieren, weil wir versuchen, sie nächstes Jahr zu machen.” Beide erzählen von ihren abgesagten und verschobenen Projekten – und wirken dennoch zufrieden. Niedergeschlagenheit merkt man ihnen nicht an. Denn eine langfristige perspektivische Planung gäbe es sowieso nicht, erzählt Felix. Sie arbeiten zusammen auf Ausstellungen hin oder bereiten sich auf Förderungen vor. Da sei man es gewohnt, Lücken zu stopfen und sich quer zu finanzieren. Die Pause durch Corona ist trotzdem eine Herausforderung.
“Corona nimmt dir vielleicht irgendwelche Geschmacksnverven, aber nicht die Kreativität.”
Hamburg habe da schnell reagiert, lobt Felix. Sie konnten die Miete stunden und erhielten Soforthilfe von der Stadt. Zudem wurden bei einigen Projekten Ausfallshonorare gezahlt. Das konnte direkt wieder in die Miete gesteckt werden – so war das Atelier gesichert. “Solange wir den Raum halten können, können wir unsere Existenzgrundlage halten”, erzählt Felix.
Während Corona ersetzt das Atelier die Kneipe
Das Atelier und die beiden Künstler gehören zusammen. Der Raum ist ihr Arbeitsplatz, ihre Existenzgrundlage, ihr Wohnzimmer und auch ihr Rückzugsort. Insbesondere zu Zeiten von Corona, wo Reisen kaum möglich sind, ist ihr Atelier besonders wichtig. Solange es keine Kneipe gibt, wird der Raum auch für kreative Planungsgespräche und ein abendliches Bier genutzt.
Ob Corona ihre Arbeit beeinflusst? Kreativität habe in den letzten Monaten nochmal einen höheren Stellenwert bekommen, so Marc, “weil man irgendwie gucken muss, was man wo rauszieht.” Felix schmunzelt: “Corona nimmt dir vielleicht irgendwelche Geschmacksnverven, aber nicht die Kreativität”. “Oder es nimmt dir das Leben”, erwidert Marc. Als während des Lockdowns die Neubeschaffung von Material schwerer wurde, mussten sie umdenken und sich neue Aufgaben suchen. Sie begannen ihr Atelier aufzuräumen. Dabei fanden sie fast vergessene Dinge, die dann umgebaut und genutzt werden konnten.
Artizifzielles Sportgerät für den Uferpark
Auch das MS Artville Festival musste umdenken. Anstatt auf dem eigentlichen Gelände wird nun auf der Parkwiese vom 04. Juli bis 27. September am Reiherstieg Kunst installiert – mit genug Platz um Abstandsregeln einzuhalten. Marc und Felix haben sich für dafür etwas neues ausgedacht, ihr eigentliches Artville Projekt ist schließlich “auf Hold”. Die Herausforderung aktuell: Begegnung trotz Corona-Reglements. “Wir haben dann ein artifizielles Sportgerät entworfen”, erzählt Felix.
“Es wirkt doch, wenn es so in 3,50 Meter Höhe ist, etwas kleiner als am Boden. Es verliert an Wirkung”, sagt Marc beim Aufbau. Der letzte Feinschliff muss noch vorgenommen werden, dann ist das artifizielle Sportgerät fertig. Es ist eine Arbeit, “um sich während der Corona-Zeit im öffentlichen Raum zu treffen und etwas zusammen zu unternehmen”. Das Kunstwerk heißt “Korbball”, erklären Marc und Felix. Es ist bunt, schrill und sticht definitiv ins Auge; die Lederfransen, die die vier Löcher verdecken, wehen im Wind.
Während des Gesprächs wirft Felix schon Ball um Ball in den eckigen Trichter – und muss jedes Mal in eine andere Richtung rennen, um den Ball zurückzuholen. Man kann das Gerät gemeinsam nutzen oder eben alleine.
Uferpark Reiherstieg – das ist eine weite Fläche, meterweise grüner Rasen und vereinzelte Bäume. Ein öffentlicher Raum, der neuerdings wieder mehr wahrgenommen wird. Das sei auf jeden Fall ein positiver Aspekt momentan, stellt Marc fest. “Die Leute flanieren, wandern und schauen mehr: Sie setzen sich mit ihrer Umgebung auseinander.” Und hoffentlich auch mit den Kunstwerken, die für einige Zeit den Uferpark verschönern und interessanter machen werden.
Fotos: Jonathan Schanz & Lorenz Jeric