Was haben Festivals und Bars gemeinsam, außer dass wir seit fast einem Jahr darauf verzichten müssen? Es wird dort viel Bier getrunken. Dadurch sind auch Brauereien von Corona betroffen, Unterstützung gibt es kaum. FINK.HAMBURG hat sich bei zwei Hamburger Brauereien umgeschaut.

„Ich weiß nicht, ob ich 2020 überhaupt ein Bierfass verkauft habe“, scherzt Sascha Bruns von der Hamburger Brauerei Landgang im Gespräch mit FINK.HAMBURG. Sascha ist leidenschaftlicher Brauer: Er tüftelt gerne an neuen Biersorten, versucht sich an neuen Geschmacksrichtungen. Seinen Humor hat Sascha nicht verloren, auch wenn die Situation bei Landgang seit März vergangenen Jahres äußerst angespannt ist.

Niklas Nordmann von der Ratsherrn Brauerei geht es ähnlich: Durch die geschlossenen Bars und Restaurants sind bei Ratsherrn rund 50 Prozent des Umsatzes weggefallen. Für dieses Jahr bleibt er dennoch zuversichtlich: „Wir sind Grundsatzoptimisten.“ Niklas ist bei Ratsherrn in der Geschäftsleitung für die Marketingstrategie und Eigengastronomie zuständig. In dieser Position ist er erst seit November 2020 – doch er kennt das Unternehmen schon sehr lange: Seine Familie leitet bereits in fünfter Generation die Geschicke der Nordmann Unternehmensgruppe, die neben der Ratsherrn Brauerei auch hinter der Störtebeker Braumanufaktur steht.

Umsatzeinbrüche seit dem ersten Lockdown

In beiden Hamburger Brauereien läuft seit dem ersten Corona-Lockdown im März nichts mehr normal: Während der Lockdown-Zeiten im Frühjahr und aktuell seit November, in denen die Bars und Restaurants geschlossen waren und sind, sind bei Landgang und Ratsherrn fast alle Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit. Bei Landgang arbeiten zurzeit 13, bei Ratsherrn circa 35 Personen. Mehr Unterstützung bekommen beide Brauereien nicht vom Staat. „Wir bekommen keinen Umsatzausgleich im Gegensatz zur Gastro, keine staatlichen Hilfen“, sagt Niklas über die Situation bei Ratsherrn.

Deshalb hat sich die Ratsherrn Brauerei einer Sammelklage angeschlossen: „Wir finden, dass auch Branchen die indirekt von der geschlossenen Gastro betroffen sind, wie Brauereien oder Getränkegroßhändler, Unterstützung vom Staat bekommen sollten.“ Aus der Sammelklage hat sich noch nichts Konkretes entwickelt: “Wir haben positive Signale bekommen, dass wir nun doch ins Raster fallen könnten. Konkret sind aber noch keine Hilfen überwiesen worden. Wir sind aber optimistischer als bei unserem letzten Gespräch”, schreibt Niklas nach unserem Gespräch im Dezember.

Ratsherrn hat im Jahr 2020 ein Minus zwischen 35 und 40 Prozent gemacht. „Wir verkaufen unser Bier ungefähr zur Hälfte an die Gastro, deshalb hat uns Corona schon sehr stark getroffen“, erklärt Niklas. Zum Vergleich: Industriebrauereien verkaufen 80 bis 90 Prozent ihres Bieres im Handel. Dort ist der Gewinn pro verkauftem Bier deutlich geringer als in der Gastronomie, Fassbier dementsprechend teurer.

Der Bierkosum in Deutschland sank im Jahr 2020 um 5,5 Prozent. Insgsamt verkauften die Brauereien zwar immernoch 8,7 Milliarden Liter Bier, das sind allerdings 508,2 Millionen Liter weniger als im Vorjahr.

Brauereien helfen der Hamburger Gastronomie

Um nicht nur der eigenen Brauerei, sondern auch der Hamburger Gastro-Szene zu helfen, hat Landgang im Sommer eine Verkaufsaktion gestartet: Sascha und sein Team brauten ein Helferbier, knapp 80 Gastronomien und Kultureinrichtungen profitierten. Das Zwickelbier wurde für 20 Euro je Sechserträger verkauft, „ein Zehner davon ging an die teilnehmenden Gastro-Betriebe“, erklärt Sascha. Die Aktion lief sehr gut: 30 bis 40 Hektoliter wurden verkauft: „Das gab uns allen ein gutes Gefühl.“

Eine ähnliche Aktion von Ratsherrn brachte 35.000 Euro für Gastronomien ein. Ein Viererträger Ratsherrn Rettungsring Pilsener gab es für acht Euro zu kaufen, vier Euro gingen in den Spendentopf.

Bier-Tasting online und nicht in der Brauerei

Außerdem hat Landgang die Zeit genutzt, um einen eigenen Onlineshop zu eröffnen. „Davor haben wir uns immer gedrückt, jetzt wurden wir mehr oder weniger dazu gezwungen“, sagt Sascha. Auch deshalb verkauften sie insgesamt mehr Flaschenbier im Vergleich zum Vorjahr. Dazu bot Sascha ein Online-Biertasting an. „Das hatte den Vorteil, dass ich selbst nicht immer so viel trinken musste“. In der Brauerei sitze man nach einer Bierprobe dann doch länger zusammen.

Online-Bierverkostigungen bietet auch Ratsherrn an, dazu kommen Online-Brauereiführungen. Mit der Kamera werden die teilnehmenden Personen durch die heiligen Hallen geführt und bekommen von den Fachleuten die Braukunst erklärt. In der Vorweihnachtszeit wurde das von Firmen als Ersatz für Weihnachtsfeiern genutzt. Außerdem brachte Ratsherrn das Bier in kleinen Fässeren, sogenannten Growlern, frisch gezapft an die Leute auf der Straße und trieb im Unternhemen die Digitalisierung voran.

Beide Hamburger Brauereien sind Teil einer neuen Generation von Brauereien, die sich am besten als Kreativbrauereien zusammenfassen lassen. Sie interpretieren bestehende Biersorten neu. Die meisten Biere werden sowohl bei Landgang als auch bei Ratsherrn nach dem Deutschen Reinheitsgebot von 1516 gebraut. Also ausschließlich mit Wasser, Hopfen, Hefe und Malz.

Ratsherrn braut ganzjährig zwölf verschiedene Biere, dazu kommen fünf bis sechs saisonale Sorten. Im Landgang-Onlineshop gibt es sieben unterschiedliche Sorten, dazu kommen ebenfalls weitere saisonale Biere.

Bierbrauen als Handwerk

Sascha macht mit seinen Bieren den „Spagat zwischen den Standardbiertrinkern und speziellem Bier für Craftbeer-Nerds. Ich möchte beim Bierbrauen einen persönlichen Anreiz haben und experimentell sein, aber trotzdem wirtschaftlich sinnvoll agieren”. Dazu passt die Beschreibung auf der Webseite: „Unsere Biere haben Ecken und Kanten. Sie sollen sich bewusst von den Standardbieren abheben und Geschmack haben. Geschmacksnoten die man mag, oder aber auch nicht. Langweilige Biere die ganz okay sind, gibt es schon genug.“ Dazu kommt die starke Bindung zu Hamburg. Seit 2016 wird das Landgang-Bier in einer alten Lagerhalle in Altona gebraut.

Ratsherrn sieht sich weder als reine Craftbeer-Brauerei noch als Industriebrauerei, “sondern als regionale Brauerei mit einer guten Biervielfalt von sehr guten handwerklich gebrauten Bieren“, erklärt Niklas. Dazu passt auch, dass Ratsherrn die Gastronomien nicht wahllos aussucht: „Uns ist immer wichtig, dass die Kunden, die wir mit Ratsherrn beliefern, einen gewissen Qualitätsanspruch haben. Dass die Kunden einen gewissen Wert darauflegen, wie das Bier gezapft wird und zu welchem Essen das Bier passt.“

Der Januar ist in der Bierbranche grundsätzlich ein schwerer Monat, viele wollen das Jahr mit einer nüchternen Zeit beginnen. „Wir nennen das auch Saure-Gurken-Zeit“, sagt Sascha. Bei Landgang rechnen sie erst zu Ostern wieder mit besseren Zeiten.

Titelbild: Lucas Rudolf