Ein Auslandssemester in Glasgow von Hamburg aus absolvieren? Die Corona-Pandemie macht’s möglich. Wie Studierende die Einschränkungen erleben und wie die HAW Hamburg damit umgeht.
Internationaler Austausch, eine neue Stadt, neue Kommiliton*innen und Kulturen kennenlernen, dafür steht ein Erasmus-Semester – zumindest unter normalen Umständen. Obwohl die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren gesunken sind: Auslandsaufenhalte während des Studiums sind nach wie vor sehr gefragt. Ein Erasmus-Semester während der Corona-Pandemie steht jedoch unter anderen Vorzeichen und schreibt ganz eigene Geschichten.
Weniger Outgoings
Nur insgesamt 29 Studierende der HAW Hamburg machen in diesem Sommersemester ein Erasmus-Semester. Im Vorjahr waren es noch 51 – mehr als doppelt so viele. Ein Blick auf Sommer- und Wintersemester 2020/21 zusammen zeigt: Viele Studierende haben sich zwar erfolgreich beworben, sind dann aber vorzeitig von ihrem Platz zurückgetreten. Das betrifft 88 von 153 Studierende. Im Vorjahr sind noch fast doppelt so viele ins Ausland gegangen – 147.
Im Wintersemester war kein Übersee-Semester erlaubt
Die HAW Hamburg hatte Übersee-Mobilitäten im Wintersemester 2020/21 komplett untersagt. Im anlaufenden Sommersemester sind diese wieder möglich, wenn auch nur auf einem niedrigen Niveau, da sich die Semesterzeiten teilweise überschneiden. In Hamburg hat sich das Wintersemester zum Beispiel etwas nach hinten verschoben während in Kopenhagen die regulären Zeiten beibehalten wurden.
Erasmus +
„Erasmus +“ ist ein Förderprogramm der Europäischen Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport. Der Name geht auf Erasmus von Rotterdam zurück, einen europäisch gebildeten Renaissance-Humanisten.
Laut dem International Office der HAW haben sich für das kommende Studienjahr (2021/22) überraschend viele Studierende für das Programm Erasmus+ beworben. Trotz der aktuell unklaren Situation sind nur ein Drittel weniger Bewerbungen eingegangen als im Vorjahr. Erasmus-Praktika seien ebenfalls sehr gefragt. “Die Studierenden haben weiterhin Interesse und sind weiterhin motiviert ins Ausland zu gehen. Die Zeit wird zeigen, wie viele ihr Semester final antreten werden,” so Marina Leß, Koordinatorin Studium im Ausland und Erasmus+.
“Langweilig wird es bei uns nicht”
Auch für das International Office hat sich die Arbeit durch Corona verändert. Die Arbeitsbelastung ist gestiegen trotz der sinkenden Zahl an Bewerber*innen. Jede Partnerhochschule in den verschiedenen Ländern treffe ggf. andere Entscheidungen, ob sie Incoming-Studierende zulässt – eine Planung sei für alle Beteiligten geradezu unmöglich. Neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie spielt auch der Brexit eine große Rolle in den Planungen. “Es gibt zahlreiche parallele Herausforderungen, die es im Erasmus-Bereich aktuell zu bewältigen gibt. Langweilig wird es daher nicht bei uns”, so Marina Leß.
Viele Gaststudierende wieder abgereist
Im Sommersemester 2020 kamen 160 internationale Studierende an die HAW Hamburg. Allerdings sind 70 Studierende nach wenigen Wochen wieder abgereist, weil der erste internationale Lockdown beschlossen wurde. Im Wintersemester kamen 62 Studierende, fast ausschließlich aus den EU-Ländern, in die Hansestadt. Auch für dieses Sommersemester haben von den 120 Bewerber*innen knapp die Hälfte wieder abgesagt.
Gefördert wird nur, wer im Gastland ist
Die erworbenen interkulturellen Erfahrungen und Kompetenzen sollen eine europäische Identität fördern. Erasmus-Semester werden mit Geldern der Europäischen Union unterstützt. Diese Gelder sind allerdings an die tatsächliche physische Mobilität gekoppelt. Wer also nicht ins Ausland reisen darf, bekommt auch kein Geld.
Studieren in Glasgow aus Hamburg
„Nach vier gecancelten Flügen waren meine beiden letzten Optionen, um in meine Erasmusstadt Glasgow zu kommen eine abenteuerliche Überfahrt im Campervan oder ein überteuerter 400-Euro-Flug mit 20-stündiger Reisezeit. Ich entschied mich gegen beides. So wie es derzeit aussieht, werde ich wohl auch noch ein paar weitere Wochen in Hamburg bleiben. Seit dem 15. Februar gilt eine neue Einreiseregelung in Schottland: Einreisende sind verpflichtet, zehn Tage vor Ort in einem Hotel in Quarantäne zu gehen. Für die anfallenden rund 2000 Euro hohen Kosten müssen sie selbst aufkommen. Sofern mich mein Router nicht im Stich lässt, klappt die Online-Lehre von Hamburg aus sehr gut und ich gewöhne mich langsam auch an den schottischen Akzent. Ich finde es jedoch sehr schade, dass die Zoom-Kameras der Seminarteilnehmer*innen so gut wie immer aus bleiben. Dadurch bleibt alles sehr anonym und ich lerne meine Kommiliton*innen nicht wirklich kennen. Ob und inwieweit ich während meiner Erasmuszeit noch die Partnerstadt sehen werden, bleibt fraglich. Das Semester geht nämlich nur bis Mitte Mai. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.“
Kinderzimmer statt Ausland
„Statt „Leben im Ausland“ heißt es bei mir momentan „zurück zu Mutti“. Meine Hamburger Wohnung habe ich zwischenvermietet, in der Absicht in die bereits angemietete Wohnung in Kopenhagen zu ziehen. Dann wurden die Grenzen geschlossen – und ich war plötzlich wohnungslos. Übergangsweise wohne ich jetzt wieder in meinem alten Kinderzimmer und verfolge gespannt, wann ich endlich nach Dänemark einreisen darf. Planungssicherheit gibt es nicht. Klar ist jetzt schon: Die Lehre bleibt das ganze Semester digital. Im Notfall könnte ich also auch aus Deutschland mein Erasmus absolvieren. Das wäre zwar nicht optimal, aber angesichts der Pandemie natürlich verständlich. Die Uni in Kopenhagen gibt sich große Mühe, die Lehre so gut es geht digital anzubieten. Fachlich verpasse ich also nichts. Das, was ansonsten auf der Strecke bleibt, hoffe ich aufzuholen, sobald ich vor Ort bin.“
Wann wir diese Förderung in Anspruch nehmen dürfen, bleibt offen. Die Einreisebeschränkungen in Schottland und Dänemark machen eine Mobilität aktuell nicht möglich. Digitale Lehre findet aber weiterhin statt – und damit sind wir ja schon seit unserem Studium an der HAW Hamburg vertraut.
Titelbild: Luisa Werntges