Jan Schierhorn ist Geschäftsmann – und Wohltäter. In seiner Firma Das Geld hängt an den Bäumen finden etwa Menschen mit Behinderung eine fair entlohnte Anstellung. Trotzdem tut ihm das Spannungsfeld zwischen Konsum und Nachhaltigkeit nicht immer gut.
Jan Schierhorn wirkt entspannt, als er mit dem Smartphone am Ohr aus der Fahrertür seines schwarzen Geländewagens steigt. Der Look ist lässig: Cap, Hoodie, Parkermantel, Baggie-Jeans und bunte Sneaker. Selbstbewusst geht er mit großen Schritten in sein Büro. Hier noch ein Smalltalk, da noch ein Gag. „Läuft alles?“, alle nicken. Man merkt, dass Schierhorn sich hier wohl fühlt. Hier kennt ihn jeder. Hier in Hamburg-Wilhelmsburg befindet sich die Zentrale von Das Geld hängt an den Bäumen.
Sein Unternehmen gibt es, weil Schierhorn an einem lauen Sommerabend im Jahr 2008 auf den Apfelbaum in seinem Garten in Hamburg-Groß Borstel blickte. Viele Früchte waren runzlig geworden, einige lagen auf dem Boden und verfaulten. Schierhorn fragte sich, bei wie vielen anderen Apfelbäumen wohl gerade das gleiche passiert. Man müsste doch einen sinnvollen Nutzen finden können.
Dann machte es Klick: Das Obst, das keiner mehr haben möchte, könnte von strukturell benachteiligten Menschen gesammelt und zu Säften verarbeitet werden. Um quasi „mit vergessenen Ressourcen, vergessenen Menschen eine Arbeit zu ermöglichen“, so Schierhorn.
“Ich wollte etwas machen, was sich richtig anfühlt”
Dann kam eins zum anderen: Kooperation mit einer Hamburger Behindertenwerkstadt, Anschubfinanzierung von der Körberstiftung und Deals mit Gastronomen. Der Saftladen mit dem eigenwilligen Namen war gegründet. Schon lange wollte Schierhorn ein gemeinnütziges Projekt aufbauen: „Ich wollte etwas machen, was sich richtig anfühlt. Meinen Kindern gegenüber authentisch sein – ihnen nicht predigen mit Ressourcen gewissenhaft umzugehen, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen.“
Im Unternehmen arbeiten mittlerweile mehr als 20 Angestellte mit und ohne Behinderung. Sie pflücken das Obst, beliefern Büros sowie Restaurants und erledigen außerhalb der Erntesaison die Gartenarbeit. Alle Teammitglieder sind sozialversicherungspflichtig angestellt und finanzieren ihren Unterhalt selbst – für eine Firma in Deutschland ist das sehr selten. Laut einer Studie des Bundesarbeitsministeriums aus dem Jahr 2011 gelingt nur etwas über 0,1 Prozent aller Angestellten in beschützten Arbeitsstätten der dauerhafte Wechsel in ein reguläres Arbeitsverhältnis. Neuere Studien gibt es nicht, der Integrationsfachdienst Hamburg teilte auf FINK.HAMBURG-Anfrage jedoch mit, dass die Prozentzahl deutschlandweit immer noch aktuell sei. Jan Schierhorn möchte das ändern: „Es ist für viele etwas ganz Besonderes, in einer richtigen Firma zu arbeiten und als volle Arbeitskraft angesehen zu werden. Wir versuchen, Inklusion zu leben“.
„Ich finde diese Begriffe zum Kotzen“
Die ließe sich allerdings nicht durch politische Korrektheit herstellen. Dies sei ein Ansatz, der „oft spaltet statt vereint, weil Unterschiede statt Gemeinsamkeiten im Vordergrund stehen“, sagt Schierhorn. Wenn es um Begrifflichkeiten und Zuschreibungen geht, wird der 52-Jährige deutlich. Er seufzt leicht genervt und lehnt sich nach vorne. „Erst hieß es taub, dann gehörlos, jetzt Mensch mit einer besonderen Unterstützung beim Hören. Ich finde diese Begriffe zum Kotzen. Es geht um die Haltung, die man im Umgang zeigt, um vereinen statt separieren. Für mich sind das Menschen, und zwar alle.“ Ihn störe, dass ihm immer mehr Leute sagen wollen, was geht und was nicht. „Mein Kompass ist etwas, das heutzutage kaum mehr vermittelt wird: Intuition.“ Die scheint Grundlage für viele Entscheidungen in Schierhorns Leben zu sein – selten habe er sie bereut.
Schierhorn hat im Laufe seines Lebens viele Unternehmen gegründet. Drei davon sind am Niedergeorgswerder Deich 169 beheimatet: Stadt-Land-Fluss ist ein Landschafts- und Gartenbauprojekt, Herzrasen ein Spirituosenhandel und Fame Forest ein Aufforstungsprojekt.
Was auf den ersten Blick kaum auffällt: Alles ist vernetzt. Stadt-Land-Fluss beschäftigt die Angestellten von Das Geld hängt an den Bäumen außerhalb der Erntesaison. Herzrasen extrahiert Chlorophyll aus dem Gras von Fußballplätzen, gibt Spritzer davon in Spirituosen und verkauft sie als exklusive Fan-Drinks. Teile des Gewinns fließen in das Geld hängt an den Bäumen. Im Fame Forest wachsen Bäume, finanziert durch Künstler:innen, die in der Barclaycard-Arena in Hamburg auftreten. Einige dieser Stars schmücken das Etikett der Saftschorlen von Das Geld hängt an den Bäumen.
Konsum anregen und Ressourcen sparen – geht das?
Schierhorn weiß Dinge geschickt miteinander zu verbinden. Und er ist ein erfahrener Geschäftsmann. Wenn man ihn fragt, wie viele Unternehmen er führt, muss er einen Moment nachdenken und zieht die Stirn kraus. „Mindestens ein knappes Duzend“, sagt er. Los ging es damit schon früh: Schierhorn wechselte nach dem Abitur von der Schulbank direkt in die Selbständigkeit, gründete erst ein Football-Team, dann diverse Marketingunternehmen, später eine Vermögensberatung.
Der 52-Jährige bezeichnet sich selbst als Generalisten, jemand der „vieles ein bisschen kann, aber nichts so richtig“. Dabei kommt es zwischen Unternehmertum und Gemeinsinn auch zu Widersprüchen: Seine Marketingagentur Baudeck & Schierhorn ist etwa darauf spezialisiert Produktproben an Orten zu vertreiben, an denen sie sinnvoll zum Einsatz kommen. Eine Haarshampooprobe im Fitnessstudio zum Beispiel. Konsum anregen und gleichzeitig ein gemeinsinniges Unternehmen führen, das Ressourcen sparen will – ist das authentisch?
Schierhorn erkennt diese Polarität an. Mal könne er damit gut, mal weniger gut mit umgehen. Er wirkt ernst, wenn er über das Spannungsverhältnis redet. Seine Stimme klingt ruhig. „Sicherlich – einige Produkte braucht kein Mensch. Mir ist wichtig, dass ich niemanden manipuliere. Ich sende keine Werbebotschaft, sondern sage einfach: probiere es aus. Ob du es dann kaufst, hängt von dir und dem Produkt ab.“
Merchandising aus Nutzhanf
Jan Schierhorn wäre nicht Jan Schierhorn, wenn er nicht schon die nächste Geschäftsidee hätte: Er will ein riesiges Feld pachten, um darauf Nutzhanf anzubauen. „Das hat einen besseren Ökoprint als Baumwolle und wird immer mehr genutzt“, sagt er. Daraus soll dann Fame-Forest-Merchandising werden, den wiederum die Stars aus der Barclaycard-Arena bewerben. Und der Erlös? Fließt natürlich in Teilen wieder zurück in gemeinnützige Projekte.
Die Idee passt gut in Schierhorns Welt: Er kann vorhandene Unternehmensstrukturen nutzen, um daraus wiederum neue Projekte zu entwickeln. Alles ist miteinander verbunden, der soziale Gedanke mitgedacht und am Ende profitieren alle. Business as usual. In Hanf-Hoodie würde Schierhorn dann sicherlich noch lässiger wirken.