Dragqueens stehen für mehr als nur Entertainment. FINK.HAMBURG hat mit Dragqueen Bambi Mercury über Toleranz und den Christopher Street Day gesprochen. Er erzählt, was Drag eigentlich ist, welche Erfahrungen er in der Öffentlichkeit macht und ob seine Kostüme in der Pandemie eingestaubt sind.
Ein Interview von Lukas Barth und Katharina Böhmer
Stonewall-Aufstand: Am 28. Juni 1969 wehrten sich Menschen aus der queeren Community gegen die Räumung der New-Yorker Schwulenbar „Stonewall Inn“ in der Christopher-Street. Dieses Ereignis, das tagelange Unruhen nach sich zog, gilt als Wendepunkt im Kampf gegen die Diskriminierung.
Der sogenannte Stonewall-Aufstand vom 28. Juni 1969 (s. Kasten) gilt in der LGBTQIA*-Szene als Wendepunkt im Kampf für Gleichberechtigung. Ganz vorne mit dabei waren damals auch Dragqueens. Dass der Kampf um Gleichberechtigung auch heute noch nicht beendet ist, zeigt allein schon der Blick in Nachbarstaaten: In Ungarn wurde das äußerst umstrittene Homosexuellen-Gesetz verabschiedet und in Polen gibt es LGBTQIA*-freie-Zonen.
LGBTQIA* ist die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer, Inter, Asexual und NonBinary
Dragqueen Bambi Mercury aka Tim, bekannt aus der Fernsehshow “Queen of Drags”, geht nicht nur am Christopher-Street-Day (CSD) für Toleranz und Akzeptanz auf die Straße. Seinen ersten CSD erlebte der Wahl-Berliner vor mehr als zehn Jahren in Hamburg und seitdem hat sich viel verändert. Heute nutzt Bambi seine Reichweite auf Instagram, um die LGBTQIA*-Community zu stärken und anderen näherzubringen.
Im Interview mit FINK.HAMBURG erzählt er, wie tolerant Deutschland seiner Meinung nach ist, ob seine Kostüme in der Pandemie im Schrank eingestaubt sind und warum Drag nicht nur Glitzer, sondern auch Politik ist.
Was ist Drag überhaupt?
FINK.HAMBURG: Wenn du einem Kind erklären müsstest, was der Unterschied zwischen Tim und Bambi Mercury ist, was würdest du sagen?
Bambi Mercury: Dass ich als Bambi Mercury immer noch ich bin, bloß jetzt als wunderschöne Märchenprinzessin. Damit kann das Kind dann viel anfangen. Ich habe das so bei einer Freundin gehört, fand es total toll – und hab es dann einfach übernommen.
Ändern sich neben dem Styling auch Charakterzüge oder die Art und Weise, wie du dich verhältst?
Bambi: Bambi und Tim teilen sich einen Körper und wenn ich nicht als Drag unterwegs bin, gehe ich eher in der Masse unter und bin ein wenig schüchterner. Als Drag kann ich mich nicht einfach verstecken, sondern falle auf. Dann mache ich auch mal den Mund auf und bin etwas lauter.
Wie kamst du eigentlich zur Drag-Szene?
Bambi: Ich habe 2012 in Frankfurt gewohnt und da hatte ich mal ein Date mit jemandem, der meinte, dass er häufiger verkleidet feiern geht und, dass ich mal mitkommen sollte. Das hab ich dann auch gemacht und entdeckt, dass ich das richtig cool finde. Das hatte mit Drag auch noch nicht viel zu tun, ich war einfach stark geschminkt und sah eher aus wie eine Mülltonne. Ein bisschen später war ich mal beim Public Viewing der Sendung „RuPaul’s Drag Race“ und da waren auch Drags, die live performt haben. Ich dachte: ‘Wow ist das geil.’ Und seitdem wollte ich das auch. Zwei Wochen später stand ich dann auf der Bühne und war Bambi. Es gab kein Zurück mehr.
Schlüpfst du in verschiedene Rollen je nach Outfit. Oder ist Bambi ein Charakter in unterschiedlichen Looks?
Bambi: Ich wechsle immer zwischen den Geschlechtern. Manchmal bin ich mehr männlich, manchmal mehr weiblich. Es gibt kein Hauptkonzept für Bambi, außer: Mehr ist mehr. Die Outfits sind inspiriert aus meiner Kindheit und Jugend. Also Popkultur oder Disney. Hauptsache individuell.
Wie würdest du jemanden die Geschlechtsidentität erklären, der nichts mit der Drag-Szene zu tun hat?
Bambi: Ganz oft gibt es die falsche Annahme, dass du als Drag ein Mann in Reizwäsche bist oder eine Frau sein willst. Ich erkläre immer, dass es Kunst ist – eine Mischung aus Performance, politischen Themen, Demonstration und Entertainment. Unabhängig davon, ob du schwul, hetero, trans oder non binär bist. Drag ist Entertainment und Empowerment und das darf meiner Ansicht nach jeder Mensch machen. Historisch gesehen lässt sich Drag einfach erklären: Früher durften Frauen im Theater nicht auftreten. Also mussten Männer die Frauenrollen übernehmen. Daher auch die Abkürzung Drag für Dressed As A Girl.
Mit weniger Glitzer durch die Pandemie
Eure Kunst lebt davon, gesehen zu werden. Wie erging es dir während der Corona-Pandemie, als das nur sehr schwer möglich war?
Bambi: Ich habe mich selbstständig gemacht, zwei Wochen gearbeitet und dann kam die Pandemie. Da bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Dann kam eine Selbstfindungsphase. Ich habe gemerkt, dass ich auch noch viel anderes kann. Ich sehe Dinge jetzt mit anderen Augen und genieße sie ganz anders, weil sie ruckzuck wieder weg sein können. Wir haben es überlebt, aber viele andere haben das nicht.
Welche Auswirkungen hat das für die Community?
Bambi: Wir supporten unsere Safe-Spaces, also Clubs, Bars und Restaurants, in denen wir uns als Community treffen. Viele können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie wichtig das eigentlich ist. Es hat ja nicht jeder von uns ein gutes Umfeld daheim. In den Safe-Spaces können wir uns gegenseitig unterstützen. Das rettet Leben.
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CSD: Auf die Straße für Gleichberechtigung und Toleranz
Am 24. Juli ist CSD. Hat dich der Tag geprägt? Warst du schon seit Beginn deiner Drag-Zeit Teil davon?
Queer bezeichnet Personen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung einer anderen als der heterosexuellen Norm entspricht.
Bambi: Ich komm ja eigentlich aus einem kleinen Dorf. Am Anfang war ich mit zu viel Queerness überfordert. Meinen ersten CSD habe ich in Hamburg gefeiert. Ich hatte die dünnsten Augenbrauen meines Lebens, war als Engel verkleidet, hab aufgelegt und performt.
Klingt nach sehr viel Spaß.
Bambi: Der CSD ist aber nicht nur eine Party, bei der wir uns betrinken und halbnackt durch die Gegend rennen. Es ist auch ein sehr politischer Tag und sorgt für Sichtbarkeit. Ich bin jeden Tag ich und möchte auch jeden Tag so toleriert und akzeptiert werden. Nicht nur im Pride Month oder am CSD. Es gibt viele Menschen, die Vorurteile haben und die muss man einfach aufklären.
Wie tolerant ist Deutschland?
Bambi: 50:50 würde ich sagen. Arschlöcher gibt es überall. Es gibt mehr Sichtbarkeit für die queere Community und es ist schon besser geworden. Aber in manchen Aspekten bewegt sich Deutschland schon wieder zurück. Ein gutes Beispiel dafür ist das Gleichstellungsgesetz von Transpersonen. Wir haben noch einen sehr weiten Weg vor uns.
Wer sich seinem biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlt und das in amtlichen Dokumenten korrigieren lassen möchte, muss sich am Transsexuellengesetz (TSG) orientieren. Ein diskriminierendes Gesetz, sagen Betroffene und Interessensvertreter:innen.
Hast du Freunde, die in Ländern wie Ungarn oder Polen leben und dir berichten, wie die Lage dort ist?
Bambi: Ich ziehe meinen Hut vor allen Kolleg:innen, die dort weiter für ihre Kunst und sich selbst einstehen. Ich wüsste nicht, ob ich so stark wäre. Ein Kollege von mir ist aus der Ukraine nach Holland geflohen und lebt jetzt ein queeres Leben in Amsterdam. Wenn möglich, versuche ich zu helfen, denn ich bin hier in Deutschland in einer privilegierten Situation.
Was für einen Einfluss kannst du konkret mit deiner Figur haben?
Bambi: Ich stehe für Entertainment und bin kein stark politischer Mensch, aber ich finde es ganz wichtig, durch meine Öffentlichkeit andere zu ermutigen so zu sein, wie sie sind.
Anfeindungen als queere Person
Die Reaktionen auf dich sind vermutlich nicht immer nur positiv. Hast du Angst, angegriffen zu werden?
Bambi: Ich sehe mich als Figur der Nacht, denn ich bin quasi nur im Dunkeln unterwegs. In meiner Bubble bekomme ich nur positives Feedback. Es gibt aber überall Menschen, die negativ und aggressiv sind. Als Drag achte ich darauf, nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Viele meiner Freunde wurden aufgrund ihres femininen Auftritts auch schon Opfer von Gewalt oder Anfeindungen. Es ist nicht einfach als Mensch, der nicht der hetero Norm entspricht.
Wie viele Kostüme hast du als “Figur der Nacht”?
Bambi: Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht genau. Es müssten um die 50 sein. In der Pandemie sind einige zu eng geworden.