Mit seinen Mitmenschen über seelische Probleme reden: Das bietet die Aktion Klönschnackbank in Dulsberg. Initiatorin Carolina hat dabei schon etliches gehört – rührende Lebensgeschichten, lustige Anekdoten, aber auch schockierende Verschwörungstheorien.
Zwei Klappstühle stehen auf dem Straßburger Platz in Dulsberg bereit. Einer davon ist leer. Auf dem anderen sitzt Carolina Gonzalez-Schultchen. Sie verbringt auf diesem Sitzplatz jedoch nicht ihre Mittagspause, sondern wartet auf gesprächige Besucher:innen. Carolina studiert soziale Arbeit im fünften Semester an der HAW Hamburg und macht gerade ein Praktikum im Stadtteilbüro Dulsberg.
Klönschnackbank: Gemütlich plaudern
Für ihre Aktion Klönschnackbank sitzt sie seit Weihnachten 2020 fast jeden Donnerstag und Freitag von 11 bis 13 Uhr auf besagtem Klappstuhl und redet mit allen, die offen für Small Talk sind, sich gerne mitteilen wollen oder eine:n Gesprächspartner:in brauchen. Egal, ob eisige Kälte oder drückende Hitze. Bis voraussichtlich Mitte September wird Carolina dort weiterhin Gespräche führen.
Das Wort “klönen” ist eine norddeutsche Redensart und bedeutet sinngemäß: “gemütlich plaudern”. Diesem Ruf folgt die FINK.HAMBURG-Redaktion gerne. Bei einer warmen Tasse Kaffee redet Carolina über ihren Stadtteil, dessen Bewohner:innen und das Projekt Klönschnackbank.
FINK.HAMBURG: Wie kamst du auf die Idee der Klönschnackbank?
Carolina Gonzalez-Schultchen: Als ich mit meinem Praktikum letztes Jahr angefangen habe, standen wir kurz vor der zweiten Corona-Welle. Da dachte ich mir, dass es wohl viele Menschen geben wird, die niemanden zum Reden haben oder aus Angst nur mit wenigen Menschen sprechen. Dagegen wollte ich was tun. Bei meinen Recherchen bin ich im Internet auf die Aktion Bank der Begegnungen in Forchheim gestoßen. Die Idee fand ich so toll, dass ich das Konzept auch in Dulsberg ausprobieren wollte.
Du bist selbst in Dulsberg aufgewachsen. Wie hat sich das Leben dort über die Jahre verändert?
Es ist auf jeden Fall jünger geworden. In den Teilen von Dulsberg, in denen ich aufgewachsen bin, hat sich jedoch abseits von ein paar neuen Gebäuden wenig verändert.
Was bedeutet es für dich, diese Aktion in deinem alten Stadtteil anzubieten?
Ich habe mich bewusst für ein Praktikum beim Stadtteilbüro Dulsberg beworben, weil ich einfach den größten Bezug zu diesem Stadtteil habe, auch wenn ich jetzt schon länger in Hamm Nord lebe. Deswegen hat es für mich auch am meisten Sinn gemacht, meine Aktion in Dulsberg zu veranstalten.
Hast du regelmäßige Besucher:innen?
Das kommt schon vor. Eine 82-jährige Dame setzt sich sogar so oft zu mir, dass wir mittlerweile Nummern ausgetauscht haben. Sie ruft beispielsweise an, wenn Umwetter ist, um zu fragen, ob ich trotzdem auf der Bank sitze oder sie sagt per Telefon ab. Das ist echt süß. Man soll bei der sozialen Arbeit normalerweise immer eine professionelle Distanz bewahren. Meine Besucher sind für mich aber keine Klienten, weil ich ja niemanden aktiv betreue. Ich höre ihnen als normale Privatperson zu und gebe auch was von mir preis. Das ist Teil des Konzepts.
Dennoch wende ich bei der Gesprächsführung Methoden wie aktives Zuhören an. In diese Techniken habe ich mich für das Projekt extra eingearbeitet. Auf reiner privater Ebene laufen die Gespräche somit auch nicht ab. Gerade dann, wenn sich die Meinungen des Gesprächspartners nicht mit meinen decken. Dann heißt es: zuhören und Fragen stellen. Selbst wenn ich entsetzt über manche Aussagen bin, verteidige ich diplomatisch und zurückhaltend meinen eigenen Standpunkt. Das ist eine Fähigkeit, die uns auch im Studium vermittelt wird und die sehr wichtig für die soziale Arbeit mit Menschen ist.
Gibt es einen Altersdurchschnitt?
Mein jüngster Besucher war 28 Jahre. Generell finden aber meist ältere Menschen zu mir. Ein Großteil ist auch nicht durch meine Plakate auf die Aktion aufmerksam geworden, sondern hat mich zufällig auf dem Straßburger Platz entdeckt, mich neugierig angesprochen und sich spontan hingesetzt.
Was machst du denn an Tagen, an denen niemand kommt?
Man bekommt nach einiger Zeit ein Gefühl für gewisse Tagesabläufe. So machen beispielsweise Arbeiter von der Stadtreinigung jeden Tag an einem bestimmten Kiosk Mittagspause. Da dauert es nicht lang, bis man mit einigen hin und wieder einen kurzen Small Talk führt. So sieht man immer dieselben Gesichter.
Warum hast du dich für soziale Arbeit als Studiengang entschieden?
Ich wollte immer was mit Menschen machen. Das kommt vielleicht daher, dass meine Eltern aus Chile kommen und ich sie bereits als Kind zu Behörden begleitet habe, um zu übersetzen. Somit wurde mir früh klar, dass es bei der Integration in Deutschland noch viele Baustellen gibt. Nach meinem Studium würde ich deswegen auch gerne Menschen mit Migrationshintergrund bei ihren alltäglichen Problemen helfen.
Die Aktion läuft seit einem halben Jahr. Somit hast du mit den Menschen während des zweiten und dritten Lockdowns geredet. Haben sich die Gespräche durch den Verlauf der Pandemie irgendwie verändert?
Eher weniger. Wobei in letzter Zeit viel über Impfungen geredet wird. Trotzdem ist Corona immer ein Thema. Allein schon, weil ich die Klönschnackbank ja auch wegen der Pandemie ins Leben gerufen habe. Von politischen Diskussionen über Erfahrungsberichte bis hin zu Verschwörungstheorien ist da schon alles dabei gewesen.
Ein Sprichwort besagt, dass man zu fremden Personen manchmal offener sein kann als zu Menschen, die man jahrelang kennt. Werden dir oft persönliche Dinge anvertraut?
Ja. Ein Gespräch kommt mir da direkt in den Sinn: Ein älterer Mann hat mir seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Wo er geboren wurde, wie seine Kindheit war, welche Abenteuer er auf hoher See erlebt hat und wie er seine Frau kennenlernte. Es waren aber auch viele Schicksalsschläge dabei. Diese Geschichte werde ich nie vergessen. Das hat mich so mitgenommen, dass mir die Tränen gekommen sind.
Haben sich auch ein paar lustige Situationen ergeben?
Durch meine Eltern kann ich fließend Spanisch und wurde schon öfter gefragt, ob ich bereit wäre, das Gespräch in meiner Muttersprache zu führen. So konnten meine Gesprächspartner ihre Sprachkenntnisse ein bisschen auffrischen.
Was für ein Zwischenfazit ziehst du aus deiner Aktion?
Aus organisatorischer Sicht hätte ich, glaube ich, nicht im Winter anfangen sollen, weil es wirklich sehr kalt war. Deswegen ist in diesem Zeitraum wohl auch selten ein Gespräch zustande gekommen. Insgesamt bin ich aber zufrieden, auch wenn es hin und wieder mehr Gespräche hätten sein können. Jetzt, wo es wärmer ist, führe ich viel mehr Konversationen.
Aus persönlicher Sicht hat die Klönschnackbank nicht nur meinen Gesprächspartnern geholfen, sondern auch mich bereichert. Es ist eine Sache, Lebens- und Stadtgeschichten in einem Buch zu lesen. Diese hingegen von echten Menschen erzählt zu bekommen, die diese Geschichten erlebt haben, das verbindet einen viel mehr mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen. Jetzt habe ich eine noch stärkere Bindung zu Dulsberg.
Illustration: Maria Hüttl