Die Hamburger Weihnachtsmärkte finden statt – trotz Corona-Pandemie. So auch der “Santa Pauli”-Weihnachtsmarkt auf dem Kiez. FINK.HAMBURG war zur Eröffnung am Spielbudenplatz und hat sich umgehört, was die Besucher:innen dieses Jahr auf “Hamburgs geilstem Weihnachtsmarkt” erwartet.
Ein Beitrag von Mia Holland und Alina Pinckvoß.
Die vielen Menschen, die sich trotz Pandemie an den Glühweinständen tummeln, das Sicherheitspersonal, die langen Schlangen am Eingang oder die Plastikbrüste der Dragqueen in Weihnachtsdessous – es ist schwer zu benennen, was mehr irritiert. Der Santa Pauli Weihnachtsmarkt ist wie immer skurril und knüpft an die Klischees des Kiez an: Penislebkuchen, Sexspielzeuge – teilweise sogar im Weihnachtslook – und Stripshow. Nicht ohne Grund betitelt sich die Veranstaltung selbst als “Hamburgs geilster Weihnachtsmarkt” – Abstand halten gehört hier eigentlich nicht zum Konzept.
“Es ist wie ein Blindflug”
Am 15. November hat der Santa Pauli Weihnachtsmarkt auf dem Spielbudenplatz eröffnet. Bis zum 23. Dezember können Besucher:innen den feucht-fröhlichen Weihnachtsmarktzauber genießen: ob nun bei einem leckeren Schokopenis vom “Schokofrüchtchen”-Stand oder klassisch mit einem Glühwein auf dem Winterdeck.
Aber wie lange noch? Die steigenden Corona-Zahlen beunruhigen auch den Geschäftsführer des Spielbudenplatzes, Jochen Bohnsack. “Es ist ein mulmiges Gefühl, wie ein Blindflug”, sagt er gegenüber FINK.HAMBURG. Trotzdem: Nun sei alles aufgebaut und das Geld ausgegeben. “Jetzt nehmen wir es, wie es kommt und hoffen das Beste”, so Bohnsack weiter.
Wir machen’s ohne
Ohne Abstand, ohne Maske – das geht nur unter 2G-Bedingungen. Der Einlass ist ausschließlich für Geimpfte und Genesene möglich. Bevor es auf den mit Rindenmulch ausgelegten Platz geht, müssen Besucher:innen durch die Einlasskontrolle. Wenn das Sicherheitspersonal die Impf- oder Genesenennachweise kontrolliert hat und die Zeitangabe in der Luca-App zu zählen beginnt, darf der schützende Überzug fallen – zumindest im Gesicht.
Wer im Sommer bereits zum Public Viewing auf dem Spielbudenplatz war, der kennt das Prinzip: Zwei kontrollierte Eingänge, spezielle Ausgänge und viel Sicherheitspersonal. Ob das die Stimmung trübt? Die Pressesprecherin des Spielbudenplatz, Nina Kampe, sieht es gelassen: “Wir hoffen, dass wir es für die Gäste so gut und so unkompliziert wie möglich gestaltet haben und der Spaß nicht vergeht, weil sie so lange in der Schlange stehen müssen.” Für etwas mehr Platz seien zumindest die Glühweinstände auseinandergezogen. Trotzdem soll der heiße Winterzauber nicht zu kurz kommen – weder in den Tassen noch auf der Bühne.
Draus’ vom Walde komm ich her
Immer ein besonderes Highlight auf dem Santa Pauli: das Strip-Zelt. Hier konnten volljährige Besucher:innen in den vergangenen Jahren weihnachtlichen Stripper:innen bei kurzen Shows zusehen. Aber geht das in Corona-Zeiten? Pressesprecherin Kampe gibt Entwarnung: “Dank 2G müssen die Leute dieses Jahr nicht auf die Stripshows verzichten.” Allerdings haben die Veranstaltenden das Spektakel verlegt: Dieses Jahr gibt es einen Strip-Wald anstatt des altbekannten Zelts. Für das Zelt hätte es härtere Auflagen gegeben, das werde jetzt umgangen, erklärt Kampe. “Natürlich wird gestrippt, denn das gehört einfach zum Markt dazu,” so die Pressesprecherin.
Zwischen Glasdildos und Marzipan-Muschis
Die Standbetreiber:innen hoffen auf viele Gäste. Vergangenes Jahr musste der Weihnachtsmarkt ausfallen und hatte hohe Einbußen hinterlassen. “Man macht sich schon Sorgen, dass man überlebt”, so Renata Behneke vom Stand “Warm, feucht und lecker”. “Dieses Jahr wird es wohl keine weiteren Hilfen geben und wir sind auf das Geschäft angewiesen”, sagt Behneke. Sie verkauft auf dem Markt Glasdildos. Hauptberuflich ist sie Inhaberin eines Kosmetikstudios, das wegen der Corona-Pandemie ebenfalls lange Zeit geschlossen hatte.
Auch für Fellerhoff, Betreiber vom Stand “Schokofrüchtchen”, der seinen Vornamen nicht veröffentlicht wissen will, ist die Corona-Pandemie keine einfache Zeit: “Wir hatten jetzt zwei Jahre Sendepause und keine Möglichkeit in unserem Beruf [Anm. d. Red.: als Schausteller] Geld zu verdienen”. Fellerhoff macht sich daher Sorgen, dass auch dieses Jahr die Politik “dazwischenfunken” könnte. Bei den Besucherzahlen habe er aber ein gutes Gefühl: “Ich denke, dass nach der Pause jetzt viele kommen”, sagt er – trotz steigender Infektionszahlen.
Keine Angst bei den Gästen
“Es ist großartig zu sehen, dass die Leute wieder draußen sind, gerade hier, inmitten der Reeperbahn”, sagt Jadrian Clack. Der 27-Jährige besucht das erste Mal den Santa Pauli Weihnachtsmarkt. Er sei geimpft und mache sich keine Sorgen, krank zu werden. “Es ist auf jeden Fall sicherer, dass es draußen stattfindet”, so Clack. “Ab einem gewissen Punkt muss man einfach zum Leben zurückkehren, ansonsten wird man vom Zuhause-Bleiben und Social Distancing noch irre”, sagt er.
Zum Leben zurückkehren: Das wünschen sich zurzeit wahrscheinlich viele. Die 2G-Regelungen wurden inzwischen ausgeweitet. Aber würde eine 2G-Plus-Regelung, also geimpft oder genesen plus Schnelltest, nicht noch sicherer sein? Standbetreiber Fellerhoff würde eine solche Regelung begrüßen: “Geimpfte und Genesene können trotzdem Corona kriegen und weitergeben”, sagt er. “Wer getestet ist, da weiß ich, dass er wahrscheinlich nichts hat”, so Fellerhoff. Allerdings erhärtet sich der Verdacht: Bei Geimpften schlagen Schnelltests nicht immer an. Ob es auf Santa Pauli verschärfte Maßnahmen geben wird, ist offen. Der Senat tagt dazu am Dienstag.