Etwa einhundert Namen von historisch belasteten Personen seien heute noch sichtbar im Stadtbild, sagt Rita Bake. Sie gehört einer Kommission der Kulturbehörde an, die sich mit Hamburgs Straßennamen kritisch auseinandersetzt: Wann muss man erläutern? Wann umbenennen?
Sie liegt mitten in Eppendorf. Unscheinbar, ungefähr 400 Meter lang, gesäumt von einem Hochhaus, das Platz für dutzende Familien bietet und dem Oberstufenhaus der Stadtteilschule Eppendorf: die Schottmüllerstraße. Sie gehört zu den rund 36 Prozent der Hamburger Straßen, die Namen von bedeutenden Persönlichkeiten tragen.
Schottmüllerstraße: Vom NS-Sympathisanten zum Opfer
Nichts lässt an diesem Ort darauf schließen, dass es sich beim Namensgeber um eine Person handelt, die mit der Zeit des Nationalsozialismus verknüpft ist. Zwar ist der Name der Straße mittlerweile umgewidmet, doch benannt wurde sie ursprünglich nach Dr. Hugo Schottmüller, einem Internisten, Bakteriologen und Professor. Von 1919 an arbeitete er am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten trat er 1933 der NSDAP bei. Im November unterzeichnete er, wie 900 weitere deutsche Professoren, das „Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat”.
2014 widmete die Stadt Hamburg die Straße um. Seitdem ist sie nicht mehr Hugo, sondern Oda Schottmüller gewidmet. Sie war Bildhauerin und im Dritten Reich Mitglied der Widerstandsgruppe “Rote Kapelle”. Die Nazis ermordeten Oda Schottmüller 1943 im Berliner Strafgefängnis Plötzensee. Der Fall Schottmüller zeigt, dass noch immer nicht alle Relikte aus der zwölfjährigen faschistischen Diktatur Adolf Hitlers getilgt sind. Auch heute finden sich in Deutschlands Städten viele Spuren dieser Art, wenn man genau hinsieht.
Hamburgs Straßennamen: Noch immer läuft die Aufarbeitung
2015 schuf die Hamburger Landeszentrale für politische Bildung unter der Projektleitung von Rita Bake die Online-Datenbank „Die Dabeigewesenen“. Seitdem sammelt die promovierte Sozialhistorikerin für die Online-Topografie die Kurzprofile von Menschen, die die NS-Diktatur möglich machten und von solchen, die sie unterstützten oder unter ihr profitierten. Die aus öffentlichen Quellen recherchierten und eingepflegten Profile von Täter:innen und Mitläufer:innen leisten einen Beitrag für die weiter andauernde Aufarbeitung des Nationalsozialismus und seiner Spuren im Hamburger Stadtbild.
Doch wann ist jemand Täter? Wann “nur” dabei gewesen? Das gilt es zu definieren und dabei genau hinzuschauen. Nicht alle Mitglieder der NSDAP seien Täter:innen gewesen, manche Täter:innen seien hingegen in keiner NS-Organisation gewesen, erzählt Bake am Esstisch. „Es ist definitiv so, dass nach 1945 noch viele Straßen nach ehemaligen Mitgliedern der NSDAP benannt worden sind. Und das noch bis ins Jahr 2002“, fügt sie hinzu. Etwa einhundert Namen von historisch belasteten Personen seien heute noch sichtbar im Stadtbild.
Aufarbeitung erst seit der Studierendenbewegung
Wie kann es sein, dass die Stadt auch nach 1945 noch Straßen nach mindestens historisch zweifelhaften Personen benannte? Bake erklärt es sich mit mangelnder Aufarbeitungsbereitschaft und Sorgfalt. „Ich glaube, dass einfach nicht darauf geachtet wurde.” Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Herrschaft sei erst in den 1970er Jahren durch die Studentenbewgung erfolgt, Aufklärung über die Vergangenheit brachten zudem erst sogenannte Geschichtswerkstätten. In Vereinen oder Gruppen arbeiten sie regionale Geschichte “von unten” auf. Schwerpunkte der Geschichtsforschung liegen in den Vereinen häufig auf dem Widerstand gegen das Regime, der Judenverfolgung oder auf der Organisation und dem Ablauf der Zwangsarbeit.
Auch Straßennamen werden seitdem kritisch beleuchtet und bei Bedarf geändert. Häufig ist dafür eine Empfehlung der Bezirksversammlung Ausgangspunkt. Doch auch eine von der Kulturbehörde eingesetzte Kommission kann mit einer Empfehlung den Stein ins Rollen bringen. Rita Bake gehört dieser Kommission an. In ihrer Arbeit erfährt sie dennoch hin und wieder Hindernisse. So sei es mitunter mühsam, sagt sie, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, der Prozess ziehe sich in die Länge.
Umbenennung oder Kontextualisierung von Hamburgs Straßennamen?
Bei jedem Fall steht zudem die Frage im Raum: Ist eine Umbenennung oder Umwidmung sinnvoll? Wird nicht gerade durch historisch belastete Namensgeber:innen die Erinnerung am Leben gehalten? Bake findet, dass nicht immer zwingend eine Umbenennung erforderlich sein muss. Sie ist der Meinung, dass bei bestimmten Straßennamen auch Kontextualisierungen ausreichen. Dabei könne man auf digitale Unterstützung zurückgreifen und etwa mit Apps und QR-Codes arbeiten. Wichtig sei, dass nichts sang- und klanglos verschwinde: „Das halte ich für nicht gut. Denn damit wird der Aufarbeitung der Geschichte nicht Folge geleistet.“
Für Rita Bake wird es weiter darum gehen, Relikte aus dieser Zeit sichtbar zu machen und Anstöße zur Reflexion zu geben. Sie wird die Stadt weiterhin auf historisch belastete Namensgeber:innen aufmerksam machen. Und so die Erinnerungskultur am Leben halten.