Für ukrainische Schüler ist in Hamburg alles neu. Das Heisenberg Gymnasium Hamburg hat für die Kinder aus der Ukraine eine eigene Klasse gegründet. Ein Blick auf ihre Sorgen und Ängste, aber auch auf ihre Zukunft und Hoffnung.
Dieser Text wurde auch ins Ukrainische übersetzt. / Стаття Українською.
Titelbild: Sarah Böse
An Kyrylos erstem Tag an der neuen Schule, war seine größte Sorge, wie er bei seinen Mitschüler*innen ankommen wird. Sein gelber Rucksack, der seiner Meinung nach “überhaupt nicht zu einem Jungen passt”, hat ihn deshalb ziemlich verzweifeln lassen. Er ist ein aufgeweckter Junge mit kurzen braunen Haaren. Die Kapuze seines grauen Sweatshirt-Pullis hat er auf den Kopf gezogen.
Kyrylo ist erst seit wenigen Wochen in Deutschland, genauso wie seine elf Mitschüler*innen. Sie alle sind vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen – unter anderem aus der Hauptstadt Kiew, aus Butscha und aus der Hafenstadt Odessa. Vom einen auf den anderen Tag war alles anders. Dann waren sie da, in einem fremden Land, einer fremden Stadt, in einer fremden Schule.
Mittwoch, 8 Uhr, Unterrichtsbeginn
Zusammen sitzen sie nun in einem Klassenraum im zweiten Stock des Heisenberg Gymnasium Hamburg mit Blick über den Stadtteil Eißendorf. Die Sonne scheint durch einen Spalt zwischen den blauen Gardinen. Bunte Zettel an den Fenstern werfen quadratische Schatten auf den Boden des Raumes. Es hat schon vor einigen Minuten zum Unterrichtsbeginn geklingelt.
Lena Kischlow, die Klassenlehrerin, zählt laut herunter. “Fünf, vier, drei, zwei, eins…” Ein Mädchen mit rotem, schulterlangem Haar und Pony stürmt im letzten Moment in den Raum. Sie trägt ein rotes T-Shirt mit weißen Schriftzeichen. Sie läuft mit energischem Schritt zu ihrem Platz, lacht und klatscht ein Buch vor sich auf den Tisch, dann setzt sie sich. Es ist kurz nach 8 Uhr. Auf dem Stundenplan steht Mathe – auf Russisch.
Heute geht es um das Dreieck. Die Lehrerin legt ihre Handballen aneinander und zeigt einen Winkel. Die Schüler*innen melden sich und nennen die deutschen Begriffe: gleichschenkliges Dreieck, spitzer Winkel, rechter Winkel. Danach werden Flächeninhalte berechnet. Die Aufgaben werden von den Schüler*innen abwechselnd vorgelesen – auf Deutsch. Die Lehrerin korrigiert die Aussprache und übersetzt wieder ins Russische. Es wird viel miteinander gelacht. Der Unterricht wirkt leicht, fast wie eine Unterhaltung.
Vormittags Deutsch – nachmittags Ukrainisch
In der zweiten Stunde unterhalte ich mich mit den Schüler*innen. Deutsch sprechen die Kinder noch nicht so gut und Englisch, ist ihnen auf Dauer zu anstrengend. Deshalb dolmetscht Frau Kischlow. Ich stelle meine Fragen auf Deutsch, Frau Kischlow übersetzt ins Russische, sammelt die Antworten der Schüler*innen und übersetzt sie mir wieder ins Deutsche. Sie erzählen mir, dass ihr Schultag in der Regel von 8 Uhr bis 13:30 Uhr geht – zumindest der deutsche Unterricht. Am Nachmittag folgt der ukrainische Onlineunterricht. Ein vollgepackter Tag, der wenig Zeit für Hobbys lässt.
Am Wochenende aber haben sie Zeit, etwas zu unternehmen. Am liebsten erkunden die Schüler*innen gemeinsam die Stadt. “Es ist wirklich erstaunlich, sie harmonieren sehr gut als Gruppe. Zum Beispiel gehen sie überall zusammen hin, spazieren zusammen, machen viele Dinge.”, schiebt Frau Kischlow ein. Eine Hafenrundfahrt haben sie schon gemacht und auf dem Hamburger Frühlingsdom waren sie auch. Ihr Lieblingsfahrgeschäft? Keiner weiß mehr, wie es heißt, aber es hat sich schnell gedreht, hoch in der Luft. Anastasia, das Mädchen mit den roten Haaren, macht die Bewegung mit ihren Händen nach.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine macht sich auch in Hamburg bemerkbar. FINK.HAMBURG hat dazu in der Serie „Ukraine in Hamburg“ Reportagen und Porträts von Betroffenen zusammengestellt. In der Schule und im Ballett, unterwegs mit einer geflüchteten Influencerin und einem Tennisprofi aus Kiew – FINK.HAMBURG zeigt unterschiedliche Herausforderungen und Perspektiven, die mit dem Krieg zusammenhängen.
Am Anfang ist es einfacher, wenn man die gleiche Sprache spricht
Fast alle hatten Angst davor in einer neuen Klasse keinen Anschluss zu finden, nicht reinzupassen. Vor allem in eine gemischte Klasse zu kommen, mit Kindern verschiedener Nationalitäten, hat ihnen Sorgen bereitet. Sie befürchteten, dass die Sprachbarriere und die kulturellen Unterschiede dort größer sein würden.
Grundsätzlich gilt: alle Schüler*innen, die nach Deutschland kommen und die deutsche Sprache erst noch lernen müssen, werden zunächst in internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) unterrichtet. In diesen Vorbereitungsklassen treffen in der Regel Kinder verschiedener Herkunftsländer aufeinander. Im Zuge des Ukraine-Kriegs wurden jedoch an vielen Hamburger Schulen rein ukrainische IVKs gegründet – so auch am Heisenberg Gymnasium. Die Erleichterung war deshalb groß, als die ukrainischen Schüler*innen am ersten Schultag ihr Klasse betraten und feststellten, dass alle ukrainisch sprachen.
Cordula Schurig, IVK-Koordinatorin der Schule, versteht die Sorgen der Kinder: “Natürlich ist es einfach, wenn man erst mal jemanden hat, der die Sprache spricht, der das Gleiche oder Ähnliches erlebt hat. Das ist auf jeden Fall fantastisch für den Start.” Gleichzeitig versichert sie aber auch, dass kein Kind sich fürchten muss: “Wir sind darauf trainiert, Menschen unterschiedlicher Sprache und Kultur zusammen zu bringen.” In ihrem Job beschäftigen sie und die anderen Lehrer*innen sich täglich damit, dass Kinder gemeinsam erfolgreich Deutsch lernen.
Abgesehen von den zwölf SchülerInnen in der ukrainischen IVK gibt es fünf jüngere ukrainische Schüler*innen, die in eine gemischte IVK der Klassenstufe 5/6 unterrichtet werden und zwei weitere Schülerinnen aus der Ukraine, die bereits gut genug Deutsch sprechen, um eine Regelklasse der Stufe neun zu besuchen. In den nächsten Tagen und Wochen werden weitere Kinder dazu stoßen.
Die ukrainischen Schüler bekommen ihre Bücher und los geht’s
Die Zusammensetzung der Klassen verändert sich stetig. Kinder und Jugendliche, die nach Hamburg kommen, können sofort in eine Schule aufgenommen werden. Alles, was sie tun müssen, ist sich beim Schulinformationszentrum (SIZ) oder direkt bei einer Schule zu melden. „Wenn man zu uns kommt oder zum SIZ, dann hat man in der Regel in der gleichen Woche das Aufnahmegespräch und einen Tag später ist man schon da, bekommt seine Bücher und los geht’s“, erklärt Frau Schurig. So schnell wie sie kommen, können Schüler*innen ihre Klasse aber auch wieder verlassen und in Regelklassen wechseln. Das ist das Ziel für alle Schüler*innen, um einen Deutschen Schulabschluss machen zu können. Sobald sie Deutsch auf Sprachniveau B1 sprechen – also sich über viele Themen in einfacher Sprache unterhalten können – ist der Wechsel möglich. Spätestens nach einem Jahr müssen die Schüler*innen aber in eine Regelklasse wechseln.
Entsprechend vermitteln die Lehrenden in jedem Unterrichtsfach nicht nur die Inhalte des Fachs, sondern trainieren immer auch Deutsch zu lesen, zu sprechen und zu schreiben. Außer Mathe und Deutsch haben die Kinder noch Lele-Unterricht: Leben und Lernen lernen, ein Fach des Heisenberg Gymnasiums, das besonders viel Freiraum bei der Gestaltung lässt. Hier haben die ukrainischen Schüler*innen Raum, um über die eigenen Gedanken und Gefühle zu sprechen. Sobald die Schule weitere Lehrer gefunden hat, sollen zusätzlich Englisch, ein gesellschaftliches Fach und Sport unterrichtetet werden.
Sie wollen nur eins: zurück nach Hause
Fast eine ganze Unterrichtsstunde unterhalte ich mich mit den Schüler*innen. Vor der großen Pause mache ich noch Fotos. Die sei übrigens viel länger als in der Ukraine. Daran müssen sie sich erst noch gewöhnen, erzählen die Kinder.
Nicht alle wollen fotografiert werden. Ein klares Statement wollen sie mir aber dennoch mitgeben. Während einige für die Fotos aus dem Raum gehen, schreiben zwei Schülerinnen “Putin huilo” an die Tafel. Sinngemäß: “Putin ist ein Arschloch”. Ein Ausdruck der seit einigen Jahren in ukrainischen Liedern und auf Protesten genutzt wird. Auf eine Frage zu ihrer Zukunft, äußern die Schüler*innen nur einen Wunsch: Sie wollen zurück in die Ukraine.
Absehbar ist die Heimreise noch nicht. Die einzige Konstante der Schüler*innen bleibt erst einmal die Schule. Ein Jahr lang werden sie hier gemeinsam Deutsch lernen und bestimmt auch weitere Ausflüge zusammen unternehmen. Vielleicht ist auch ein Besuch auf dem Sommerdom im August dabei – wieder für ein paar Minuten Fliegen, hoch in der Luft, ohne Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft. Für den Moment sind sie zufrieden, sagen sie, fühlen sich wohl in ihrer Klasse. Auch Kyrylo – er hat mittlerweile einen neuen Rucksack, den er stolz mit gestrecktem Arm in die Luft hält: Er ist neon-grün mit schwarzem Leopardenmuster.
So kommen ukrainische Schüler in Hamburg in die Schule:
Sende eine Kopie oder ein Foto des Ausweises oder der Geburtsurkunde (das Alter muss erkennbar sein) und deine aktuelle Adresse an das Schulinformationszentrum (SIZ).
Als E-Mail: zuschulung@bsb.hamburg.de
Oder mit der Post:
Schulinformationszentrum Hamburg (SIZ)
Hamburger Straße 125a
22083 HamburgDas SIZ meldet sich dann bei dir. Außerdem kannst du auch direkt zu einer Schule in deiner Nähe gehen und die Verantwortlichen vor Ort ansprechen. Die Einschulung kann jederzeit stattfinden.
Du willst mehr zur Einschulung ukrainischer Schüler in Hamburg erfahren? Die Stadt Hamburg hat mehrere Seiten mit Informationen rund um den Schulbesuch von ukrainischen Schüler*innen zusammengestellt – auf Deutsch und auf Ukrainisch.