Seit 2018 gehen in Deutschland Omas gegen Rechts auf die Straße. Immer mehr Ortsgruppen bilden sich im deutschsprachigen Raum – alleine in Hamburg gibt es fünf. FINK.HAMBURG war beim monatlichen Treffen von “Hamburg Bergedorf und Drumrum” dabei.
Titelbild: Sarah Lindebner
Zwei ältere Frauen warten vorm Haus Brügge in Bergedorf. Es dient dem Stadtteil als offener Treffpunkt für alle möglichen Anlässe. Frederike und Angelika wollen heute weder zum Tanztee noch zum Yoga: Der Aufdruck des Jutebeutels, den eine der Frauen in der Hand hält, verrät den Anlass der Zusammenkunft: Heute treffen sich die Omas gegen Rechts in Bergedorf.
Ursprünglich gründeten sich die Omas gegen Rechts 2017 in Österreich, 2018 wurde die erste gleichnamige Facebookgruppe in Deutschland gegründet. Laut eigenen Angaben sind Omas gegen Rechts eine zivilgesellschaftliche überparteiliche Initiative, die “Missstände mit geeigneten Methoden öffentlich macht und politischen Widerstand gegen jede Form von Ausgrenzung und Rassismus organisiert”.
Friederike und Angelika gehören zum festen Kern der Omas gegen Rechts in Bergedorf, die sich einmal im Monat treffen, um sich auszutauschen und die nächsten Aktionen zu planen. Wegen ihres Engagements ist es ihnen lieber, dass nur ihre Vornamen genannt werden – aus Sicherheitsgründen. Friederike kümmert sich um die Kommunikation. Sie entschuldigt sich, dass sie nicht auf die Anfrage per E-Mail geantwortet hat. “Mein Outlook macht momentan Probleme, Microsoft will, dass ich eine neue Version kaufe”, erklärt sie, als die Beiden auf ihre Mitstreiterin warten, die den Schlüssel zum Bürgerhaus hat.
Als diese kommt, betreten die Frauen gemeinsam das Haus. Nach und nach trudeln weitere Omas ein. Während sie warten, unterhalten sie sich – etwa über ihren letzten Urlaub auf Kreta und gut besuchte Jazzkonzerte.
Gemeinsame Grundsätze
Um kurz nach fünf Uhr startet der offizielle Teil des Abends. Angelika reicht eine Anwesenheitsliste herum. Neun Frauen sind gekommen. Normalerweise sind sie mehr, erzählt Friederike, etwa 25 bis 30 Aktive, die sich regelmäßig treffen.
In den Gesprächen vor Ort wird klar: Politisch interessiert waren viele der Anwesenden eigentlich schon immer, die meisten aber erst im Alter politisch aktiv. Aktivismus und Arbeit ging sich für die meisten gleichzeitig nicht aus. Jetzt, in der Rente, finden sie Zeit für ihr Engagement.
Die Hintergründe der anwesenden Frauen sind vielfältig – manche sind Mitglieder einer Partei, manche in der Kirche aktiv. Was sie gemeinsam haben? „Wir wollen verhindern, dass sich rechtes Gedankengut durchsetzt“, sagt eine der Frauen. Über diesen Grundsatz müssen sie nicht diskutieren – und sich lieber auf Aktionen konzentrieren.
Zuletzt waren einige Omas mit einem Infostand mit den Fantastischen Vier auf Tour. „Fanta 4 haben auch nochmal auf unseren Stand hingewiesen. Es gab enorm positive Reaktionen darauf, auch von Leuten, die uns nicht kannten“, erzählt Verena, Aktivistin und Lehrerin, mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, das auch einem Schulkind stehen würde.
“Da machen wir Radau!”
Meist halten die Omas Ausschau nach Veranstaltungen, die sowieso stattfinden, und bei denen sie sich einbringen können. Heute hat jemand einen Brief an die Bezirksamtsleiterin in Bergedorf dabei, in dem gefordert wird, eine Erklärtafel am Helmut-Hübener-Weg anzubringen. Helmut Hübener war der jüngste vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilte Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus: Er verfasste und verteilte antifaschistische Texte und Flugblätter gegen den Krieg. Mit nur 17 Jahren wurde er hingerichtet. “Und wenn die Tafel hängt, machen wir eine Veranstaltung dazu. Da machen wir Radau!”, so Verena. Alle lachen, und unterschreiben den Brief.
Weiterhin auf der Tagesordnung: Die Woche des Gedenkens, die jedes Jahr um den 9. November stattfindet. Seit längerem organisieren sich mehrere Initiativen, um an die Geschehnisse der Reichskristallnacht zu erinnern. Auch in Bergedorf werden seit Jahren Veranstaltungen organisiert und die Omas beteiligen sich. Zusammen mit der Geschichtswerkstatt Glinde wollen sie ein Mahnmal für die Zwangsarbeiter*innen in einem Kurbelwellenwerk im Zweiten Weltkrieg errichten. Die Omas möchten die Patenschaft dafür übernehmen und vor allem dafür sorgen, dass das Projekt Aufmerksamkeit bekommt.
Wie das am besten passiert, wird diskutiert – ganz pragmatisch: Flyer sollen entworfen, Aufsteller organisiert werden. Wer kann sich um das Design kümmern? Wer hat Kontakte zu Druckereien? Wie groß kann so ein Aufsteller sein, dass er sich noch transportieren lässt, und wohin kommt die Halterung, wenn sie nicht mehr gebraucht wird? Eine Anwesende schlägt vor, bei ihren Kontakten von der Linken anzufragen, da die doch Erfahrung aus dem Wahlkampf haben müssten. Friederike führt auf mehreren DIN-A4-Blättern Protokoll.
Zwischen Generationen
Den Omas geht es um den Erhalt der Erinnerungskultur – zum Teil haben sie die Folgen des Nationalsozialismus noch selbst miterlebt. “Es geht darum, Erfahrungen weiterzugeben. Die eigenen Kinder haben es ja noch mitbekommen, aber die Enkelgeneration ist schon wieder so weit weg.”
Deshalb war die Freude über eine Einladung zum “Dialog der Generationen” auch besonders groß. Im Rahmen der Veranstaltung kommen junge und alte Menschen ins Gespräch. Irgendwann im September soll der Dialog stattfinden. Die Omas holen ihre Taschenkalender heraus, um zu überprüfen, ob sie Zeit haben. Einige nutzen aber auch ihr Smartphone als Terminkalender.
Eines der Hauptanliegen der Omas gegen Rechts ist es, mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen, erzählt Friederike. Es ist spannend zu sehen, wie sich Jugendliche heute engagieren, was sie interessiert, weil sich das von den Prioritäten in der eigenen Jugend oft doch sehr unterscheidet.
Warum eigentlich Omas?
Omas gegen Rechts – der Name ist bewusst gewählt. Die wenigsten Menschen dachten zuvor an Demonstrationen und politischen Aktivismus, wenn sie an alte Frauen dachten. Deshalb spielt die Initiative bewusst mit diesem Klischee. “Dieses Alte-Frauen-Ding schafft Aufmerksamkeit”, so eine der Frauen.
Das Konzept geht auf: Passanten sind interessiert, wenn sie Informationsstände der Omas sehen; auf Demos haben sie das Gefühl, dass die Polizei wohlwollend auf sie schaut. “Omas” steht für sie nicht unbedingt für alte Frauen, sondern eher für die Sorge um die Zukunft: wegen des aufkeimendem rechten Gedankengut oder den Folgen des Klimawandels. So sind nicht wenige Omas auch regelmäßig auf Demonstrationen von Fridays for Future dabei.
Trotz des Namens freut sich die Gruppe auch über alle, die nicht Oma sind. Eine Zeit lang kam auch ein Opa zum Treffen in Bergedorf. Der sei aber schon länger nicht mehr dabei gewesen. “Vielleicht hat er sich als einziger Mann unter Frauen komisch gefühlt und ist deshalb nicht mehr gekommen”, sagt Angelika.
Querdenker? Querstellen!
Im vergangenen Herbst und Winter diesen Jahres waren die Omas viel damit beschäftigt, sich gegen Querdenker*innen zu engagieren – also jenen Gruppen, die etwa die Existenz des Corona-Virus geleugnet oder Maßnahmen gegen Ansteckung abgelehnt haben. “In Reinbek haben wir ganz viele Schwurbler-Sprüche weggeschrubbt”, erzählen sie.
Außerdem waren sie auf vielen Gegendemonstrationen dabei, oder haben diese organisiert. Zwar gab es keine körperlichen Angriffe gegen die Omas, aber dumme Sprüche bekamen sie durchaus ab – vor allem, wenn sich die Demonstrationszüge begegneten. “Da kriegt man ein ungutes Gefühl”, sagt eine der Frauen. Dennoch ließen sie sich nicht vom Demonstrieren abhalten. “Zum Teil war es ein richtiges Katz-und-Maus-Spiel, wer als erstes eine Demonstration anmeldet, und so eine Strecke belegt, auf der die anderen dadurch nicht mehr demonstrieren können”, sagen Angelika und Inga über die Wintermonate.
In letzter Zeit, so ihr Gefühl, ist diese “rechte Welle”, so sagen sie, ein wenig eingebrochen. “Vielleicht sollten wir aber schon einmal zu planen anfangen, was wir machen, falls es im Winter wieder losgeht. Immer auf die Füße treten”, sagt Verena. “Schön wäre es, wenn nichts passiert. Dann backen wir Kekse”, sagt eine andere Frau im Anschluss.
Omas in der Sommerpause
Jetzt ist aber erst einmal Sommerpause. Viele Omas sind im Urlaub, deswegen sind beim Treffen in Bergedorf letztendlich auch nur elf Frauen da. Außerdem sind die Omas nicht im Dauereinsatz: „Wir suchen uns unsere passenden Anlässe“, sagt Friederike. Die können eben vielfältig sein – Informationsstände, Stolpersteine putzen, Demonstrationen. Mit dem Ziel, eine breite Masse zu erreichen und die Erinnerungskultur zu fördern. Oder einfacher gesagt: „Die Omas müssen so aktiv werden, dass keiner mehr auf die Idee kommt, rechts zu werden.”