Von einer Geiselnahme mit SEK-Einsatz bis zum Besuch von Lady Diana: Auch die jüngste Vergangenheit des Hamburger Rathauses steckt voller spannender Geschichten. Ein Dielenmeister und Ratsdiener haben FINK.HAMBURG einige davon verraten.
Titelbild: Yvonne Krol
Das Hamburger Rathaus hat im letzten Jahr seinen 125. Geburtstag gefeiert. Doch was passierte eigentlich in dieser Zeit im Hamburger Rathaus? Welche Meilensteine der Hamburger Geschichte fanden darin statt?
FINK.HAMBURG hat sich durch Geschichtsbücher gewälzt, unveröffentlichte Fotos aus dem Hamburger Staatsarchiv ausgegraben und Menschen aus dem Rathaus interviewt.
Herausgekommen ist eine dreiteilige Reihe zur Geschichte des Hamburger Rathauses. Du liest den dritten Teil.
Hamburg ist Stadt und Bundesland in einem. Entsprechend groß ist die Verantwortung, politische Entscheidungen zu treffen. Dies passiert inmitten der Stadt – im Hamburger Rathaus. „Hier schlägt das politische Herz der Stadt”, sagt Ratsdiener Martin Gansen bei einer Rathausführung. Er ist einer von rund 250 Menschen, die im Rathaus arbeiten.
Gansen ist gemeinsam mit weiteren zehn Ratsdiener*innen für die operative Umsetzung von Veranstaltungen in den Sitzungs- und Repräsentationsräumen des Rathauses zuständig. Laut ihm hatte das Rathaus damals vor allem die Funktion einer „PR-Maschine”, da das majestätische Gebäude bei den meisten Besucher*innen und hochrangigen Gästen großen Eindruck hinterließ.
Mit seinen 647 Räumen ist das Rathaus zeitgleich Regierungssitz, Verwaltungszentrale und Parlamentsgebäude in einem. Das Herzstück bilden der Senatssaal auf der rechten Seite des Gebäudes, in dem die Stadtregierung ihre Beratungen abhält, und der Sitzungssaal der Bürgerschaft auf der linken Seite, in denen die Volksvertreter*innen Hamburgs tagen. Anders als in anderen Ländern heißt das Landesparlament in Hamburg „Bürgerschaft”.
Die Räume des Senats werden bis heute „Senatsgehege” genannt, was so viel bedeutet wie „geschützter Raum”. Denn wer diesen damals betreten wollte, musste vorher seine Waffen ablegen.
„Wir haben im Rathaus mehr Räume als der Buckingham Palace”, erzählt Lavinia Wilckens mit einem Grinsen im Gesicht. Sie leitet den Veranstaltungsservice, der das Rathaus bewirtschaftet. Denn bei über 3000 Veranstaltungen im Jahr ist im Rathaus immer viel los. So auch im Juni 2000.
Geiselnahme im Hamburger Rathaus
Im Sommer nach der Jahrtausendwende kam es zu einer Geiselnahme und dem Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos (SEK), erzählt Dielenmeister Helmut Kleihs. Die Geisel damals: er selbst. Der 63-jährige arbeitet seit Mitte der 1980er Jahre am Empfang des Hamburger Rathauses. Die Geiselnahme nagt bis heute an ihm. „Es war eine Frau mit psychischen Problemen. Sie kam plötzlich von hinten auf mich zu. Ich habe sie nicht gesehen. Sie hatte ein großes Fleischermesser in der Hand und hat es mir dann von hinten an die Kehle gesetzt”, erzählt er. Das SEK konnte die Geiselnahme jedoch erfolgreich beenden, bevor noch größerer Schaden angerichtet werden konnte.
Neben diesem sehr besonderen Ereignis erinnert sich Helmut Kleihs auch an viele schöne Erlebnisse in seinen 38 Berufsjahren im Hamburger Rathaus. Unter anderem an den Englischunterricht in seinem Lieblingsraum im Rathaus – der sogenannten „Laube”. Hier finden eigentlich die „kleinen Gespräche” des Bürgermeisters oder Senator*innen statt. Jahrelang hat Helmut Kleihs hier jedoch auch Englischunterricht bekommen, da der Umgang mit fremdsprachigen Tourist*innen von Jahr zu Jahr mehr wurde und er mit seinem Schulenglisch am Empfang nicht mehr weiter kam. „Durch dieses besondere Ambiente hier ist die Laube für mich der schönste Platz im Rathaus. Ein tolles Klassenzimmer”, erzählt Kleihs und blickt sich währenddessen in der Laube um.
Traditionsreiches Festmahl zum Jahresauftakt
Ein Highlight jedes Jahr sei für Kleihs das Matthiae-Mahl mit den vielen internationalen und nationalen Gäst*innen. Zu diesem Festmahl werden seit 1356 „Vertreter*innen der Hamburg freundlich gesonnenen Mächte” eingeladen. Der Name des historischen Ehrenmahls bezieht sich auf das Datum, an dem es traditionell stattfindet – dem Matthias-Tag am 24. Februar. Dieser galt im Mittelalter als Frühlingsbeginn und Auftakt des Geschäftsjahres. Die Senatoren erhielten ihre neuen Aufgaben und wählten den Ersten Bürgermeister.
Ein Mann, zwei Ämter
Der Erste Bürgermeister ist das Regierungsoberhaupt Hamburgs. Durch die Doppelfunktion des Stadtstaates entspricht das Amt ebenfalls dem eines/einer Ministerpräsident*in anderer deutscher Bundesländer. Der Erste Bürgermeister entwickelt politische Richtlinien, leitet die Senatsgeschäfte und koordiniert die Arbeit der Landesregierung. Das Regierungsoberhaupt wird alle fünf Jahre von den Volksvertretenden, der Hamburger Bürgerschaft, gewählt. Und eines haben sie alle bereits seit 1900 gemeinsam: Ihren Amtssitz hatten sie alle im Hamburger Rathaus.
Von Klaus von Dohnanyi im Jahr 1985 bis hin zu Peter Tschentscher heute – Dielenmeister Helmut Kleihs hat bereits mit sieben verschiedenen Bürgermeistern zusammengearbeitet. Doch begrüßt hat er sie am Empfang alle gleich – strickt nach Vorgaben: „Ganz kurz und knapp mit dem Titel und nicht mit Namen. Und es ist Tradition, dass auch die ehemaligen Bürgermeister, wenn sie hier im Rathaus zu Besuch sind, noch immer mit ‚Herr Bürgermeister‘ begrüßt werden”, erzählt Kleihs.
Eine Reise durch die Vergangenheit im Hamburger Rathaus
Warum ist das markiert? Vielleicht besser: Staatsbesuche im Hamburger Rathaus
Die Ersten Bürgermeister haben im Rathaus bereits zahlreiche prominente Gäste empfangen. So begrüßte Paul Nevermann 1965 Queen Elizabeth II. und Prinz Philipp in Hamburg – der “Staatsbesuchs des Jahrhunderts”, wie es laut NDR damals in den Medien heißt.
22 Jahre später reisen auch ihr Sohn Prinz Charles und seine Frau Lady Diana nach Hamburg. Sie eröffnen gemeinsam eine „Britische Woche” im Alsterhaus und fahren mit einer Barkasse über die Elbe. Der Höhepunkt des Besuches in Hamburg: Bürgermeister Dohnanyi lädt das Paar zu einem Gala-Dinner mit über 400 Gäst*innen ins Rathaus ein und Charles und Diana verewigen sich im „Goldene Buch” der Stadt.
Im Laufe der Jahre haben sich bereits viele hochrangige Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur im Goldenen Buch eingetragen.
Einblick in das Goldenen Buch:
1. Foto: Neil Armstrong, Astronaut, 1974 (10)
2. Foto: Pierce Brosnan, Schauspieler und James Bond Darsteller, 1997 (11)
3. Foto: Marcel Marceau, französischer Schauspieler und Pantomime, 2004 (12)
4. Foto: Aleksej K. Antonow, stellvertretender Ministerpräsident der UdSSR, 1987 (13)
Die Bürgermeisterfamilie Petersen stiftete das Buch zur Einweihung des neu erbauten Rathauses. Den ersten Eintrag machte Fürst Otto von Bismarck am 22. Oktober 1897.
Doch ist das Goldene Buch eigentlich gar kein richtiges Buch, sondern vielmehr eine Sammlung loser Blätter. Diese werden in einer goldenen Kassette aufbewahrt, dessen Leder mit Blattgold besetzt ist und dem „Buch” das goldene Aussehen verleiht.
Das praktische an der losen Blattsammlung: Unerfreuliche Gäste können einfach wieder entfernt werden – so damals zum Beispiel die Nationalsozialisten. Lediglich Propagandaminister Joseph Goebbels blieb bis heute im Buch, da er auf demselben Blatt wie Reichspräsident Paul von Hindenburg unterschrieben hatte.
Das Goldene Buch ist wie eine Reise durch die Hamburger Zeitgeschichte – und diese hält noch viele spannende Geschichten bereit.
Beim Versuch, die Stadt vor dem großen Brand zu retten, sprengt Hamburg 1842 ihr Rathaus. Cholera, Wirtschaftskrise und Arbeiterstreiks gestalten den Neubau des Rathauses schwierig. Es vergehen 55 Jahre, ehe die Hamburger ein neues Rathaus mit einem Volksfest einweihen. Hier geht es zu Teil eins.
Könnte das Hamburger Rathaus sprechen, hätte es einiges zu erzählen. In seinen 125 Jahren wurde es gestürmt, übernommen, beschossen und gefeiert. Besonders turbulent: die Kriegsjahre. Du willst noch mehr über die Geschichte des Rathauses wissen? Hier geht es zu Teil zwei.
Abbildungsverzeichnis
(1) Julia Chorus
(2) Julia Chorus
(3) Julia Chorus
(4) Julia Chorus
(5) Julia Chorus
(6) Julia Chorus
(7) Roland Magunia, Pressestelle des Senats
(8) Julia Chorus
(9) Staatsarchiv Hamburg 720-1/341-1_84563
(10) Staatsarchiv Hamburg 131-22_54
(11) Staatsarchiv Hamburg 131-22_54
(12) Staatsarchiv Hamburg 131-22_54
(13) Staatsarchiv Hamburg 131-22_54
(14) Momme Dähne, Senatskanzlei Hamburg