Einen Kinofilm fast ohne Budget und mit einem unbekannten Schnittprogramm produzieren? Dafür wurde Toni Karat erstmal belächelt. Mit „Narcissism – The Auto-Erotic Images“ gewinnt Karat trotzdem Filmpreise. Und setzt ein Zeichen für mehr Selbstliebe in der queeren Szene.

Dein Film handelt von Narzissmus und Selbstliebe. Was hat dich dazu inspiriert, einen Film über diese Themen zu drehen?

Toni Karat: Ich habe eine Retrospektive über den berühmten Pornostar Peter Berlin aus San Francisco gesehen. Ich fand super, wie selbstverständlich er sich selbst in Szene gesetzt hat. Peter hat viele Filme gedreht, die gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, sondern ist einfach auf sich selber abgefahren und konnte total gut posieren vor der Kamera. Er hat zum Beispiel Hosen umgenäht, damit die Beule vorne noch mehr rauskommt. Oder er hat fünf Hotpants angezogen und eine nach der anderen aufgemacht. Dabei hat er sich nicht für Meinungen oder Kritik von anderen interessiert und die meisten fanden scharf, was er gemacht hat. Das fand ich beeindruckend. 

Du behandelst in „Narcissism” Probleme der geschlechterspezifischen Sozialisation. Denkst du, Peter Berlin hätte als Frau die gleiche Wirkung erzielt?

Wenn du einen weiblichen Hintergrund hast, funktioniert das alles plötzlich nicht mehr. Dann bist du eine Schlampe und kannst nicht fast nackt durch San Francisco cruisen. Das ist die Realität und ich wollte einfach mal analysieren, woran das liegt. Woran ist die Gesellschaft schuld und inwiefern sind auch weiblich sozialisierte Menschen selber schuld, wenn sie sich zurücknehmen oder sich nicht einfach ihren Raum nehmen, ohne etwas darauf zu geben, was jemand sagt? 

Im Film kommen zehn Personen mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen auf einem Dachboden zu Wort. Welchen Gruppen wolltest du im Film einen Raum bieten?

Bild aus Narcissism: Mann mit rotem Umhang schaut in den Spiegel
Del LaGrace Volcano, Künstler*in und Aktivist*in, teilt in Karats Film seine*ihre Erfahrungen als non-binäre Person. Foto: Toni Karat

Ursprünglich wollte ich vor allem butch, also trans-maskuline Lesben (Anm. d.R.: siehe Infokasten zu Begriffsklärungen), porträtieren – weil die medial so wahnsinnig unterrepräsentiert sind. Ich wollte herausfinden, wie sich die unterschiedlichen Gender vor dem Spiegel und in den Interviews verhalten. Tatsächlich habe ich auch Kritik dafür bekommen, dass keine Transfrau drin ist. Ich habe zwar auch ein Interview mit einer Transfrau geführt, aber es wäre dann für den Film einfach zu viel gewesen, sie auch noch mit rein zu nehmen. Sonst hätte ich halt das Interview mit einer intergeschlechtlichen Person rausnehmen müssen. Du kannst in einem Film eben nicht alles abdecken.

Bei dem Begriff Butch  handelt es sich um eine (Selbst-)Bezeichnung für Lesben, die – gemäß heterosexuellen Stereotypen – „maskulin“ auftreten.

Als trans* Person bezeichnen sich Menschen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei Geburt zugewiesen wurde.

Inter bedeutet angeborene körperliche Merkmale zu haben, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen.

Nicht-Binär bedeutet, dass sich eine Person weder eindeutig als Mann noch als Frau identifiziert.

Da würde ja jeder sagen: „Wie unprofessionell, das macht man nicht, so kann man ja nicht arbeiten.”

Du hattest für den Film knapp 1000 Euro Budget und hast von der Regie über die Produktion alle Aufgaben selbst übernommen. Hast du das als Einschränkung oder als Freiheit wahrgenommen? 

Natürlich hatte ich Überforderungsängste, ob das alles funktioniert, ob ich das kann und ob den Film irgendjemand sehen will. Aber letztendlich konnte ich eben auch sofort anfangen, als ich die Idee hatte und musste nicht ewig auf Fördermittel warten.

Aber wenn man sich selbst so ausbeutet und manche Sachen erst noch lernen muss, hat das eben auch Nachteile. Ich hatte zum Beispiel keine tolle Kamera zur Verfügung, sondern nur eine olle Pentax, die nur fünf Minuten am Stück aufnimmt. Da würde ja jeder sagen: „Wie unprofessionell, das macht man nicht, so kann man ja nicht arbeiten.”

Da kann ich nur sagen, dass die Protagonist*innen genau durch diese Beschränkung in den Interviews auf den Punkt gekommen sind. Oft musste ich sie bitten, ihre Antwort zu wiederholen, weil die Kamera nicht mehr mitgemacht hat. Und beim zweiten Anlauf haben sie dann ihre Antwort, bei der sie vorher minutenlang herumgeschwafelt haben, perfekt in zwei Sätzen zusammengefasst. 

Wie war es für dich, einen Kinofilm komplett alleine zu schneiden?

Ein pain in the ass. Nicht nur, weil ich dadurch Schulterschmerzen bekommen habe. Ich habe den Film mit einem Schnittprogramm geschnitten, das 80 Euro gekostet hat. Dieses Programm kennt aber kaum einer, weshalb mir bei Fragen auch niemand helfen konnte. Da musste ich also alleine durch. Ich wusste aber bis zum fertigen Produkt nicht, ob dieses Programm tatsächlich einen Film von anderthalb Stunden in einem Format hinbekommt, das kompatibel mit der Technik in Kinos ist. Das konnte mir auch keiner sagen, weil sich alle nur totgelacht haben, wie man überhaupt mit so einem Programm arbeiten kann.

Du hast uns erzählt, dass dir das Vertonen der Voiceover-Passagen schwerer gefallen ist, als dich nackt vor der Kamera zu zeigen. Warum war das so?

Das Voiceover hat mir die größten Probleme gemacht, weil ich meine Stimme nicht so toll finde. Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, geht es noch – aber beim Vorlesen von Texten finde ich es schon schwierig, dass so hinzubekommen, dass es sich gut anhört und die Leute nicht genervt sind. Was mich zusätzlich verunsichert hat: Ich habe einer Person den Rohschnitt gezeigt und die meinte, dass meine Vertonung besserwisserisch klingt. Da dachte ich mir: Scheiße, die ganze Arbeit umsonst. Dabei habe ich mir so einen abgebrochen und sogar mit einem Voice-Trainer gearbeitet. Im Gegensatz dazu fühle ich mich, wenn ich zum Beispiel in einem Pornofilm mitspiele, eher empowered und kann Frieden schließen mit meinem Bild. Außerdem spiele ich da eine Rolle, während ich meine Stimme als etwas sehr Persönliches empfinde und in den Voiceovers im Film erzähle ich ja auch von meinen Zweifeln oder Schwächen.

„Es fehlt ja, dass Frauen sich schön finden oder auch vor dem Spiegel masturbieren.”

Bild aus Narcissism: Frau sitzt in Lederoutfit auf einem Sessel
Kristina Marlen, Sexarbeiterin, ruft im Film zu mehr Narzissmus auf. Foto: Toni Karat

Apropos Schwächen: Im Film wird Narzissmus ja nicht nur negativ dargestellt. Inwiefern kannst du dem Begriff etwas Positives abgewinnen?

Das Problem ist, dass Narzissmus aktuell ein Modebegriff ist. Das ganze Internet ist voll von Beiträgen zum Thema „Mein Partner, der Narzisst” oder „Wie erkennt man einen Narzissten?”. Dort wird der Begriff oft total verkürzt dargestellt. Es geht um pathologische Narzissten, wobei meiner Meinung nach vieles von diesem küchenpsychologischen Zeug überhaupt keine Pathologie ist. Oft sind es stattdessen einfach Beziehungsprobleme, bei denen dann schnell diese schwammige Diagnose Narzissmus gestellt wird.

Der Begriff ist von der Psychoanalyse gekapert worden. Sigmund Freud hat viel herumfabuliert und das war dann gleich in Stein gemeißelt. Gleichzeitig hat er die positiven Aspekte, die es für mich durchaus gibt, vernachlässigt. Da hieß es dann, dass das absolute Negativbeispiel für den Prototyp des Narzissmus eine Frau ist, die sich selbst nackt im Spiegel anschaut und auf sich selbst abfährt. Das ist völliger Bullshit. Es fehlt, dass Frauen sich schön finden oder auch vor dem Spiegel masturbieren. Warum soll man das nicht machen? Ich wollte zeigen, dass besonders Frauen häufig sich selbst gegenüber zu wenig narzisstisch sind.

Luca Bradley, Jahrgang 1998, hätte fast Louis geheißen, weil sein Vater Louis Armstrong so liebt, doch seine Mutter legte ihr Veto ein. Luca stammt aus Dormagen, aber mindestens eine Hälfte seines Herzens schlägt für das Geburtsland seines Vaters, England. Er liebt eigentlich jede Art von Musik, außer Schlager und Metal. Luca spielt zwar nicht Trompete wie Louis Armstrong (und nur miserabel Horn), singt aber in einer Big Band und auf Hochzeiten, spielt Gitarre und Klavier. In Düsseldorf studierte er Sozialwissenschaften und startete währenddessen seinen eigenen Musik-Podcast – natürlich über alles außer Metal und Schlager. (Kürzel: luc)

Lena Gaul, Jahrgang 1998, filmt und tanzt auf fremden Hochzeiten: Sie arbeitet seit
ihrem Bachelor-Abschluss in Medien und Kommunikation für eine Hamburger
Hochzeitsagentur. Lena ist in Ingelheim geboren, und obwohl ihre Mutter aus
Thailand stammt, hält sich ihr Fernweh in Grenzen. So zog Lena zwar für ihr
Studium nach Passau, jedoch ohne die Stadt jemals besucht zu haben. Mittlerweile
will sie nicht mehr Hochzeitsplanerin werden, sondern lieber wieder mehr schreiben,
wie bereits in ihrem Praktikum in einer Social-Media-Agentur. Das geht auch ohne zu
verreisen. (Kürzel: len)