Einen Fremden zum Freund zu machen, fällt vielen schwer. Der argentinische Regisseur Fernando Rubio erklärt, wie seine fünftägige Performance „The time between us“ die Barrieren des Alltags überwindet. Eine Multimediareportage.
Ein Mann lebt für fünf Tage lang in einem Holzhaus an der Elbe. Er duscht, isst und schläft auf dem Gelände des Festivalzentrums „Haven“ am Hamburger Baakenhöft. Er malt, schreibt an die Wände, fotografiert, liest Weltliteratur und eigene Erzählungen vor. Er hört Musik, schaut Filme und lädt Künstler aus aller Welt zu sich ein. Aber er macht all das nicht alleine: Die Türen stehen für alle offen, auch wenn mit Kreide „Bitte klopfen“ draufgeschrieben steht.
Beim Theater der Welt Festival hat der Regisseur Fernando Rubio sein Langzeitprojekt präsentiert. Die fünftägige Performance mit dem Titel „The time between us“ stellt eine interessante Frage: Was passiert mit dem Menschen, wenn er alle Zeit der Welt hat? Um dieser Frage nachzugehen, hat sich der Schauspieler Christoph Finger in den Mann im Haus verwandelt – ohne dringende Termine, ohne Druck.
Fernando Rubio wurde 1975 in Buenos Aires geboren. Er lebt und arbeitet als Regisseur, Dramaturg, Schauspieler und visueller Künstler in Rio de Janeiro und seiner Heimatstadt.
Christoph Finger wurde 1955 in Saarbrücken geboren. Seit 1980 stand er auf Bühnen in Essen, Wuppertal, Frankfurt, Bremen und Hamburg zu sehen. Außerdem spielte er in Spielfilmen, TV-Serien und einem Musikvideo mit.
Der Mann im Haus soll sich frei von alltäglichen Konventionen bewegen und Beziehungen aufbauen – ja sogar Freundschaften schließen. Die Begegnung steht für Rubio im Vordergrund. Sei es die Begegnung mit dem eigenen selbst, alten Bekannten oder völlig Fremden. Die Idee der „Anderen“ ist den Besuchern omnipräsent. Das Publikum spielt sozusagen die Hauptrolle. Sie sind es, auf die der Schauspieler reagieren muss. Sie tragen unbewusst die Verantwortung für die Erfahrung des Hausbewohners, der sich 120 Stunden für sie öffnet. Dadurch wird die Performance zu einer Frage, die sich nicht nur an den Schauspieler, sondern auch an das Publikum und die Umgebung richtet. Wie gehe ich auf ihn zu? Bin ich höflich? Sehe ich ihn als Mensch oder als Schauspieler? Und in Gesprächen können sich diese Ansätze weiterentwickeln: Wie definiert sich menschliches Zusammenleben? Was sind meine Vorurteile? Allerdings soll die Performance darauf keine Antwort geben, die man in ein paar Sätzen zu Papier bringen könnte. Sie soll ein Gefühl wecken, das man erfährt, verinnerlicht und dann in anderen Situationen wieder anwenden kann. „Eine Erfahrung ist keine Utopie. Das ist real“, erklärt Rubio.
In diesem künstlich kreierten Raum finden Begegnungen statt, die im realen Leben unwahrscheinlich wären. Der Mann im Haus hat Freundschaften geknüpft, ein handgemachtes Tattoo bekommen und war das erste Mal in der Elbe baden. Er hat sich für die Einflüssen um sich herum geöffnet. Dieser Rahmen bot die Möglichkeit für intensiven interkulturellen Austausch, der Vorurteile abbaut und Grenzen überschreitet, ohne sie wirklich anzusprechen. Das ist gerade das Entscheidende für den Regisseur: „Es ist eine politische Idee, nicht über Politik zu reden. Diskurse, wie sie Politiker betreiben, haben die Tendenzen sich zu verlieren. Bei einer unprätentiösen Begegnung auf Augenhöhe ist das anders.“ Rubio betont außerdem, dass all das stark vom soziokulturellen Kontext abhängt, in dem die Performance stattfindet.
„The time between us“ lief vom 25. bis zum 29. Mai. Die Idee dahinter entwickelte sich über drei Jahre. Der künstlich kreierte Raum der Begegnung sollte ein simples Holzhaus sein, ohne überflüssigen Luxus. Für Rubio bleibt es auch nach der Vorstellung in Hamburg ein ständiges Forschen. 2015 stand das Haus zum ersten Mal am Rio de la Plata in Buenos Aires. Danach in Chile und Singapur und jetzt in Hamburg.
Damit die Performance ihre Absicht erfüllt, muss ein vertrautes Verhältnis zwischen Schauspieler und Regisseur entstehen. „Christoph hat die Performance bisher am besten verstanden. Man hat gemerkt, wie er alles absorbiert hat und wie ihn das als Mensch stimulierte.“ Dabei weiß Rubio um die schauspielerischen Schwierigkeiten: „Wer ist er, wenn er zur Toilette geht? Der Mann aus dem Haus oder Christoph Finger? Was für einen Blick auf die Welt hat dieser Mann?“, fragt Rubio. Feststeht, dass der Mann im Haus dem Schauspieler Christoph Finger gezeigt hat, wie unbeschwert das Leben sein kann.
Hier ein multimedialer Einblick in das Leben des Einsiedlers.
Der Mann im Haus überwindet seine ängste
Der Mann im Haus zeigt seine Küche
Der Mann im Haus erzählt, was er in seinem Koffer hat
Der Mann im Haus stellt sich die großen fragen des lebens
Der Mann im Haus erinnert sich an seine Besucher
Der MAnn im haus klettert auf das dach und genießt den ausblick
Der Mann im Haus erzählt von einem besonderen erlebnis
Das Theater der Welt läuft noch bis zum 11. Juni und bietet mit mehr als 330 Veranstaltungen und 45 internationalen Produzenten ein abwechslungsreiches und spannendes Programm. Mehr Infos gibt es hier.