Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump beim G7-Gipfel in Taormina. Foto: Michael Kappeler/dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump beim G7-Gipfel in Taormina. Foto: Michael Kappeler/dpa

Welche Erwartungen haben Politikwissenschaftler an den G20-Gipfel in Hamburg und wie wird das Format der G20 generell bewertet? Antworten von Professor Cord Jakobeit von der Universität Hamburg.

Prof. Dr. Cord Jakobeit

Prof. Dr. Cord Jakobeit ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Internationale Beziehungen und die globalen Machtverschiebungen, die durch den wirtschaftlichen Aufstieg “neuer Mächte” ausgelöst werden. Cord Jakobeit war bis 2016 Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

FINK.HAMBURG: Die Erwartungen an G20 sind groß. Stimmt Trump dem Pariser Abkommen zu und lässt Erdogan alle Journalisten in der Türkei zu?

Prof. Jakobeit: Das wären sicher unrealistische Erwartungen. Ich glaube eher, dass es nur einen Minimalkonsens geben wird, selbst wenn es gut läuft. Die Abschluss-Kommuniqués werden sehr lange von den Vertretern der Staats- und Regierungschefs vorbereitet. Die ringen lange um jedes Wort. Es ist ihre Aufgabe, an den zwei Tagen Formulierungen zu finden, denen alle zustimmen können.

Außerdem war Trump beim letzten G7-Gipfel auf Sizilien nur schwer bei kritischen Fragen einzufangen. Inzwischen gibt es sogar Indizien, dass sich der US-Präsident bei Themen wie der internationalen Handelspolitik oder der Bekämpfung des Protektionismus wieder von seiner Kompromissbereitschaft abrückt. Das macht es noch schwieriger, eine gemeinsame Formulierung zu finden.

Das heißt, dass Trump Versprechen wieder rückgängig machen könnte?

Genau. Zum Beispiel bei Formulierungen wie „Freier Handel ist wichtig, aber eben auch fairer Handel“. Bei OECD-Verhandlungen hat die USA diese weiche Formulierung von Taormina (G7-Gipfel Sizilien, Anm. der Red.) zurückgenommen und gesagt, dass Protektionismus gar nicht so schlecht ist. Und das sollte auch im Abschlusskommuniqué stehen. Der angeblich erreichte Kompromiss in der Handelsfrage weicht schon wieder auf. Und es ist sehr unwahrscheinlich, dass Trump bei seiner Ablehnung zum Pariser Klimaabkommen einen Rückzieher machen wird.

Der erste G20-Gipfel fand 2008 in Washington statt. Was haben die Gipfel seitdem gebracht? Konnten positive Entwicklungen oder Entscheidungen getroffen werden?

Es wurde zumindest eine Weltwirtschaftskrise verhindert. Die große Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 war der Anlass, warum man den Gipfel von der Ebene der Finanzminister und Notenbankchefs auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs gehoben hat. Das war erstmals eine Krise, die in den Industrieländern entstanden war – genauer: in den USA – und nicht wie in den Jahrzehnten vorher in den Schwellen- oder Entwicklungsländern. Man war fest überzeugt: Man kann die Lage nur in den Griff bekommen, wenn man rasch aufstrebende Schwellenländer wie China, Brasilien oder Indien mit einbezieht. Das war auch relativ erfolgreich.

Insgesamt kann man heute sagen: Die wirtschaftliche Stabilisierung kann man durchaus dem Gipfel zuschreiben. In vielen anderen Bereichen, die nicht zum Kerngebiet des G20-Gipfels gehören, wie dem Klima und der Hilfe für Afrika, ist der Fortschritt minimal. Das liegt natürlich auch daran, dass G20 ein informeller Club ist. Politikwissenschaftler reden auch von „Club Governance“. Er hat keine Befugnisse nach außen, außer die Dinge, die er intern regeln kann. Es gibt keine Sanktionen, wenn man sich nicht an das verabschiedete Kommuniqué hält.

Man hat das Gefühl, die Weltpolitik wird immer chaotischer und durch Trump als US-Präsidenten kann man sich eh auf nichts mehr verlassen. Haben die G20-Gipfel in den vergangenen Jahren einfach nicht viel gebracht?

In der Politikwissenschaft untersuchen wir die internationalen Kooperationen schon seit langem, auch unter dem Stichwort „Global Governance“, also dem globalen Regulieren und Steuern. G20- oder G7-Formate sind davon nur ein ganz kleiner Teil. Bedeutender sind die bestehenden internationalen Regierungsorganisationen, wie die Welthandelsorganisation, der IWF und die Weltbank. In den letzten Jahren ist eine Zersplitterung eingetreten, die einem Format wie G20 zuspielt. Rechtlich verbindliche Ergebnisse kommen hier aber nicht zustande.

Das Problem ist, dass die dominante Rolle der USA und die daraus folgende westliche Weltordnung erodiert. Und das nicht erst seit Trump sondern dadurch, dass Staaten wie Russland oder China aufsteigen. Die sind keine lupenreinen Demokratien, sondern Autokratien. Durch Länder, die bestimmte Werte nicht teilen, gerät die internationale Kooperation und Zusammenarbeit in eine Krise. Um im Gespräch zu bleiben, sind die G20 gerade noch gut, das war´s dann aber auch.

Hamburgs Erster Bürgermeister spricht oft davon, dass „es nötig ist miteinander zu reden, auch wenn man in der internationalen Politik auf Politiker stößt, welche die eigenen Grundsätze über Demokratie und Rechtsstaat nicht teilen.“ Hat er recht?

Es ist sicher so, dass es Teil der DNA der deutschen und europäischen Außenpolitik ist, auch mit den Gegnern oder mit den Nicht-Freunden im Gespräch zu bleiben. Nur so kann man ausloten, ob es Gemeinsamkeiten gibt. Man wird bei G20 froh sein, wenn überhaupt ein gemeinsames Kommuniqué zustande kommt. Eine richtige Alternative gibt es nicht. Man kann sich natürlich über die Form unterhalten: Muss das mitten im Herzen dieser Großstadt sein? Stehen Aufwand und Ertrag noch in einem vertretbaren Zusammenhang?

Was wäre denn die Alternative, ein Flugzeugträger oder Helgoland?

Die G7-Gipfel fanden bereits in Heiligendamm oder auf Schloß Elmau statt. Entweder isoliert an der mecklenburgischen Ostseeküste oder an der Grenze zu Österreich in einem Alpental. Das sind Lokalitäten, die fernab liegen. Das hat sich in der Vergangenheit durchaus bewährt. Hamburg als Ort ist schon problematisch. Selbst wenn der Gipfel ohne größere Krawalle gelingt, hat er dennoch extrem viel gekostet hat. Eine Alternative wäre die Eröffnungssitzung der UN-Generalversammlung jeweils im September in New York, weil ohnehin viele Staats- und Regierungschefs anwesend sind. Aber dann hätte man die UN wieder im Boot, was nicht allen Mitgliedern der G20 passen würde.

Warum hat sich Angela Merkel für Hamburg entschieden?

Das war auch als Warmlaufen für Olympia gedacht und um der Welt im Vorfeld zu zeigen, dass Hamburg eine weltoffene Stadt ist. Damals war das als Paket gedacht: im Dezember 2016 OSZE-Gipfel, dann der G20-Gipfel, dann die Vergabe der Olympischen Spiel an Hamburg, weil die Stadt das mit dem G20-Gipfel doch so großartig hinbekommen hätte. Die Infrastruktur wird verbessert und die Abläufe mit großen Delegationen geübt.

Viele Kritiker stören sich daran, dass Trump, Putin und Erdogan nach Hamburg kommen. Wäre es in der internationalen Politik möglich, sie nicht einzuladen?

Das kann man bei G20 nicht machen. Beispielsweise nehmen aber an G7 – dem Club der Staaten des Westens, die als Demokratien zu bezeichnen sind – Putin und Erdogan nicht teil. G20 berücksichtigt währenddessen, dass große Teile der Weltbevölkerung nicht in demokratischen Herrschaftssystemen leben. Das Format hat geholfen, mit der großen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 umzugehen. Aber in diesem Format ist es überhaupt nicht zu erwarten, dass die Menschenrechte akzeptiert, verhaftete Journalisten freigelassen oder Regimekritiker besser behandelt werden. Und selbst im Kernbereich der Wirtschafts- und Finanzthemen der G20-Gipfel würde man sich wünschen, dass Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen gestellt würden und entschlossener gegen Steuerflucht und Steueroasen vorgegangen würde.

Welche Gefahren gehen von einem Treffen der G20-Länder aus? Immerhin treffen sich nur die stärksten Volkswirtschaften.

Das UN-Format mit 193 Staaten ist für die Entwicklungsländer viel attraktiver, als wenn einige wenige von ihnen hier beim G20 nur am Rande die Bosse treffen. Da ist das Misstrauen sehr groß. Mit den Worten eines Kritikers aus Afrika: „Es ist allemal besser, mit am Tisch zu sitzen, als nur auf der Speiskarte zu stehen.“ Andererseits weiß man, dass es ein mühsames Geschäft ist, in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu einem Konsens zwischen 193 Staaten zu kommen. Die USA sagen, jedes Format darf nicht mehr als 20 Teilnehmer haben. Das sei die einzige Möglichkeit, um noch miteinander reden und entscheiden zu können.

In der Politikwissenschaft betrachten wir die Repräsentativität: Stehen die Teilnehmer des Gipfels für alle? Nein, sie stehen nur für die 20 größten Staaten. Sind die besonders legitimiert? Nein, sind sie nicht, weil im Zweifel autoritäre Staaten beteiligt sind, die nicht demokratisch gewählt wurden. Sind sie effektiv? Das wird man erst am Ende beurteilen können, vermutlich aber nicht besonders.

Welchen Einfluss haben Institutionen wie die UN oder WHO auf den Gipfel?

Die sind auch mit dabei. Das ist nicht nur ein Gipfel von 20, sondern weit über 30 Akteuren. Weitere Staats- und Regierungschefs oder auch Organisationen und Institutionen, wie WTO, WHO und UN sitzen mit am Tisch. Sie können damit auch den kleineren Entwicklungsländern berichten, die nicht am Gipfel beteiligt sind. Die Versuche, den Gipfel repräsentativer zu gestalten, gehen aber zu Lasten der Zeit, sich mit wirklich kritischen Fragen auseinanderzusetzen. Zwei Tage sind ein enges Fenster, alles ist sehr ritualisiert und lange vorbereitet. Es geht eigentlich nur darum: Kommt ein Kommuniqué zustande? Nur die Fachleute werden sehen, ob das Papier ein Fortschritt oder ein Rückschritt im Vergleich zu vorherigen Gipfeln oder zum G7-Gipfel in Sizilien ist.

Wie macht sich die Bundesregierung und Hamburg als Gastgeber im Vergleich zu vorherigen G20-Gipfeln?

Das lässt sich nur schwer vergleichen. Wenn man wie im Vorjahr einen Gipfel in China abhält, werden Wochen vorher Kohlekraftwerke oder Industriebetriebe, die besonders umweltverschmutzend sind, geschlossen, damit die Luftqualität sich verbessert. Da werden große No-Go-Zonen geschaffen, in die niemand reinkommt. Ein autoritäres System kann das viel leichter umsetzen. Die Gipfel, die in Industrieregionen stattgefunden haben, waren eher an den Stadtrand gedrängt. Waren Städte der Austragungsort, etwa Toronto, wurde es extrem teuer. Wie sich das im Vergleich zeigen wird, wird man erst hinterher sagen. Die zentrale Frage ist aber, ob der Protest friedlich bleibt. Gehen Bilder um die Welt, die lächelnde Staats- und Regierungschefs vor der Elbphilharmonie zeigen? Oder wird die weltweite Wahrnehmung vom G20-Gipfel in Hamburg durch Bilder von Krawallen und Straßenschlachten bestimmt?