Vor vier Jahren hatten ein paar HSV-Fans die Nase voll. Sie taten sich zusammen und gründeten den HFC Falke. Während der HSV immer wieder gegen den Abstieg kämpft, haben sie sich eine neue emotionale Heimat geschaffen.
Am Ende einer Hofeinfahrt in Altona-Nord stehen zwei Männer neben einem kleinen Kassenhäuschen Spalier. Sie tragen gelbe Warnwesten mit der Aufschrift „Ordner“. Einer trägt eine Mütze, der andere einen Schal. Auf beiden ist das Wappentier des HFC Falke gestickt. 2014 gründeten Fans des Hamburger SV den Hamburger Fußball-Club Falke, nachdem der HSV die Ausgliederung seiner Profifußballabteilung in eine Aktiengesellschaft bekanntgegeben hatte.
Ob die beiden Ordner auch mal HSV-Fans gewesen sind? „Klar. Jetzt aber nicht mehr, jetzt gehen wir hierhin“, entgegnet der eine. „Ich wollte nicht mehr nur Kunde eines Bundesligavereins sein“, fügt der andere hinzu. Beide nicken und wenden sich einer Zuschauerin zu. Ihre Dauerkarte sei falsch abgeknipst worden. Keine Minute später ist die Sache geklärt. Kein Brüllen von Hooligans, keine Polizeisirenen. Hier ist alles ein paar Nummern kleiner als beim HSV.
Samstagvormittag, kurz nach elf Uhr. Es regnet in Hamburg, das Thermometer zeigt lausige acht Grad an: Hamburger Schietwedder. Die erste Herrenmannschaft von Falke spielt hier im Stadion des SC Union von 1903. Anstoß ist um 12 Uhr statt um 15:30 Uhr. Bezirks- statt Bundesliga. Barmbek-Uhlenhorst II statt Bayern München.
Vom HSV-Ultra zum Cider-Fan
Ein Mann in einer weinroten College-Jacke nähert sich dem Kassenhäuschen. Philipp Markhardt ist Gründungsmitglied von Falke und Beisitzer des Vorstandes. Trotzdem kauft er sich ein Ticket: Vollzahler, drei Euro. „Du musst Dir keins holen. Kauf dir eins, wenn Du den Verein unterstützen möchtest“, sagt er. Markhardt ist Ur-Hamburger. Jahrelang war er einer der Köpfe der HSV-Ultragruppe „Chosen Few“, die sich im Rahmen des Ausgliederungsprozesses auflöste. Man merkt schnell, was das Fan-Dasein für Markhardt ausmacht: Die Gemeinschaft. Nach unzähligen Moins und händischen Begrüßungen führt der Weg zum Getränkestand: „Ein Bier, bitte! Möchtest Du auch eins?“
Markhardt schnappt sich sein Bier und geht wieder in Richtung Stadionausgang. Vor einem Geländer stoppt er: „Hier steht später der Ciderstand, hier bleiben wir stehen“, sagt er. Dass es immer noch regnet und weit und breit keine Überdachung zu sehen ist – geschenkt. „Wir können auch reingehen“ – „Auf gar keinen Fall, ich warte hier“, antwortet er mit seiner herzlich stumpfen Art. Der Apfelwein scheint Eindruck beim HFC-Gründungsmitglied hinterlassen zu haben. Ein Vereinsmitglied sei eigens ins britische Sommersby gereist, um die richtigen Apfelbäume auszuwählen. Entstanden ist daraus „Jules Falke-Cider“, der bei jedem Heimspiel verkauft wird.
Diese „charmanten Kleinigkeiten“, wie es Markhardt nennt, machen das Ganze aus. Hier, zwischen Stahl- und Betonwerk, zählt eben nicht nur das, was auf dem Rasen geschieht. Ein Stück Fußballromantik in Hamburg: „Du hast hier krummgetretene Stufen, bei denen du sogar nüchtern aufpassen musst, dass du dich nicht langmachst“, sagt er, „Sowas hast du im Bundesligafußball nicht mehr, weil alles den Sponsoren oder Lizenzauflagen zum Opfer gefallen ist.“ Daher auch die bewusste Entscheidung, auf Naturrasen zu spielen. Echte, traditionelle Fußballatmosphäre soll her. Ein Kunstrasenplatz mit Granulat – nicht vorstellbar.
Wo die Präsidentin noch Fußbälle zurückwirft
Das sieht auch Tamara Dwenger so. Die Präsidentin des HFC ist ebenso wie Markhardt Gründungsmitglied. „Das auf dem Feld wäre nicht so cool, wenn das hier alles nicht wäre“, sagt sie und wirft einen Ball zurück auf das Spielfeld, der beim Aufwärmen auf die Stufentribüne geschossen wurde. Dwenger ist bei Falke ein bisschen Mädchen für alles. Mal sieht man sie im improvisierten Fanshop, dann begrüßt sie jeden Zuschauer persönlich und plötzlich spielt sie auch noch das Ballmädchen. Wie sie das neben dem Vollzeitberuf alles schafft? „Man stellt sich diese Fragen gar nicht mehr. Wenn man von dem, was man tut, überzeugt ist, ist es gar nicht so schlimm“, sagt sie und kommentiert das 0:1 für die Gäste auf dem Rasen mit einem Schulterzucken: „Joa, passiert, nä. Wenn man halt nicht aufpasst.“
Beim HFC Falke ist jeder willkommen, alle verstehen sich untereinander. Wenn es etwas zu besprechen gibt, wird es besprochen. Während des Interviews mit Dwenger überreicht ihr ein älterer Herr einen gefalteten Ausdruck. „Jetzt bin ich auch Mitglied“, sagt er und überreicht der Präsidentin den unterschriebenen Mitgliedsantrag. Der Verein hat HSV-Anhängern eine neue emotionale Heimat geschaffen.
Ganz weit entfernt scheint das abermalige Chaos um den HSV. So weit entfernt ist es aber gar nicht. Nur drei Minuten mit der S-Bahn trennen die Heimspielstätte des HFC Falke in Diebsteich und die des HSV in Stellingen. Drei Minuten, die genügen, um die alte Liebe vergessen zu lassen. „Nach der Ausgliederung stand für mich einfach fest, dass ich nicht mehr zum HSV gehen möchte“, erzählt Dwenger: „Und seitdem war ich nicht mehr da.“ Fast vier Jahre ist das nun her.
Fußballromantik auf hohem Niveau
Vier Jahre, in denen sich für Dwenger und Markhardt einiges verändert hat. „Manchmal stehe ich auf der Autobahn und wundere mich darüber, dass hier soviel Stau ist. Bis mir dann irgendwann einfällt, dass Spieltag ist“, sagt die Präsidentin. Und Markhardt führt fort: „Klar geht man an einem Samstagnachmittag mal in die Kneipe, und da wird dann natürlich auch HSV gezeigt. Grundsätzlich ist es aber nichts, was mich großartig tangiert.“ Nachtreten wollen beide aber nicht. Das wäre „schlechter Stil“, meint Markhardt, der einen ungewöhnlichen Vergleich bemüht: „Es gibt aber Leute beim HSV, die nachtreten. Ich finde es manchmal interessant, dass sich die Eiche an der Wildsau reibt und nicht umgekehrt.“
Auf dem Spielfeld wird ein Foul gegen Falke gepfiffen. Dwenger blafft in Richtung des Schiedsrichters: „Ach, so ein Quatsch!“, sammelt sich kurz und sagt dann: „Der HSV wird irgendwo schon immer mein Verein bleiben. Es kann mir niemand erzählen, dass es ihn gar nicht mehr tangiert“, sagt sie.
Falke dreht die Partie noch, gewinnt 3:2 und spielt in der Bezirksliga nach zwei Aufstiegen in Folge schon wieder oben mit. Die Oberliga soll das mittel- bis langfristige Ziel für den HFC sein. „Dass das hier eher Fußballromantik ist, ist ja auch klar”, sagt Markhardt, “Wir würden aber schon gerne Fußballromantiker in der höchsten Spielklasse sein. Fußballromantik auf hohem Niveau. Das wäre cool.“ Mittlerweile hat er einen Falke-Cider bekommen. Zwischen Stahl- und Betonwerk, zwischen Naturrasen und Steintreppen.