Jeden Sonntag öffnet in Ottensen ein Treff für Wohnungslose: das Sonnenschein Café. Die Coronakrise macht das allerdings unmöglich. Deshalb fahren die Ehrenamtler*innen des Cafés jetzt direkt zu den Menschen, mit dem Lastenrad. Wir haben sie und ihr Team begleitet.

Fatma schließt am Sonntagmittag ihr Fahrrad am Laternenpfahl ab, der vor der Mathildebar steht. Sie war schon öfters hier, um Kuchen vorbeizubringen und sich mit Gästen zu unterhalten. Die meisten Gäste sind wohnungslos. Nicht immer, nur sonntags zwischen 13 und 17 Uhr, wird die Bar zum Sonnenschein Café und Menschen ohne Obdach können hier dem Alltag auf der Straße für ein paar Stunden entkommen. Ein wertvolles Angebot, das in der Coronakrise schmerzlich vermisst wird. Mindestabstände und Hygieneregeln würden einen entspannten Aufenthalt unmöglich machen.

Fassade der Mathildebar in Ottensen
Die Mathildebar stellt dem Sonnenscheincafe jeden Sonntag ihre Räumlichkeiten zur Verfügung. Foto: Paula-Lu Wiedeking

Tüten statt Café

Gülay Ulas gründete das Sonnenschein Cafe vor über zwei Jahren. Gemeinsam mit Sanja Kunze, die sich ebenfalls für Wohnungslose engagiert, schmiedete sie in der Coronakrise einen Plan: Das Unterstützungsangebot für Wohnungslose darf nicht auf unbestimmte Zeit pausieren. Eine Alternative muss her. Sanja schrieb einen Brief. Sie stellte einen Antrag auf Förderung bei der Budnianer Hilfe und bat um Unterstützung.

Die Aktion war erfolgreich: Es kam eine so große Summe zusammen, dass sie insgesamt zehn Wochen lang für das Sonnenschein Café immer sonntags 100 Vitamin-Kits füllen und an Wohnungslose verteilen kann. In den Tüten sind Obst, Süßigkeiten und Hygieneartikel. „Heute ist bereits die siebte Woche“, stellt Sanja erstaunt fest. „Noch dreimal können wir rausfahren und unsere Tüten verteilen“.

Jeder Tag scheint wie ein Sonntag

Die Sonntage sind für Menschen auf der Straße besonders hart: Die Geschäfte bleiben geschlossen und es haben nur wenige offizielle Anlaufstellen für Wohnungslose geöffnet. Es liegen weniger Pfandflaschen in den Mülleimern und weniger Leute sind unterwegs, die man um Kleingeld bitten kann. Jetzt, zur Corona-Zeit, fühle sich auf der Straße jeder Tag wie ein Sonntag an. Umso wichtiger scheint die Arbeit von Sanja und den anderen Ehrenamtler*innen.

Fatma, Sanja, ihr Mann Christian und der Café-Stammgast Volker packen gemeinsam die Tüten. Weniger als eine halbe Stunde brauchen sie dafür. 100 Tüten für 100 Menschen — das klingt viel, ist es aber in einer Großstadt wie Hamburg nicht. Zwischendurch eilt Sanja immer wieder nach vorne zum Eingang des Cafés. Einige Stammgäste kommen vorbei und holen sich ihre Tüte vor Ort ab.

Christian belädt das Lastenrad und es geht los in Richtung Altonaer Bahnhof. Die erste Schlafstelle, die das Team findet, ist leer. Zwei Matratzen, einige Decken und ein paar Essenreste liegen auf dem Boden. Christian stellt eine Verpflegungstüte dazu.

Matratzen und Decken auf der Straße
Foto: Paula-Lu Wiedeking

Einige Wohnungslose kennen das Rad

Auf dem Bahnhofsvorplatz fällt das beladene Rad auf. Viele Wohnungslose kennen es schon und fragen nach einer Tüte. Ein älterer Mann holt seine Mundharmonika raus und spielt als Dankeschön etwas vor. Ich gebe euch etwas Schönes zurück”, sagt er. Ein anderer erzählt, dass er heute schon geduscht hat. Dabei meint er den Duschbus von GoBanyo, bei dem Fatma auch schon ausgeholfen hat. Unter seinem Arm klemmt eine Flasche Weißwein. Er bedankt sich für die Verpfelgungstüte. Erst vor Kurzem hätte er 25.000 Euro gezahlt, um „seine Maschine nach Kanada verschiffen zu lassen“, erzählt er Fatma. Sie hört ihm zu, dann geht es weiter.

Fatma aus dem Lastenrad
Das Lastenrad ist eine Leihgabe.
Foto: Paula-Lu Wiedeking

Menschlicher Kontakt tut gut

Mehrmals fahren die Helfer zurück zum Café und beladen das Lastenrad mit neuen Tüten. Die letzte Runde führt über den Parkplatz eines geschlossenen Supermarktes. Sonntags suchen einige Wohnungslose Schutz unter dem Dach der Warenannahme, das weiß Sanja. Heute treffen sie hier nur eine Person. Trotzdem lohnt sich der Umweg.

Auf dem Rückweg, es liegen nur noch zwei Tüten in den blauen Plastikkisten, schaut ein Mann interessiert zum Fahrrad rüber. Er ist vielleicht Mitte Fünfzig und trägt einen Dreitagebart. „Was macht ihr da?“, fragt er. Als Sanja erklärt, dass sie Wohnungslose unterstützen antwortet er: „Ich wohne im Pik As, zählt das auch?“ Mit einem breiten Lächeln überreicht sie ihm die vorletzte Tüte.

Information

Das Pik As ist eine Notunterkunft für wohnungslose Männer in Hamburg. Eine Übersicht aller Übernachtungsstätten Hamburgs findest du hier.

Sie lädt den Mann auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen ein, sobald das Café wieder öffnet. Ob dort auch Karten gespielt werden, möchte er wissen und beginnt die Regeln eines Spiels zu erklären, das ihm afghanische Freunde beigebracht haben. Es klingt so, als werde er bald zum Kartenspielen ins Sonnenschein Café kommen.