“Einige empfinden Trauerfeiern nun als intimer”

Geschichten einer Krise

In der Corona-Krise gelten neue Regeln für das Abhalten von Trauerfeiern. Pia ist Bestatterin und erzählt, wie sich ihr Alltag verändert hat. Wichtig ist ihr, den Menschen auch in dieser Zeit die Möglichkeit zum Trauern zu geben.

Pia* ist 24 Jahre alt, zierlich und hat ein sympathisches Lächeln. Ihre rotbraunen Haare sind gerade so lang, dass sie ihre Schultern berühren. Sie wirkt ein bisschen wie das nette Mädchen von nebenan. Wenn sie Menschen erzählt, was sie beruflich macht, sind die oft erst einmal erstaunt. Die junge Frau ist Bestattungsfachkraft, beziehungsweise macht sie eine Ausbildung dazu. Ein ungewöhnlicher Job – der in der Corona-Zeit besonders fordert. Pia muss gerade jeden Tag arbeiten und ist auch während unseres Gesprächs über Skype auf Abruf im Dienst.

„Trauern ist wichtig. Das muss möglich sein, auch heute“

Geschichten einer Krise

FINK.HAMBURG hat 24 Menschen gefragt, wie sich ihr Leben durch die Corona-Krise verändert hat. Geführt haben wir die Gespräche via Skype, Zoom, im engsten Bekanntenkreis, denn wir mussten Abstand halten. Herausgekommen sind dennoch Nahaufnahmen von Hebammen, Lehrkräften, Krankenpfleger*innen, Studierenden. Sie zeigen, wie herausfordernd das Virus für den beruflichen und privaten Alltag ist und wie Neuanfänge gelingen.

Pia arbeitet in einem kleinen Familienunternehmen in Niedersachsen. Die Arbeit ist vielseitig, das gefällt ihr. Sie begleitet die Verstorbenen und ihre Hinterbliebenen von der Abholung über die Aufbereitung des Leichnams bis zur Trauerfeier.

Während der Corona-Krise ist einiges anders: Bei Abholungen, gerade in Krankenhäusern und Altenheimen, muss Pia extrem auf die Hygienevorgaben achten. Es wirkt da schon paradox, dass Bestatter in Niedersachsen nicht als „systemrelevant“ eingestuft wurden und ihr Betrieb deshalb Probleme hatte, an Schutzausrüstung zu kommen.

Der größte Einschnitt erfolgt gerade bei den Trauerfeiern: Während der Pandemie dürfen nur zehn Leute dafür zusammenkommen, das reicht oft nur für die engsten Angehörigen. „Das sagen wir den Leuten“, erzählt Pia, „das ist die Anordnung.“ Viele haben Verständnis. Einige empfinden Trauerfeiern nun sogar als viel intimer. Sollten aber doch mehr Leute auftauchen, wird keiner weggeschickt.

Eine Grenze ziehen bei einer großen Familie, wer kommen darf und wer nicht – das gehe einfach nicht. Pias Stimme wird ernst. „Trauerfeiern sind wichtig für die Menschen, für ihre Trauerbewältigung.“ Was genau passieren würde, wenn das Ordnungsamt nachzählt, weiß Pia nicht. Das sei zum Glück noch nicht vorgekommen.

„Manchmal fühlt es sich unecht an, wie schnell Zeit vergeht“

Zu ihrer Ausbildung ist Pia eher zufällig gekommen. Eigentlich wollte sie in Trier alte Geschichte und Archäologie studieren. Die Uni gefiel ihr aber nicht, sie brach das Studium ab und begann ein Praktikum beim Bestatter. Dort fühlte sie sich wohl. Das merkt man auch an der Art und Weise, wie sie über den Tod spricht: mit ruhiger Stimme, leicht distanziert aber trotzdem voller Mitgefühl. Sie hat gelernt ihren Job nicht mit nach Hause zu nehmen. Das sei wichtig.

Pia hat dem Tod einmal selbst ins Auge geblickt. Vor ihrer Ausbildung hat sie im Einzelhandel gejobbt als sie beim Kassieren plötzlich in den Lauf einer Pistole schaute. Ein Überfall. „Geld her“, hat der Mann auf der anderen Seite des Tresens gesagt. Sie hat sich an die Anweisungen ihrer Chefin erinnert, ist ruhig geblieben und hat ihm Geld gegeben. Der Täter wurde gefasst und kam ins Gefängnis. Bei anderen Überfällen hat er die Opfer stark traumatisiert. Pia scheint das Erlebte gut verarbeitet zu haben.

„Der Beruf nimmt einem die Berührungsangst vorm Tod“

Wenn Pia von ihrem Beruf erzählt, nimmt einem das Berührungsängste. Vor allem, wenn man hört, dass auch gelacht wird. Wie damals, als ihr Kollege mal beim Trauergespräch eingeschlafen ist. Die Angehörigen hätten das mit Humor genommen. Aber nicht immer ist der Alltag leicht. Einige Fälle zeigen, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Wie damals, als eine 19-Jährige abends ins Bett gegangen und morgens nicht mehr aufgewacht sei. Da leide man mit. Sehr sogar.

Jeder weiß, dass der Tod passiert, aber man versucht ihn doch so gut es geht zu verdrängen. Das kann Pia in ihrem Beruf nicht. Der Job nehme dem Thema das Fremde und zwinge einen, sich mit ihm zu beschäftigen. Angst vorm Tod habe sie trotzdem nicht. Sie sieht das pragmatisch: „Wenn man selbst in der Situation ist und plötzlich stirbt, dann bekommt man das ja eh nicht mehr mit“. Wir lachen beide wieder.

*Name von der Redaktion geändert