Seit sie klein ist, lebt Janina ihr Leben nach dem christlichen Glauben. Mit der Frage, warum Gott das Leid in Krisensituationen zulässt, hat sie sich intensiv beschäftigt. Corona ist für sie keine solche Krise.
Früher dachte Janina immer, ein Garten wie der ihrer Eltern sei normal. Die 28-Jährige sitzt zurückgelehnt in einem Gartenstuhl zwischen Gewächshaus und Entengehege. Vögel zwitschern in den Apfelbäumen. Auf dem Tisch liegen die „Känguru-Chroniken“ von Marc-Uwe Kling. Hier wuchs Janina auf, in einem kleinen Dorf nördlich von Hamburg. Während der Vater arbeitete, blieb ihre Mutter zuhause und kümmerte sich um Janina und ihre beiden jüngeren Geschwister. Unten im Haus lebten die Großeltern. Es war immer Jemand da.
Janina richtet ihr Leben dem christlichen Glauben aus. Mit zehn oder elf Jahren besuchte sie einen Gottesdienst, bei dem sie das erste Mal das Gefühl hatte, dass die Menschen ernsthaft hinter dem stehen, was sie predigen. Das faszinierte Janina. Heute ist sie in einer pfingstlich ausgerichteten Freikirche aktiv, die ihren Schwerpunkt auf die Aussendung des Heiligen Geists gelegt hat. Den Heiligen Geist beschreibt Janina als etwas Spirituelles, „was Christen erfahren, wenn sie ihr Leben Jesus gegeben haben“, sich also dafür entscheiden, an Jesus zu glauben und ihr Leben danach auszurichten.
Den Heiligen Geist erfahren
Erfährt man den Heiligen Geist, wird man nach dieser Vorstellung außerdem zu einem tieferen Verständnis der Bibel befähigt. Einige glauben zum Beispiel, dass sie sogenannte Geistesgaben erfahren, wie beispielsweise das Sprachengebet. Ein Freund habe unwissentlich auf Arabisch gebetet, erzählt Janina. „So wie ich den Heiligen Geist erlebe, ist, dass ich häufig einen tiefen inneren Frieden hab, auch wenn die äußeren Umstände nicht danach aussehen.“ Diesen inneren Frieden strahlt Janina nach außen aus. Sie erlebt Gott, beschreibt es als eine Beziehung, die sie lebt. Sie passt da irgendwie rein in diesen riesigen Garten, weit weg von der aktuellen Krise.
Zusammen mit elf anderen Personen, darunter zwei Familien mit Kindern, lebt sie nun in einer Doppelhaushälfte in Neumünster. Gemeinsam feiern sie Gottesdienste im Online-Stream auf einem Beamer, denn alle sind in derselben Gemeinde aktiv. „Es ist sehr schön, also mir tut das sehr gut, da zu wohnen“, sagt sie. Abends wird zusammen gegessen, immer ist jemand da.
Angst vor Corona hat Janina nicht. Es ist eher die gesellschaftliche Verantwortung, die ihr nun noch einmal bewusst geworden ist. Das Virus unwissentlich weiterzutragen war ein Punkt, über den sie nachdenken musste. Social Distancing ist in ihrer WG schlicht nicht möglich. Und Homeoffice lässt der Job nicht zu. Aber Angst hat sie keine, das sagt sie mehrfach. „Krisen gehören zum Leben dazu und in jeder Krise steckt auch eine Chance.“ Dass sie die Welt so wahrnimmt, hat viel mit ihrem Glauben zu tun.
„Sollte Corona in eine der Einrichtungen kommen, werden wir es mit Toten zu tun haben.“
Janina arbeitet in der Verwaltung einer gemeinnützigen GmbH in Kiel. Ihre Angebote richten sich an psychisch erkrankte, wohnungslose, straffällige oder suchterkrankte Menschen, Senior*innen und Langzeitarbeitslose. Die vergangenen Wochen waren für Janina vollgepackt mit Arbeit. Jede Verordnung musste sie bis ins Detail studieren und für den Fall der Fälle gemeinsam im Team einen Fahrplan entwickeln. „Sollte Corona in eine der Einrichtungen kommen, werden wir es mit Toten zu tun haben. Dieser Realität muss man so ins Auge sehen“, sagt sie. Wenn es dazu kommt, müssten die Mitarbeitenden aber wissen, wie zu handeln ist, wer kontaktiert werden muss, oder wie sie schnellstmöglich an Schutzmasken gelangen. Das alles musste Janina in die Hand nehmen.
„In Deutschland die Krise zu erleben, ist für mich noch keine Krise.“
Geschichten einer Krise FINK.HAMBURG hat 24 Menschen gefragt, wie sich ihr Leben durch die Corona-Krise verändert hat. Geführt haben wir die Gespräche via Skype, Zoom, im engsten Bekanntenkreis, denn wir mussten Abstand halten. Herausgekommen sind dennoch Nahaufnahmen von Hebammen, Lehrkräften, Krankenpfleger*innen, Studierenden. Sie zeigen, wie herausfordernd das Virus für den beruflichen und privaten Alltag ist und wie Neuanfänge gelingen
Die Flexibilität, jeden Tag neue Entscheidungen treffen zu können, lernte sie nach ihrem Abitur 2011, als sie für ein Jahr in Accra, der Hauptstadt Ghanas, an Schulen Jugendarbeit leistete. Die Zeit prägt sie heute noch. Sie lernte dort, dass Menschen woanders anders leben. Wie mit dem Garten ihrer Eltern: Erst als sie von zuhause wegzog, fiel ihr auf, was für eine Besonderheit dieser Garten eigentlich ist. Dass ihr “Normal” nicht dem “Normal” der anderen entspricht. Dass ihr Leben hier in Deutschland besonders ist, das Leben woanders aber auch funktioniert. Anders kann eben trotzdem gut sein.
Im vergangenen Jahr reiste sie nach Lesbos in das Flüchtlingscamp Moria, um dort zu helfen. „In Deutschland diese Krise zu erleben, ist für mich noch keine Krise. Für mich ist ´ne Krise: Flüchtlingscamp, 20.000 Leute, ein Wasserhahn für hundert Leute. Wie sollen die sich jemals die Hände waschen?“ Es ist das erste Mal, dass sie aus der Fassung gerät. „Wo ist Gott in diesem Leid? Warum lässt Gott das zu?“ Mit diesen Fragen beschäftigte sie sich für viele Monate intensiv.
Als Antwort hat sie für sich gefunden, dass vieles Leid menschengemacht ist. „Nirgendwo steht geschrieben: Ihr seid die Opfer und sollt einfach darauf warten, gerettet zu werden“, sagt Janina. „Gott hat uns, auch durch unseren freien Willen, Verantwortung füreinander gegeben.“ Dazu gehört es aber auch zu erkennen, was nicht in ihrer Macht liegt und was sie loslassen muss. „Das ist schwer und das kann ich auch nicht immer, aber ich bin auch nicht fähig, allen Menschen zu helfen.“
Das Virus hingegen sei nicht menschengemacht, aber die Welt eben nicht perfekt, deshalb gehöre es dazu. „Wir werden viele Verluste haben. Aber wir werden auch daraus aufstehen und es wird irgendwann auch so sein, dass wir uns alle wieder in den Arm nehmen können.“