In der Corona-Krise werden auch in Hamburg vermehrt Pop-Up-Bike-Lanes eingerichtet – temporäre Fahrradwege auf Kosten der Autospuren. Für kurze Zeit wurde nun die Stresemannstraße bei der Sternbrücke fahrradfreundlicher gemacht.
Von Jonathan Schanz und Marie Filine Abel
An einem Samstagmorgen sprüht eine mit Warnwesten bekleidete Gruppe von Menschen mit Spraydosen Fahrradsymbole auf den Asphalt und stellt Pylonen auf. Die knallorangenen Hütchen markieren den temporären Fahrradweg, der für circa sechs Stunden auf der Stresemannstraße eingerichtet wird. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC), die Initiative Sternbrücke und der Denkmalverein Hamburg öffnete Mitte Juni diese sogenannte Pop-Up-Bike-Lane – eine Fahrspur nur für Radfahrer*innen. Die vierspurige Stresemannstraße wurde somit für Autos zweispurig: In jede Richtung war eine Spur für Kraftfahrzeuge gesperrt.
Das Ziel dieser Aktion: Zeigen, dass zwei Spuren für Autofahrer*innen ausreichend sind. Und gleichzeitig die neu geplante Eisenbahnbrücke verhindern, die die aktuelle Sternbrücke ersetzen soll. Denn diese “Monsterbrücke” wäre nur notwendig, wenn die Stresemannstraße auch unter der Sternbrücke auf vier Fahrspuren für Autos ausgeweitet werden soll, berichtet Kristina Sassenscheidt (42) vom Denkmalverein Hamburg. Die Deutsche Bahn hatte den Entwurf im April vorgestellt, für den sieben Gebäude abgerissen werden müssten. Breite Radstreifen sind nicht Teil des Plans.
“Wir wollen den Autoverkehr in der Gegend reduzieren, weil die Anwohner*innen hier schon seit Jahrzehnten massiv belastet sind”, so Kristina. Nach dem Unfalltod eines kleinen Mädchens im Jahr 1991 und anschließenden massiven Protesten, wurde die Stresemannstraße für elf Jahre zweispurig. Dieser Zustand soll wiederhergestellt werden, wünscht sich Sassenscheidt. Dann könne die historische Brücke auch erhalten bleiben.
Mehr Platz und Sicherheit für Radfahrer*innen
Durch die Corona-Krise wurden die Pop-Up-Bike-Lanes besonders bekannt. Die Hygieneregeln, die eine gegenseitige Ansteckung mit dem Virus verhindern sollen, geben vor, dass Radfahrer größeren Abstand halten sollen, aufgrund der Geschwindigkeit lieber mehr als die sonst geltenden 1,5 Meter. Viele Städte richteten deshalb in den letzten Monaten temporäre Radwege ein: Berlin, München, Dortmund, Stuttgart, überall entsteht neue Infrastruktur. Allerdings meistens nur temporär. Viele Kommunen planen, die Radwege im Herbst wieder zu entfernen.
Das dämpft die Freude über die neu gewonnenen Freiheiten der Fahrradfahrer*innen auf lange Sicht schon: Heute aber noch nicht. Vor allem der Platz und damit der größere Abstand zum Autoverkehr kommen gut an. “Super Aktion, daran kann ich mich gewöhnen, dass ich hier so frei fahren kann”, sagt Recht-auf-Stadt-Aktivist Marco Hosemann (35), der mit seinen Söhnen im Kinderanhänger die Bike-Lane entlangfährt. Sein Gefühl: Sicherer auf dem Fahrrad unterwegs dank Pop-Up-Bike-Lane.
Trotz neuer StVO: Die Angst, umgefahren zu werden, bleibt
Ähnlich sehen es auch Eru Katayama (19) und Carlotta Pflug (18), die beide als Ordnerinnen mithelfen. Sie verbringen viel Zeit in der Gegend der Sternbrücke und sind gegen eine vierspurige Straße unter der Brücke: “Wenn Hamburg sich schon als Fahrradstadt gibt, dann können sie auch mal eine extra Fahrradspur durchsetzen.”
Die Angst umgefahren zu werden, scheint viele Radfahrer*innen zu beschäftigen. Dabei regelt das Gesetz klar, dass Autos den nötigen Abstand halten müssen: Autofahrer*innen, die Fahrradfahrer*innen überholen, müssen einen Abstand von 1,5 bis 2 Metern einhalten. Kann dieser Abstand beim Überholen nicht gewährleistet werden, so darf nicht überholt werden. Was bislang eine Empfehlung war, ist seit April dieses Jahres in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen. Das scheint jedoch bei vielen Autofahrer*innen noch nicht angekommen zu sein.
Radfahrerin Luisa Waack (24) erzählt, dass sie manche Straßen mittlerweile meidet – wie die Elbchaussee. Der Ausbau der Strecke, die von Hamburg-Altona am Wasser entlang in den Westen führt, ist in der Diskussion. Aktuell ist hier gerade die Lage für Radfahrende angespannt. “Das sind so Strecken, da fahre ich auch nicht mehr mit dem Fahrrad lang, weil es einfach so eng ist”, sagt Waack.
ADAC: Lehnt Pop-Up-Bike-Lanes ab
Während der Aktion an der Sternstraße finden sich kaum Autofahrer*innen, die die temporären Radwege kommentieren möchten. Auch, weil das nur im stehenden Verkehr möglich ist. Mischall El-Madany (35) fährt mit seinem Auto oft durch Hamburg und nimmt das Verhältnis zwischen Fahrrad- und Autofahrer*innen als angespannt wahr. Er kommt ursprünglich aus der Fahrradhauptstadt Münster, wo Fahrradfahrer*innen schon mehr Rechte haben. “Ich glaube hier in Hamburg gibt es da noch Bedarf”, so Mischall. Gestresst hat ihn die Pop-Up-Bike-Lane jedenfalls nicht, trotz leichter Verzögerungen im Verkehr.
Das liege auch daran, dass die Stresemannstraße hier 30er-Zone ist: “Man kennt ja sowieso den Blitzer und fährt so oder so langsam. Dann wird man meistens von den Fahrradfahrern sogar überholt”, sagt Mischall. Deswegen spielt es für den Verkehrsfluss wohl keine große Rolle, ob da jetzt eine zusätzliche Spur für die Autofahrer ist oder nicht.”
Das sieht der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) anders: “Wir lehnen Pop-Up-Bike-Lanes allgemein ab. Wir erachten es nicht als sinnvoll, einfach in den Verkehr einzugreifen”, sagte Christian Hieff, Pressesprecher des ADAC Region Hansa, im Gespräch mit FINK.HAMBURG nach der Aktion. Er findet es fragwürdig, durch eine Aktion, die als Demonstration angemeldet ist, sich eigenmächtig den Verkehrsraum anzueignen und plädiert für planvolles Vorgehen. “Wenn eine Veränderung stattfinden soll, muss das in einem Prozess geschehen, und man muss sich die Auswirkungen der Veränderungen anschauen”, so Hieff.
Temporäre Fahrradwege brauchen bessere Planung
Wenn es zu Verzögerungen im Verkehr kommt, ist das nicht nur für Autofahrer*innen relevant. Auch der Nahverkehr und Rettungsdienste sind vom Eingriff in den Verkehr betroffen. Buslinien, die auf der Stresemannstraße unterwegs sind, müssen bei der Gestaltung des Verkehrsraumes mitgedacht werden. Schließlich sind für eine nachhaltige Verkehrswende sind Fahrrad- und Nahverkehr gleichermaßen wichtig. Ein Vorbild kann die Busspur auf der Max-Brauer-Allee sein, wo Busse und Fahrräder sich eine Spur teilen.
Die Grenzen der Pop-Up-Bike-Lane zeigen sich in alltäglichen Situationen, wenn zum Beispiel ein Rettungswagen die Stresemannstraße entlangfahren muss. Normalerweise gilt: Rettungsgasse bilden. Ist in jede Richtung nur eine Spur befahrbar – weil Pylonen eine Spur absperren – ist dies jedoch schwierig. Wäre die Pop-Up-Bike-Lane anders geplant und in den Verkehr integriert, könnten Rettungswagen auf den Fahrradweg ausweichen – natürlich mit Rücksicht auf etwaige Fahrradfahrer*innen.
An dem Samstagabend sammelt eine mit Warnwesten bekleidete Gruppe von Menschen die orangenen Pylonen wieder ein. Die Spur der Pop-Up-Bike-Lane wird wieder für Autofahrer*innen freigegeben. Neben vielen positiven Stimmen über den Radweg werden auch Grenzen der Pop-Up-Bike-Lane sichtbar. Es zeigt sich: Was als Aktion für einen Tag funktionieren kann, sollte für eine nachhaltige Verkehrswende besser geplant werden. Temporäre Fahrradwege funktionieren, allerdings eher um auf Missstände aufmerksam zu machen. Eine dauerhafte Lösung sind sie nicht.
Titelbild: Jonathan Schanz