Die sieben farbenfrohen Wohncontainer neben der HAW Hamburg sind mehr als ein Blickfang an grauen Tagen: Für zehn obdachlose Frauen bedeuten sie ein sicheres Zuhause – und damit die Möglichkeit für den Start in ein ganz neues Leben.

Mitten auf dem Parkplatzgelände zwischen der lauten, viel befahrenen Wallstraße und dem in den Himmel ragenden Gebäude der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) am Berliner Tor stehen sieben knallbunte Container: in Gelb, Grün, Blau, Violett, Rot, Orange und Lila. Es ist fast, als leuchteten sie bewusst provokativ in diesen verregneten Tag hinein. Die Container sind für zehn Frauen ein Dach über dem Kopf. Gäbe es sie nicht, säßen die Frauen auf der kalten Straße.

Die neuen Container stehen erst seit kurzem hier. Foto: Maja Andresen
Seit Kurzem stehen die neuen Container an der HAW Hamburg. Foto: Maja Andresen

Was hier so bunt hervorsticht, ist das Containerprojekt für Frauen vom Caritasverband. Das Projekt ist Teil des Studiengangs “Soziale Arbeit” der HAW. Studierende sammeln hier Erfahrungen im Fach Soziale Arbeit und setzen das in der Theorie Gelernte direkt in die Praxis um.

“Die Student*innen sind richtig gefordert, denn die Frauen, die hier leben, sind aus anderen Systemen bereits rausgefallen”, sagt Andrea Hniopek, die das Fachprojekt seit vielen Jahren leitet. Sie selbst hat bereits als Studentin bei dem Projekt mitgeholfen. Damals befand sich das Projekt noch am Standort Saarlandstraße und war Teil des Winternotprogramms – mit nur einem Container und Platz für lediglich drei Frauen.

Seitdem hat sich vieles getan: Seit ungefähr zehn Jahren stehen die Container an diesem Standort, und das nicht mehr nur im Winter, sondern ganzjährig. Inzwischen gibt es Platz für zehn Frauen. Und seit kurzer Zeit auch die neuen, farbenfrohen Container.

Einige Frauen bleiben fünf Tage, einige fünf Jahre

Mindestens 25 Prozent der obdach- und wohnungslosen Menschen sind weiblich. Dabei haben es Frauen häufig extrem schwer, da sie von Überfällen, aber besonders von sexueller Gewalt bedroht sind. “Hier werden obdachlose Frauen aufgenommen, die keinen Platz in anderen Einrichtungen bekommen oder schon rausgeflogen sind”, sagt Hniopek. Dazu zählen Frauen, die psychisch krank sind, ein Suchtproblem haben, der Prostitution nachgehen oder die keinen rechtlichen Anspruch auf finanzielle Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch haben, da sie aus EU-Ländern kommen.

Eine von ihnen ist Anka. Anka kommt aus Bulgarien und ist – mit Unterbrechungen – seit 2016 im Projekt. “Guten Morgen”, ruft sie herzlich. “Guten Morgen ist gut, schon mal auf die Uhr geguckt?”, scherzt Andrea Hniopek.

Hier hat Anka es sich gemütlich gemacht. Foto: Maja Andresen
Anka ist seit 2016 beim Projekt mit dabei. Foto: Maja Andresen

“Da sie hier keine Ansprüche hat, würde Anka in Hamburg keinen Platz bekommen”*, sagt Leiterin Hniopek. Anka hat in Hamburg in einer Kantine gearbeitet, bis sie kürzlich einen Unfall hatte. Sie lernt Deutsch in einem Sprachkurs. In ihrer Unterkunft hat sie es sich gemütlich gemacht, alles ist ordentlich und sauber. Man erkennt: Das ist Ankas Zuhause. “Manchmal guck ich auf ihre Lebenssituation und was sie die letzten zwei Jahre erreicht hat. Dann seh ich, sie hat sich im Verhältnis viel mehr entwickelt, als ich mich entwickelt hab. Dafür habe ich ganz viel Respekt.” Bei Anka ist Andrea Hniopek sich sicher, dass sie irgendwann aus diesem Projekt herausgehen und in ihre eigene Wohnung ziehen wird.

Auch wenn das noch ein paar Jahre dauert, ist das kein Problem, denn die Frauen dürfen bleiben, solange sie möchten. Es gibt auch Frauen, denen das Projekt nicht gut tut, die nach ein paar Tagen wieder zurück auf die Straße gehen. “Die kommen hierher und waren vorher relativ selbstständig und fangen an zu sammeln”, sagt Hniopek. Erst kürzlich war eine Frau bei ihnen untergebracht, die bereits in der ersten Nacht alles einuriniert hatte.

Andrea muss sich in der Mitte drehen können

Andrea Hniopek ist Leiterin des Containerprojekts für obdachlose Frauen. Foto: Maja Andresen
Andrea Hniopek ist Leiterin des Containerprojekts für obdachlose Frauen. Foto: Maja Andresen

Insgesamt ist das Projekt sehr niedrigschwellig, die Hausordnung bezeichnet Andrea Hniopek als minimalistisch. Alle paar Tage müssen sich die Frauen melden, dass sie noch da sind. Abends ist jeglicher Besuch verboten und im Gemeinschaftsraum dürfen keine Drogen konsumiert werden. Auch ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz ist verboten. Jeden Mittwoch ist Stubenrundgang. Da jede*r Ordnung anders empfindet, wurde irgendwann die Regel eingeführt: Hniopek, die alle bei ihrem Vornamen Andrea nennen, muss sich in der Mitte des Raums drehen können. Wenn das klappt, dann ist der Ordnungscheck bestanden.

Wohnungslosenhilfe sei darauf ausgerichtet, dass Menschen bereit sind, sich zu verändern, berichtet die Leiterin des Containerprojekts. Ihre Erfahrung ist aber, dass die meisten Bewohner*innen erst mal ihre Ruhe wollen. Die Bereitschaft sich im Leben zu verändern, könne sich auch mit der Zeit entwickeln, so Hniopek. “Wenn das passiert, ist das klasse. Wenn es nicht passiert, ist das auch in Ordnung.”

Auf der Straße kann man nicht gesund werden

Auch Stella** hatte hier Zeit, zur Ruhe zu kommen und gesund zu werden. Sie erzählt, dass sie aufgrund von Schicksalsschlägen rund 1,5 Jahre in Hamburg auf der Straße leben musste. Aus Angst und ihrer Erfahrung in verschiedenen Unterkünften sträubte sich Stella lange dagegen, in einen Container zu ziehen. Doch gesundheitlich ging es ihr immer schlechter: Probleme mit den Beinen und ein Knochenbruch führten schließlich dazu, dass sie gesund werden musste und das Angebot annahm.

Irgendwann sei sie so krank gewesen, dass für sie klar war: “Jetzt musst du dich irgendwo hinlegen können, sonst bist du bald tot.” Nun ist Stella froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Auf der Straße hätte sie manchmal nur drei Stunden in der Woche geschlafen, “weil man überall geweckt und gerüttelt wird: Du darfst dies nicht, du darfst das nicht”. Der Schlafentzug sei für sie das Schlimmste am Leben auf der Straße, berichtet sie. Oft schlief sie in Bahnen, immer wieder wurde sie verscheucht oder angegriffen. Seit einem Jahr lebt Stella nun in einem der Container. Sie hat begonnen ihre Erfahrungen aufzuschreiben, schreibt inzwischen auch Gedichte.

Mehr als nur obdachlos

In jedem Container wohnen zwei Frauen. Foto: Maja Andresen
In jedem Container wohnen zwei Frauen. Foto: Maja Andresen

“Wir Sozialarbeiter*innen schauen immer gerne darauf, was nicht funktioniert”, kritisiert Hniopek. “Obwohl in den Lehrbüchern eigentlich steht, dass wir an den Ressourcen ansetzen sollen.” Frauen wie Stella bekommen hier Raum und Zeit, um wieder Kraft zu tanken. “Sie sind mehr als nur obdachlos. Da sind Geschichten dahinter, da steht ein ganzes ein Leben dahinter”, betont die Sozialarbeiterin.

Die Plätze in diesem Projekt sind sehr begehrt – und meist binnen Minuten vergeben. “Wenn ich den Platz hier frei melde, melde ich den an verschiedene soziale Einrichtungen. Dann ist der Platz innerhalb von zwei, drei Minuten vergeben”, sagt die Leiterin. Länger als 24 Stunden sei ein Platz nie frei.

Seitdem Hniopek auch Transgenderfrauen aufnimmt, kann sie sich vor Anfragen kaum retten. Fünf der zehn Frauen, die hier aktuell leben, sind ihren Angaben zufolge Transfrauen. Die weißen Container, die vorher auf dem Gelände standen, waren marode und alt. Sie wurden durch die neuen, farbenfrohen Container ersetzt. Besonders stolz ist Hniopek auf den Container mit den sanitären Anlagen: Er ist lila.

*Inzwischen hat Anka Anspruch auf Leistung erworben.
**Name von der Redaktion geändert

1 KOMMENTAR

  1. Ein toller Bericht! Sehr lebendig und authentisch geschrieben, sehr gut nachzuvollziehen, was diese Frauen durchleben und was hinter diesem Projekt steckt!

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