Mit Youtube, Spotify und eigenem Blog möchte Jonas Goebel Kirche zeitgemäß gestalten. Er ist Pastor in Hamburg-Lohbrügge. Einer, der vieles anders macht. Ein Besuch zwischen Kreuz und Kamera.
Titelbild: Max Rohloff
Noch schnell die Maske ab, kurz über den Talar gestrichen – und schon geht’s los.
„Moin und herzlich willkommen, hier in der Auferstehungskirche!” Pastor Jonas Goebel breitet die Arme leicht aus und lächelt in die Kamera. Es ist Sonntag, 11 Uhr. Gottesdienstzeit in Lohbrügge. „Mal wieder digital. Heute aber nicht mit Zoom, sondern per YouTube“, so der junge Pastor.
Obwohl es den Kirchen inzwischen wieder erlaubt ist, Gottesdienste mit Besucher:innen zu feiern, gestaltet Jonas sie weiterhin digital – um Kontakte zu reduzieren und sich und seine Gemeinde zu schützen. So ist die Kirche bis auf ihn und ein paar wenige Mitwirkende leer. Stattdessen ist eine Kamera auf den Pastor gerichtet. Sie steht auf einem Stativ, auf das auch ein kleines Licht geschraubt wurde. Das Mikrofon hat Jonas an seinen Talar geheftet.
Pflege, Politik oder Sport: Viele Hamburger:innen zeigen gesellschaftlichen Einsatz – und das auf ganz unterschiedliche Weise. FINK.HAMBURG erzählt die Geschichten von 25 Menschen – etwa einem Rikschafahrer, der Senior:innen kutschiert oder einem Pfarrer, der Predigten im Internet versteigert. Das ist alles andere als langweilig, Ehrensache.
„Ich hoffe, ihr sitzt bequem auf dem Sofa oder am Küchentisch“, begrüßt er die Gemeinde zu Hause. Nicht gerade ein typischer Anfang für einen Gottesdienst. Aber Jonas Goebel ist auch kein gewöhnlicher Pastor. Er hat einen Podcast auf Spotify, bloggt regelmäßig über seine Arbeit als Pastor und dreht Videos für seinen Youtube-Kanal. Er möchte Kirche zeitgemäß gestalten, für die Menschen in seiner Gemeinde da sein, sich mit ihnen austauschen und sie miteinbeziehen. Die Mitglieder können beispielsweise schon vorab seine Predigttexte lesen und über die Themen diskutieren und abstimmen.
An diesem Sonntag hält sogar ein Gemeindemitglied die Predigt. Jonas hat ein Predigtseminar ins Leben gerufen, um mal zu hören, was ein Handwerker oder eine Krankenschwester auf der Kanzel zu sagen haben.
„Ich wollte eigentlich nie Berufschrist werden“
Schon als Jugendlicher brachte sich Jonas Goebel viel in seiner Gemeinde ein. „Berufschrist“ wollte der gebürtige Hamburger aber trotzdem nie werden. Sein Traumberuf war Journalist. Deshalb arbeitete er nach seinem Abitur bei der Hamburger Straßenzeitung „Hinz&Kunzt“, machte Praktika beim „Hamburger Abendblatt“, „Spiegel Online“ und „Radio Hamburg“. „Aber mein Herz war nicht dabei“, sagt Jonas. Er nahm sich eine Auszeit, sprach mit vielen Leuten und betete. „Es kam zwar keine Stimme vom Himmel“, erzählt er, „ich hatte in der Zeit aber sehr eindrückliche Begegnungen und Gespräche.“ Am Ende war klar: Jetzt wird es doch das Theologiestudium.
Seit zwei Jahren ist der 32-Jährige nun Pastor der evangelischen Auferstehungskirche in Hamburg-Lohbrügge. Die Kirche liegt etwas versteckt inmitten von grauen Wohnblöcken und ein paar kleinen Einfamilienhäusern. Nur der mit Graffiti verzierte Glockenturm ragt aus der Wohnsiedlung hervor. Goebels Vorgänger war 38 Jahre im Amt. Die Gemeinde ist mit ihm alt geworden. Entsprechend groß war auch die Umstellung, als der junge Nachfolger alles anders machen wollte. Für ihn war es selbstverständlich, dass die Kirche einen guten digitalen Auftritt hat. „Die Leute googeln uns. Die kommen nicht vorbei und gucken in den Schaukasten, wenn sie ein kirchliches Angebot suchen.“
Ein junger Pastor spricht über Gott und die Welt
Neben der offiziellen Website der Kirche betreibt Jonas schon länger einen eigenen Blog. Dort schreibt er über Gott, die Kirche und sein Leben als Pastor. Was alles so passiert im Pastorenleben, kann man sich auch auf seinem YouTube-Kanal anschauen. Seine Videos heißen: „Bekommt man als Pastor Fanpost?“, „Wer gehört zur Kirche?“ oder auch „Jesus war ein Feminist!“
Jede Woche nimmt Jonas ein neues Video auf. Mal unterwegs mit dem Handy, mal mit der Spiegelreflexkamera, einem Green Screen und professioneller Beleuchtung oder ganz casual im Wohnzimmer. Das Filmen und Schneiden hat er sich selbst beigebracht. Darüber hinaus veröffentlicht er seine Predigten auf Spotify und liest in seinem Podcast jeden Tag einen Bibelvers aus dem Alten und Neuen Testament vor. Manche Gemeindemitglieder waren mit den neuen Angeboten zuerst ein wenig überfordert und teilweise sehr skeptisch, erinnert sich Jonas. Mit der Corona-Pandemie hieß es dann jedoch bei vielen: „Ach, deswegen sind wir im Internet. Deshalb machst du das immer“, erzählt er und nimmt einen Schluck aus seiner Cola-Flasche.
Für sein Lieblingsgetränk hat er sich extra einen Mini-Kühlschrank in den Vorraum seines Arbeitszimmers gestellt. Ansonsten ist der Raum sehr minimalistisch eingerichtet: Lampen und Schreibtisch in skandinavischem Design, ein langer weißer Tisch für Besucher:innen und in der Ecke eine Zimmerpflanze. Es gibt kein Bücherregal und das einzige Kreuz in diesem Raum besteht aus roten, wabenförmigen Schallabsorbern an der Wand hinter seinem Schreibtisch. Gegenüber davon hängt ein Bild, auf dem das Wort „unmöglich“ steht. Die Buchstaben „u“ und „n“ sind fast komplett ausradiert.
Nach diesem Motto scheint Jonas auch seine Ideen zu entwickeln. Er ist davon überzeugt, dass die Kirche nur mit einem vielfältigen Angebot die Chance hat, unterschiedliche Menschen zu erreichen und wünscht sich bunte, ansprechende Gottesdienste. Dafür wolle er zwar nicht alles Alte wegstoßen, gleichzeitig brauche er aber auch Raum für Neues, sagt Jonas.
Predigtthemen bei Ebay versteigern
Deshalb entschied er sich dazu, jeden ersten und dritten Sonntag im Monat einen klassischen Gottesdienst zu feiern und jeden zweiten und vierten Sonntag, den Gottesdienst etwas freier zu gestalten. „Altbewährt“ und „neuprobiert“ nennt er diese Gottesdienste. Immer wenn es einen fünften Sonntag im Monat gibt, erlaubt er sich noch ein freieres Experiment. So entstand auch die Idee, ein Predigtthema auf Ebay zu versteigern. 750 Euro kamen dadurch in die Kollekte. Der Gewinner der Auktion konnte frei wählen, über welches Thema oder welchen biblischen Text Jonas predigen sollte. Die Gottesdienstbesucher:innen hatten zudem die Möglichkeit, sich zu beteiligen und darüber abzustimmen, welche Lieder gesungen werden, welche Instrumente zum Einsatz kommen und ob Gebete gesungen, gesprochen oder gar nicht vorkommen sollten.
An diesem Sonntagmorgen wird ein „altbewährter“ Gottesdienst gefeiert. Doch eigentlich ist er gar nicht so klassisch: Es gibt keine Orgelmusik, die Predigt wird nicht vom Pastor gehalten und der Ablauf ist nicht so starr, wie man es gewohnt ist. „Das ist in Corona-Zeiten total verschwommen“, erzählt Jonas. Durch die Pandemie kam sogar noch ein neues Format hinzu: Der Gottesdienst hoch zwei oder hoch drei. Die Hochzahlen zeigen an, ob der Gottesdienst vor Ort entweder nur auf YouTube gestreamt wird oder es zusätzlich eine Zoom-Konferenz gibt. „Die Idee dahinter ist, die Gottesdienste digital und vor Ort wirklich gemeinsam zu feiern“, sagt Jonas. Für die Gemeindemitglieder ohne Internetanschluss verschickt er die Gottesdienste auch auf CD und DVD.
„Pastoren sollten das machen, worauf sie Bock haben”
„Es ist immer eine Balance, neue Wege zu gehen und nicht komplett alle alten Menschen zu vergraulen“, erzählt er. „Das ist schwierig. Gerade in Zeiten, in denen völlig unklar ist, wann und wie unsere Angebote für Ältere wieder vor Ort stattfinden können.“ Als Ersatz für die Senior:innentreffs richtet Jonas Telefonkonferenzen ein. Außerdem gibt es eine Impfhotline für alle, die Hilfe bei der Terminsuche oder dem Transport brauchen. Unterstützt wird er dabei von vielen ehrenamtlichen Helfer:innen. Mittlerweile bekommt er immer wieder Nachrichten von Leuten, die Lust haben dabei zu sein und etwas in der Gemeinde zu tun. „Es gibt viele Menschen, die Lust haben, sich in der Kirche mit einzubringen, wenn sie sich eingeladen und nicht abgestoßen fühlen“, sagt Jonas.
Er ist der Meinung: „Pastoren sollten das machen, worauf sie Bock haben.“ Sie sollten mutig sein, denn nur eine bunte Kirche mit vielen verschiedenen Angeboten habe eine Chance, die Menschen zu erreichen. „Wir haben Jesus als Kern unserer Botschaft“, sagt Jonas. Und diese Botschaft möchte er in allen Farben und Varianten in die Welt hinaustragen. Neue Ideen dafür hat er noch reichlich.