Die Journalistin Charlotte Nzimiro setzt sich auf ihrem Instagram-Account gegen Rassismus ein. Sie hat eine Petition gestartet, die viral ging. Gemeinsam mit Journalistin Aminata Belli kämpft sie nun dafür, das N-Wort rechtich als rassistische Beleidung anerkennen zu lassen.
Foto: Lilly Brosowsky
Planten un Blomen scheint an diesem sonnigen Tag wie ein Planet fern der Corona-Krise. Kinder rennen ohne Maske und Jacke über die Wiese, sie schreien aufgeregt. Charlotte Nzimiro läuft mit langen Schritten zwischen den Blumenfeldern hindurch. Von den glänzenden Stiefeln bis zur Jacke ist sie ganz in schwarz gekleidet. Sie findet einen ruhigen Platz am Rand des Parks, wo sie, eingerahmt von dunkelgrünen Nadelbäumen, die nächsten zwei Stunden sitzen wird.
Sie wird von ihren Rassismuserfahrungen erzählen und davon, was sie gegen Rassismus unternimmt. Auf Fragen antwortet sie ohne zu zögern. Vielleicht hat sie die Fragen mittlerweile schon öfter gehört. Wahrscheinlich hatte sie ihre Antworten aber auch schon lange, bevor sie zum ersten Mal danach gefragt wurde, parat. Rassismus erlebt Charlotte, seit sie vier Jahre alt ist. Seitdem ist er Teil ihres Alltags.
Instagram-Aktivismus: “Black Power Germany”
Charlotte nippt an einem Kräutertee, erzählt von ihrem Instagram Account „Black Power Germany“. Sie hat ihn im April 2019 gestartet – ziemlich erfolgreich: Mittlerweile hat der Account über 11.000 Follower:innen. Die Hamburgerin hatte schon vorher Medienerfahrung. Nach ihrem Studium machte sie freiberuflich digitales Marketing für teure Hotels und organisierte Influencer:innen.
“Black Power Germany” ist aber um einiges politischer. Charlotte postet darauf Bilder und Geschichten Schwarzer Menschen. „Ich wollte eine Seite haben, auf der ich Informationen teile, aber die auch inspirierend ist. Auf der ich zeige, was Schwarze Menschen machen“, sagt sie gelassen. Sie wirkt entspannt, lehnt sich auf der Holzliege zurück, die Beine übereinandergeschlagen. Angefangen hätte sie mit dem Posten, weil es ihr gereicht hätte, sagt sie und lacht. Was es ist, das ihr „gereicht hat“ sagt sie nicht. Aber die Antwort schwingt eigentlich in all ihren Geschichten mit.
N-Wort stoppen
N-Wort: Charlotte Nzimiro erklärt den Begriff in ihrer Petition und auch, warum er nicht mehr ausgesprochen oder ausgeschrieben werden sollte. Die Redaktion hat sich dazu entschieden den Begriff hier nicht auszuschreiben. Was der Begriff bedeutet und mehr Infos zu den Hintergründen der Petition gibt es hier.
Ihre Geschichte als Aktivistin beginnt, könnte man sagen, in ihrer Heimatstadt Hannover: Dort schrieb sie schon als Teenagerin Beschwerdebriefe auf Didl-Maus-Papier. Adressiert waren sie an Produktionsfirmen, deren Filme sie rassistisch fand, weil sie das N-Wort verwendeten. Mittlerweile wäre die Unterhaltungsindustrie minimal diverser geworden, findet Charlotte, aber nicht-Weiße Rollen wären immer noch sehr Klischee-behaftet. „Die deutsche Medienlandschaft ist schon sehr, sehr Weiß. Elyas M’Barek muss ja immer noch für alles herhalten“, sagt Charlotte und lacht. Sie lacht viel, redet klar und laut. Auch wenn die Themen persönlicher werden. Denn Grund für ihre Instagram-Aktivität ist nicht nur die mediale Misrepräsentation Schwarzer Menschen.
Rassistische Strukturen spiegeln sich in den Medien – aber sie bestimmen auch Charlottes Alltag. Angefangen bei Fahrtkartenkontrollen in öffentlichen Verkehrsmitteln, wo sie trotz Fahrkarte Sprüche über „Schwarze, die Schwarzfahren“ zu hören bekommt. Bis hin zum Umstieg am Greifswalder Bahnhof, wo eine Gruppe Jugendlicher neben ihr Rechtsrock hörte und Charlotte sich möglichst unsichtbar machte.
Solidarität beginnt mit dem Hinsehen
Sie erzählt auch von Situationen, in denen sie nicht direkt betroffen ist. Dass sie immer stehen bleibt, wenn nicht-Weiße Menschen auf der Straße von der Polizei kontrolliert werden. Ihr selbst passiert das nicht so häufig, ihren Ausweis hat sie trotzdem immer dabei. Wenn andere kontrolliert werden, versuche sie, Blickkontakt zu halten. Weil es wichtig ist hinzusehen, weil diese Situationen erniedrigend sind. Und Angst machen.
Über diese Erlebnisse spricht Charlotte offen, auch darüber wie sie sich in diesem Kontext sieht: „Ich bin biracial, Menschen mit dunklerer Hautfarbe machen schlimmere Erfahrungen als ich“, sagt sie nüchtern. Wenn Charlotte von ihren Erfahrungen und ihren Projekten erzählt, scheint sie andere oft mitzudenken.
Aminata Belli ist Fernsehmoderatorin und Journalistin. Sie arbeitet unter anderem für NDR, MTV und FUNK. Sie gilt laut Vogue als eine der wichtigsten jungen Stimmen zum Anti-Rassismus in Deutschland.
So spricht sie viel häufiger von „wir“ als von „ich“, erklärt dann auf Rückfragen wen sie meint: Mal ihre Freund:innen unter den Aktivist:innen, mal die Menschen, die ihr bei der Petition helfen. „Für mich ist das ein Projekt der ganzen Community“, sagt Charlotte. Sie bekommt zum Beispiel Unterstützung von der Journalistin Aminata Belli, die sich selbst für Anti-Rassismus einsetzt. Die Journalistin wäre über Change.org auf Charlotte zugekommen, kurz nach dem Start der Petition.
Eine Petition, die viral ging
Als Charlotte beginnt, von ihrer Petition zu sprechen, wirkt sie energiegeladen, wippt mit dem Fuß, sitzt vorgebeugt auf der Holzliege. Die Petition ging im Dezember 2019 online. Gerade war einem AfD-Politiker vom Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Recht gegeben worden, erzählt Charlotte: Er hatte geklagt, weil er für die mehrfache Verwendung des N-Wortes abgemahnt worden war. Das Landesverfassungsgericht entschied, dass das N-Wort nur in bestimmten Kontexten rassistisch beleidigend sei.
Charlotte liest davon in der U-Bahn und geht direkt auf die Plattform Change.org. Noch während der Fahrt setzt sie ihre Petition gegen diese Entscheidung auf. Wenig später geht die Petition Online und wird in kürzester Zeit von Tausenden Menschen unterschrieben. Mittlerweile unterstützen über 170.900 Gleichgesinnte Charlottes Forderung.
Die Petition läuft aktuell noch weiter, das nächste Ziel von 200.000 Unterschriften hat Charlotte fast erreicht. Im Hintergrund arbeitet die Aktivistin unter anderem mit Anwält:innen an der Umsetzung: Unterschriften alleine reichen nicht aus. Charlotte muss ihren Antrag juristisch abischern. Sie will anerkennen lassen, dass das N-Wort in jedem Kontext rassistisch ist. Das ist schwerer als gedacht, ein echter Kraftakt neben all dem, was Charlotte sonst noch macht.
Mit Aminata Belli gegen Rassismus
Zu Beginn der Petition, im Februar 2020, organisierte sie zum Beispiel eine Demontration, bei der auch Aminata dabei war. „Das war krass“, sagt Charlotte und grinst. Erst seien nur 50 Menschen da gewesen, dann auf einmal über 400. „Als wir diese Menschenmasse gesehen haben, da mussten wir richtig weinen,“ sagt sie und lacht wieder. Von der Verantwortung, die sie mit ihrer Petition aber auch mit ihrem Intagram-Account übernommen hat, lässt sie sich offenbar nicht unterkriegen.
Pflege, Politik oder Sport: Viele Hamburger:innen zeigen gesellschaftlichen Einsatz – und das auf ganz unterschiedliche Weise. FINK.HAMBURG erzählt die Geschichten von 25 Menschen – etwa einem Rikschafahrer, der Senior:innen kutschiert oder einem Pfarrer, der Predigten im Internet versteigert. Das ist alles andere als langweilig, Ehrensache.
Eine Gruppe lärmender Kinder rennt vorbei und unterbricht Charlotte, als sie gerade über den verurteilten Polizisten im Mordfall George Floyd erzählen will. Charlotte lächelt und wartet bis sie außer Hörweite sind. Einen Moment lang herrscht friedliche Stille, Bienen summen zwischen bunten Blumenfeldern.
Ein schöner Moment. Man möchte das Gespräch mit dieser Erfolgsgeschichte gerne beenden, Charlotte zu ihrer Petition gratulieren und mit dem guten Gefühl, dass es wegen Menschen wie Charlotte bald keinen Rassismus mehr geben wird, nach Hause gehen. Aber so einfach ist es nicht. „Ich war erleichtert über das Urteil. Aber ich habe noch nicht das Gefühl, dass wir es geschafft haben. Wir haben das Etappenziel erreicht. Aber ob das nachhaltig war und ob das Urteil als Präzidenzfall, so traurig das ist, dienen wird, muss sich zeigen.“
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Rassistisch motivierte Gewalt
Rassistisch motivierte Gewalt beschränkt sich nicht auf die USA. Genauso wenig wie Vorwürfe gegenüber der Polizei. Auch in Deutschland gibt es Vorfälle, bei denen Inhaftierte in Polizeigewahrsam gestorben sind. Im Januar hat Charlotte beispielsweise einen Beitrag über Oury Jalloh gepostet – ein Fall, der seit 17 Jahren immer wieder für Aufsehen sorgt. Und für manche noch nicht abgeschlossen ist, wie Charlottes Post zeigt. Anders als der Fall George Floyd, bei dem ein Video der Tat als Beweismittel diente und zur Verurteilung führte.
Das Video ist eines von mehreren zu Fällen von rassistisch motivierter Gewalt. „Diese Videos kann man sich einfach so im Internet ansehen“, sagt sie und schaudert. „Sie sind wie Race War Porn.“
Charlotte sitzt jetzt kerzengerade auf der Holzliege. Sie wirkt nicht mehr entspannt wie noch am Anfang des Gesprächs, hält ihren Tee so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortreten. Diese Videos sollten keine Normalität werden, findet Charlotte, die Gefahr abzustumpfen sei groß. „Man träumt davon, man sieht sie in unerwarteten Momenten vor sich. Sie haben sich eingebrannt, jedes einzelne Wort.“
Social Media konsumiert einen vollkommen.
Charlotte schaut sich derartige Videos jetzt nicht mehr an und nimmt sich Auszeiten von ihrer Instagram-Aktivität. Sie braucht den Abstand von der Verantwortung, die sie gegenüber den Themen fühlt. „Social Media konsumiert einen vollkommen“, sagt sie ernst. „Letztens habe ich etwas zu Black Self Care geteilt. Daran muss ich mich selbst auch halten.“ Sie lächelt, klammert sich an den Tee, der mittlerweile kalt sein muss.
Es ist spät geworden. Weniger Menschen laufen zwischen den Grünflächen an uns vorbei. Dafür jetzt Enten, eine weiße ist darunter – das ist selten. Ob sie manchmal müde wäre? „Ja“, sagt sie. „Unfassbar müde.“ Eine Zeit lang hätte sie nicht mehr ans Handy gehen können, wenn andere Aktivist:innen sie anriefen. Dann sei sie spazieren gegangen, hätte gute Bücher gelesen. Gedichte von Maya Angelou mag sie etwa oder “Faserland” von Christian Kracht.
George Floyds und Oury Jallohs Bilder hat Charlotte wie Millionen andere auf Social Media geteilt, damit sie nicht vergessen werden. Auch wenn der Umgang mit Sozialen Netzwerken nicht immer leicht ist: Für Charlotte ist klar, dass sie wichtig sind. Der Erfolg von Black Lives Matter ist ein gutes Beispiel dafür. Vor ein paar Jahren noch wäre Alltagsrassismus etwa in Talkshows einfach so durchgegangen – jetzt nicht mehr, findet Charlotte.
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Dass in Hamburg so viele Menschen zu den Black-Lives-Matter-Demonstrationen gekommen sind, gibt ihr ein gutes Gefühl. „Auch, wenn natürlich viele für den Vibe hingegangen sind – das Gefühl, dass die Hamburger lieber eine bunte Stadt haben wollen, als eine braune Stadt, ist gut.“
Menschen reden heute noch darüber, weniger, aber sie reden.
Mittlerweile ist es um Black Lives Matter wieder etwas ruhiger geworden, aber: „Menschen reden heute noch darüber, weniger, aber sie reden.“ Für Charlotte ist das vor allem der Bildungsarbeit in den vergangenen Jahren zu verdanken. Nicht etwa der deutschen Schulen oder Medien, sondern die der Schwarzen Community. Charlotte verweist unter anderem auf „Exit Racism“ von Tupoka Ogette und „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ von Alice Hasters. Diese beiden Bücher verschenkt sie derzeit oft. Auch in ihrer Familie, die jetzt viel offener über Rassismus spräche als früher.
Menschen eine Plattform bieten
Man merkt: Charlottes Aktivismus beschränkt sich nicht nur auf ihren Instagram-Account “Black Power Germany” und ihre Petition. Sie arbeitet jetzt bei der Hamburger Morgenpost, hat dort im Juli 2020 ihr Volontariat angefangen, um Redakteurin zu werden. Mit ihrer journalistischen Arbeit will sie Menschen aus der Unsichtbarkeit holen. Gerade hat sie zum Beispiel für eine Interviewreihe mit Sexworker:innen gesprochen. Es ist ihr wichtig, Menschen eine Plattform zu bieten, die selbst keine haben.
Zur Sprache in diesem Artikel: In Bezug auf Personen wurden Schwarz und Weiß groß geschrieben. “Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt, und keine reelle „Eigenschaft“, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-sein in diesem Kontext nicht nur, pauschal einer „ethnischen Gruppe“ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der Erfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.” – ISD (Initiative Schwarze Menschen Deutschland). Mehr über die ISD erfährst du hier.