Für die Bearbeitung von entschlüsselten Encrochat-Daten werden in Hamburg 52 neue Stellen geschaffen. Das sogenannte WhatsApp der Organisierten Kriminalität wurde unter anderem für Drogen- und Waffenhandel genutzt.
Am vergangenen Dienstag hat Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) bekannt gegeben, dass der Senat den Hamburger Ermittlungsbehörden neun Millionen Euro zur Verfügung stellt, um entschlüsselte Daten aus Krypto-Handys der Firma Encrochat auszuwerten. Dafür werden 28 neue Stellen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften finanziert. Weitere 34 Stellen entstehen bei der Polizei – diese seien vorerst temporär. Diese Daten wurden von Europol entschlüsselt und im vergangenen Herbst an die deutschen Behörden weitergegeben.
Mittlerweile sei es durch Informationen aus den entschlüsselten Encrochat-Daten, alleine in Hamburg zu 300 Ermittlungsverfahren gekommen. Dabei ging es vor allem um den Drogen- und Waffenhandel organisierter krimineller Vereinigungen. Eine Anklage erfolgte in 50 Fällen. Außerdem durchsuchten die Behörden laut Innensenator Andy Grote (SPD) 255 Wohnungen und konnten 117 Haftbefehle vollstrecken. Nach Angaben von Grote hat die Polizei zweistellige Millionenbeträge sichergestellt.
Encrochat, das WhatsApp der Organisierten Kriminalität
Der europäische Dienstleister Encrochat bot Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation in Form von Krypto-Handys und einer App an. Kriminelle in ganz Europa nutzten den verschlüsselte Kommunikationsweg für Drogen- und Waffenhandel. Behörden konnten durch die Entschlüsselung zudem Auftragsmorde und andere Tötungsdelikte nachweisen oder in manchen Fällen verhindern.
Europol ermittelt seit März 2020 gegen das Unternehmen Encrochat. Im Juni 2020 gelang es Ermittelnden die Verschlüsselung zu knacken. Daraus ergab sich eine Datenmenge, welche Behörden noch Jahre lang beschäftigen wird, so Innensenator Grote. In Hamburg befasst sich nun die zukünftig verstärkte Soko HHammer beim Landeskriminalamt damit, die Daten auszuwerten. Im vergangenen Jahr gelangen so zahlreiche Einsätze gegen die organisierte Kriminalität der Hansestadt.
Zweistellige Millionenbeträge sichergestellt
Im Februar 2021 beschlagnahmte die Hamburger Zollbehörde 16 Tonnen Kokain im Hafen – es wäre der bisher größte Kokoainfund in Europa gewesen, teilte das Zollamt damals mit. Der verantwortliche Schmuggler konnte wenig später in den Niederlanden festgenommen werden: dank entschlüsselter Encrochat-Daten.
Auf Grundlage der Daten konnten Ermittelnde unter anderem im April diesen Jahres eine Racheaktion im Hamburger Drogenmilieu nachverfolgen. Diese hatte die Hamburger Behörden fast fünf Monate lang beschäftigt. Den Ermittelnden lagen detailierte Chatverläufe über Drogendeals, den Überfall und den geplanten Racheakt vor. In den entschlüsselten Nachrichten hieß es beispielsweise vom Täter “dass jetzt echt Krieg ist”.
Die Spiegel-Dokumentation “Entschlüsselt: das geheime Tagebuch der Organisierten Kriminalität” zeigt unter anderem die Aufklärung dieses Falls.
Kritik zum Datenschutz
Neben den jetzt zu verzeichnenden Erfolgen, wurde in Deutschland auch Kritik zur Entschlüsselung von Encrochat-Daten laut. Die Kritik bezog sich etwa auf die Datenbeschaffung und darauf, dass deutsche Behörden die Daten von ausländischen Ermittelnden erhielten: Als die Daten im September 2020 weitergegeben wurden, sagte Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar gegenüber dem NDR, dass es diesbezüglich Klärungsbedarf gebe.
Kritisch äußerte sich im September 2020 auch Philip Zimmermann, Krypto-Experte und Entwickler der Verschlüsselungssoftware PGP. Er sprach gegenüber ZDFheute darüber, dass auf Grundlage des Encrochat-Falles auch andere Anbieter wieder verstärkt aufgefordert würden ihre verschlüsselten Daten offenzulegen. Er gab zu bedenken, dass verschlüsselte Nachrichtenprogramme nicht nur von Kriminellen, sondern auch zum Schutz vor solchen genutzt würden – etwa von aktivistisch aktiven Bürger:innen in autoritären Regimen.
Mehrere Tausend Euro pro Jahr für Encrochat
Anders als andere Anbieter wurde Encrochat aber vor allem von kriminellen Netzwerken genutzt worden, so Zimmermann. Er sieht dort einen Zusammenhang mit den Preisen des Kommunikationsdienstleisters: Krypto-Handys von Encrochat hätten mehrere Tausend Euro pro Jahr gekostet. Das wären für normale Nutzer:innen wie Journalist:innen zu hoch gewesen.
bros/dpa/ndr/zdfheute