Ukrainische Geflüchtete unterbringen: Seit drei Monaten sind Helena Werner und Jens Volk im Dauereinsatz. Unzählige Menschen haben sie bereits beraten, bei der Flucht aus der Ukraine unterstützt und in Gastfamilien vermittelt – und zwar neben ihren Vollzeitjobs. Ein Porträt über zwei Menschen mit beeindruckender Einsatzbereitschaft.
Von Julia Chorus
Es ist Montagvormittag und Jens hat gerade Mittagspause. Der 57-Jährige arbeitet als Busfahrer bei Autokraft. Seine Verlobte Helena (43) ist Zugbegleiterin in Schichtarbeit. Die beiden sitzen in ihrem Wintergarten. Sie wohnen gemeinsam mit ihren Hunden Cleo und Sky und dem Kater Ramsis in Berkenthin, einer kleinen Gemeinde in Schleswig-Holstein. Helena und Jens erzählen von den vergangenen drei Monaten, in denen sie jede freie Minute damit verbracht haben, private Unterkünfte für ukrainische Geflüchtete zu organisieren.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine macht sich auch in Hamburg bemerkbar. FINK.HAMBURG hat dazu in der Serie „Ukraine in Hamburg“ Reportagen und Porträts von Betroffenen zusammengestellt. In der Schule und im Ballett, unterwegs mit einer geflüchteten Influencerin und einem Tennisprofi aus Kiew – FINK.HAMBURG zeigt unterschiedliche Herausforderungen und Perspektiven, die mit dem Krieg zusammenhängen.
Der Krieg in der Ukraine beginnt
An den Kriegsbeginn am 24. Februar erinnert sich das Paar noch genau: „Es war ein Donnerstag. Wir sind morgens aufgestanden, haben gefrühstückt und die Nachrichten im Fernseher angemacht. Dort haben wir dann erfahren, dass Putin die Ukraine überfallen hat. Da waren wir natürlich schockiert – so richtig schockiert.“ Helena ist in der Ukraine geboren. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr hat sie in Lwiw an der Grenze zu Polen gewohnt. Vor 26 Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland.
Als Helena und Jens im Februar die schockierenden Nachrichten aus der Ukraine im Fernsehen sehen, ist für sie sofort klar, dass sie helfen möchten. Am darauf folgenden Samstag fahren sie nach Hamburg Rahlstedt in die ZEA – die zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge, die neu in Hamburg eintreffen. “Ungefähr 300 Menschen standen dort draußen in der Kälte,” erzählt Jens. “Es war immerhin Februar. Viele Familien mit kleinen Kindern. Es gab keine Toiletten und keine Verpflegung. Helena hat dann für die Flüchtlinge übersetzt, ihnen die Situation und die nächsten Schritte erklärt. Ich bin parallel in den nächsten Supermarkt und habe Getränke geholt.” So beginnt für das Paar der Dauereinsatz in Rahlstedt – der bis heute anhält.
Urlaub in Hamburg Rahlstedt
Ihren zweiwöchigen Urlaub Ende Februar verbringen die beiden im Hamburger Aufnahmelager. Täglich pendeln sie von Berkenthin nach Rahlstedt. Mittlerweile haben sie hierfür allein 4.000 Kilometer mit dem Auto zurückgelegt. Gemeinsam mit anderen freiwilligen Helfer*innen schließen sie sich bereits im März zu der Initiative “Gemeinsam stark” zusammen. Auf GoFundMe kann man die Initiative über eine Spendenkampagne namens “Gemeinsam sind wir stark und jeder Euro hilft” unterstützen.
Mit der Hilfsorganisation „Ukraine Helfer Nord“ startet die Initiative einen Aufruf, um Unterkünfte und Gastfamilien für die Geflüchteten zu finden. Die Aktion spricht sich sehr schnell um – Helena und Jens werden bis zu 600 private Unterkünfte zur Verfügung gestellt, in denen sie die ukrainischen Geflüchteten unterbringen können.
Hilfe auch nach der Unterbringung
Die ukrainischen Hilfesuchenden kontaktieren Helena und Jens über Telefonanrufe oder Textnachrichten. Viele melden sich sogar noch aus der Ukraine bei Helena, um schnellstmöglich eine Unterkunft in Deutschland organisieren zu können – denn viel Zeit bleibt den meisten Ukrainer*innen nicht. Während Helena in ihrem Wintergarten von den vergangenen Monate erzählt, klingelt ihr Telefon drei Mal.
Gemeinsam mit einem Busunternehmen aus der Schweiz organisiert die Initiative dann den Transport der Geflüchteten von der ukrainisch-moldawischen Grenze über Rumänien, die Schweiz und Süddeutschland bis nach Hamburg. Im Schnitt dauere es lediglich zwei Tage, bis die Geflüchteten von ihren Gastfamilien im Aufnahmelager in Hamburg in Empfang genommen werden können, so Helena.
Für Helena und Jens geht die Arbeit auch nach der Vermittlung weiter: „Wenn wir die Ukrainer*innen zu ihren Gastfamilien gebracht haben, fangen wir an, die Familien und Geflüchteten zu beraten: Was sind die nächsten Schritte? Welche Dokumente müssen die Ukrainer*innen wo beantragen und vieles mehr. Mittlerweile wissen wir das glücklicher Weise schon ziemlich genau. Und so läuft das bei uns im Grunde rund um die Uhr – seit drei Monaten – neben unseren Vollzeitjobs“, schildert Helena.
Bewegende Schicksale
Diese drei Monate gehen an den freiwilligen Helfer*innen nicht spurlos vorbei. Täglich wird das Paar mit bewegenden Schicksalen konfrontiert: mit Menschen, die alles verloren haben, die seit Tagen nicht geschlafen oder gegessen haben. Mit Kindern, die ohne Schuhe durch die Kälte laufen. Helena ist deswegen bereits mehrere Male zusammengebrochen.
„Irgendwann muss man zumindest versuchen, das Emotionale an dieser Arbeit ein wenig abzuschalten, sonst schafft man das auf Dauer nicht“, sagt Helena mit Tränen in den Augen.
Neues Zuhause für ukrainische Tiere
Zumindest einen kleinen Moment abschalten können Helena und Jens Zuhause in Berkenthin mit ihren Tieren. Die Hunde und ihr Kater liegen den beiden sehr am Herzen. Ihre Tierliebe übertragen die beiden jetzt auch auf ihr Projekt. Sie holen nun auch Tiere aus der Ukraine nach Deutschland. Vor einer Woche haben Helena und Jens den Anfang gemacht und die kleine Hündin Luna aus der Ukraine zu sich nach Hause geholt. Luna bleibt für einen Monat zur Quarantäne bei ihnen. Danach bekommt sie ein neues Zuhause bei Bekannten.
In Jens’ Mittagspause kommt ein Nachbar bei dem Paar vorbei. Er hat ebenfalls einen ukrainischen Hund aufgenommen. Freudestrahlend berichtet der Nachbar Jens und Helena über den sich stetig verbessernden Gesundheitszustand des Hundes.
Vor Kurzem hat sich das Paar auch einen kleinen Transporter zugelegt. Damit wollen sie zukünftig noch mehr Tiere, Hilfesuchende und Sachspenden transportieren. An Ruhe ist bei den beiden also nicht zu denken!