Der Help Store von Hanseatic Help ist für Geflüchtete aus der Ukraine eine erste Anlaufstelle: für eine Jeans, Babynahrung oder ein Gespräch. FINK.HAMBURG  war vor Ort und erzählt die Geschichten von Svetlana, Olga, Mila, Polina und Michael – die hier Hilfe suchen oder anbieten.

Dieser Text wurde auch ins Ukrainische übersetzt. / Стаття Українською.

Wir waren insgesamt drei Mal im Help Store zu Besuch. Zum Zeitpunkt der Recherche im April/Mai war die Adresse des Ladens aus Schutz der Privatsphäre von geflüchteten Menschen aus der Ukraine für Journalist*innen noch nicht öffentlich zugänglich. Für FINK.HAMBURG durften wir trotzdem schon einmal vorbeischauen.

Der Backstein der Gebäude in der Großen Elbstraße ist aufgewärmt von der Sonne, es weht ein leichter Wind an der Elbe und es riecht nach gebratenem Fisch. Krieg fühlt sich gerade sehr weit weg an. Die Stühle und Tische der Bistros füllen sich zur Mittagspause mit Menschen, viele tragen Hemd und Krawatte. Mittendrin, zwischen den Imbissbuden und Restaurants, liegt der Help Store von Hanseatic Help, ein Laden für Geflüchtete aus der Ukraine. Das große blaue Logo ist von Weitem gut zu sehen.

„Wir müssen den Leuten sagen, dass sie sich auch warme Sachen aussuchen und Regenjacken“, sagt Mila Yazvinska, Projektleiterin des Help Stores. „Sie holen sonst nur leichte Sachen, weil das Wetter zurzeit so gut ist.“ Sommerkleider seien sehr begehrt. „Kleider und Glitzer auch“, so Mila. „Make-up haben wir auch – aber nur 20 Minuten, dann ist es weg.“ Manches hier im Laden ist funktional, wie Gummistiefel. Kleidung könne aber auch ein gutes Gefühl geben in schweren Zeiten. Deshalb werden auch pinkfarbene Blusen zum Hilfsgut – oder ein zweiteiliges Kostüm, schwarz-weiß gestreift.

Im Zentrum stehen zwei junge Frauen vor einer Kleiderstange mit bunten Sweatshirts und Hosen im Help Store und sehen sich die Kleidung an. Links von ihnen sind ein Trolli und ein Kinderwagen zu sehen. Rechts steht eine Kleiderstange mit bunten Sommerkleidern.
Der Help Store von Hanseatic Help in Hamburg. Foto: Stine Schumacher

Mila Yazvinska lebt seit zwei Jahren in Hamburg, in Deutschland noch länger. Ursprünglich kommt sie aus Kiew. Als der Krieg im Februar begann, ist sie mit ihrer Familie in Kiew zu Besuch gewesen. Auch ihre zweijährige Tochter sei dabei gewesen. Mittwoch sei noch ein normaler Tag gewesen – mit ihrer Tochter auf dem Spielplatz. Als eine Freundin sie am Donnerstagmorgen anrief, um zu sagen, es ist Krieg, hat sie es erst nicht geglaubt, sagt Mila. Danach seien sie innerhalb von drei Tagen aus Kiew über Polen zurück nach Deutschland gekommen. Ihre Eltern sind in der Ukraine geblieben. Sie erzählt das eher beiläufig.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine macht sich auch in Hamburg bemerkbar. FINK.HAMBURG hat dazu in der Serie “Krieg in der Ukraine“ Reportagen und Porträts von Betroffenen zusammengestellt. In der Schule und im Ballett, unterwegs mit einer geflüchteten Influencerin und einem Tennisprofi aus Kiew – FINK.HAMBURG zeigt unterschiedliche Herausforderungen und Perspektiven, die mit dem Krieg zusammenhängen.

Inklusion im Help Store heißt: Hilfe an die Menschen anpassen

Am Eingang des Help Stores befindet sich eine kleine Spielecke, verstreut liegt Spielzeug auf dem Boden. Mindestens vier Kleinkinder spielen und rennen herum. Die Ecke kommt gut an bei den Kleinen. Sie sitzen auf einem Teppich, den man aus vielen Kinderzimmern in Deutschland kennt: bunt mit Straßen, Häusern und Bäumen bedruckt. Mit Anlauf schmeißt sich ein kleiner Junge in einen roten Sitzsack, kreischt auf und lacht laut. Die Geräuschkulisse ist enorm.

In der Spielecke vom Help Store sieht man verschiedene Kuscheltiere in zwei schwarzen Regalen. Dort sind auch Brettspiele. Im Vordergrund steht eine Tafel zum Malen und ein Maltisch mit Buntstiften. Auf dem Boden liegen ein Spielteppich und ein roter Sitzsack.
Die Spielecke für Kinder im Help Store von Hanseatic Help. Foto: Stine Schumacher

Etwa 200 Menschen kommen täglich in den Help Store, erzählt Mila Yazvinska. Fast 40 Prozent der Besucher*innen seien Kinder, etwa 50 Prozent Frauen, nur etwa zehn Prozent Männer. Die Daten werden im Laden erhoben, um das Angebot an die Bedarfe besser anzupassen, so Mila. Die Spielecke ist wichtig – zum Toben, Spielen und Malen während die Erwachsenen nach Dingen suchen, die sie gebrauchen können. Treppen führen hier zur Eingangstür, es gibt keine Rampe. Kinderwagen und Rollstühle müssen getragen werden. Mit den Händen ahmt Mila die Bewegung nach, wie sie einen Rollstuhl anhebt und über die Treppe hievt. „Wir kommen und helfen dann. Inklusion ist uns wichtig”, sagt sie.

Gestern sei eine Gruppe mit Kindern mit Autismus und eine Gruppe, die nicht hören und sprechen konnte im Help Store zu Gast gewesen. Ohne Gebärdendolmetscher*in. Auf die Frage hin, wie sie sich verständigt haben, zieht Mila die Mundwinkel weit nach oben, gestikuliert mit den Händen, zeigt den Daumen hoch. „So“, sagt sie. Die Menschen, die hier ankommen, sind verschieden und haben unterschiedliche Bedarfe und Bedürfnisse, so pragmatisch muss auch die Hilfe aussehen.

„Wir haben keine Werbung gemacht. Trotzdem war nach zwei Tagen der ganze März und April ausgebucht“

Der Help Store ist seit dem 22. März geöffnet. „Wir haben am Montag den Mietvertrag unterschrieben. Am Dienstag ging es los mit dem Betrieb“, sagt Mila. Besucher*innen buchen über ein Tool einen Termin. Dann wissen die Mitarbeitenden, wie viele Erwachsene und Kinder kommen. Am ersten Tag waren es 50 Termine. „Wir haben keine Werbung gemacht. Trotzdem war nach zwei Tagen der ganze März und April ausgebucht“, sagt Mila.

Es soll aber nicht zu voll sein im Laden. Nicht nur wegen Corona. Die Terminsteuerung sorgt dafür, dass es nicht chaotisch wird und Besucher*innen in Ruhe nach Kleidung stöbern können. Im besten Fall ähnlich wie in einem Kleidergeschäft. „Unser Ziel war es, etwas Normalität zu schaffen für Menschen, die aus dem Kriegsgebiet kommen“, sagt Mila.

Ein älteres Ehepaar betritt den Help Store. Zwei Mal waren Svetlana und ihr Mann schon hier. Einmal im Monat können sie einen Termin vereinbaren. „Wir suchen ein bisschen Kleidung“, sagt Svetlana. Sie hat in der Ukraine als Dozentin für Marketing an der Fachhochschule gearbeitet, ihr Mann war Dozent für Technik. Gemeinsam sind sie aus Poltawa geflohen. Die Stadt mit rund 300.000 Einwohnern in der Zentralukraine liegt etwa 150 Kilometer westlich der stark umkämpften Stadt Charkiw.

Svetlana beantwortet Fragen auf Deutsch. In Deutschland habe sie früher mal ein Praktikum gemacht und dabei die Sprache gelernt. Der Krieg ist in Poltawa erst nicht sehr nah gewesen, sagt Svetlana. „Aber wir wohnen in der Nähe vom Militärflughafen und hatten Angst“, erzählt sie. Als sie dann in Deutschland waren, sei der Flughafen zerbombt worden. Die Tagesschau berichtete von einem Luftangriff Russlands, der den Flughafen beschädigt haben soll.

Drei Tage hätten sie insgesamt mit Zug und Bus von Poltawa nach Hamburg gebraucht, zuerst über Warschau nach Berlin. Als sie dort am Bahnhof die vielen Freiwilligen gesehen habe, habe sie geweint. Sie habe sich so über die Hilfe der Menschen und die Aufmerksamkeit gefreut.

Auch bei Hanseatic Help in Hamburg haben sich zahlreiche Freiwillige gemeldet, nachdem die Ukraine angegriffen wurde. Der Verein hat derzeit 16 hauptamtliche Mitarbeiter*innen. Ehrenamtler*innen machen deshalb den größten Teil der Arbeitskraft aus. Zwischen Ende Februar und Mitte April waren nach Angaben des Vereins 500 Privatpersonen und 250 Helfer*innen aus Unternehmen im Einsatz.

Der Ukraine-Krieg löste eine Welle an Hilfsbereitschaft aus. „Manchmal arbeiteten 100 Freiwillige in der Halle und draußen standen noch einmal 100, die wir wieder wegschicken mussten. Wir mussten eine Person vorne abstellen, die Leute am Eingang in Empfang genommen und eingecheckt hat“, so Michael Wopperer, Pressesprecher von Hanseatic Help.  Jetzt habe der Andrang und auch die Spendenbereitschaft etwas nachgelassen. Das ist auch völlig normal. Die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei aber eine große Bestätigung für ihre Arbeit gewesen.

Hanseatic Help e.V. ist ein Verein, der Sachspenden wie Kleidung und Hygienartikel sammelt und kategorisiert und für andere Organisationen zur Verfügung stellt. Freiwillige Helfer*innen nehmen Sachspenden in der Lagerhalle des Vereins in Altona an und sortieren sie. Gemeinnützige Organisationen fragen Artikel nach Bedarf über ein Bestellformular an und bekommen sie anschließend kostenlos zur Verfügung gestellt. Eine der Organisationen, die von Hanseatic Help beliefert werden, ist der Duschbus „GoBanyo“, über den FINK.HAMBURG bereits berichtet hat. Die aktuellsten Projekte des Vereins sind der Help Store, sowie Hilfstransporte und -veranstaltungen für die Ukraine.

Olga ist eine der Freiwilligen, die seit März im Help Store unterstützt. Die 27-Jährige ist Studentin der Kriminologie an der Uni Hamburg. Über einen Kommilitonen sei sie zum Help Store gekommen. „Ich mache das sehr gerne. Den Flüchtlingen jetzt zu helfen und alles, was möglich ist, zu machen, ist mir sehr wichtig“, sagt sie. Ursprünglich kommt Olga aus Moskau und spricht fließend Deutsch und Russisch – kein Ukrainisch. Sie versteht die Sprache aber. Probleme wegen ihrer russischen Wurzeln gibt es nicht, meint sie.

Die meisten Kolleg*innen im Help Store stammen aus der Ukraine. Sie empfangen die Besucher*innen auf ukrainisch, helfen bei Fragen weiter und wissen so eine Menge über ihre Besucher*innen.

Am Tresen empfängt Ludmilla eine Besucherin des Help Stores. Ludmilla hat blonde Haare und hat auf ihrer FFP2 Maske eine Ukraine-Flagge aufgemalt.
Ludmilla arbeitet im Help Store und nimmt am Tresen neue Besucher*innen in Empfang. Foto: Stine Schumacher

Die meisten Geflüchteten sind laut Mila privat untergekommen. Sie zeigt mir auf ihrem Smartphone eine Telegramgruppe mit über 7.000 Mitgliedern, in der sich Ukrainer*innen austauschen. Auch Svetlana und ihr Mann berichten, sie wohnen bei ihrer Tochter, die schon länger in Hamburg lebt. Bald könnten sie aber ganz in der Nähe in eine eigene Wohnung umziehen. Das sei ein großes Glück, sagt Svetlana.

„Ich möchte etwas Normalität und Stabilität haben.“

Polina, eine junge Mutter, die im März aus Kiew nach Hamburg gekommen ist, hatte bisher kein Glück bei der Wohnungssuche. Vor sich schiebt sie einen schwarzen Kinderwagen vor und zurück. Sie ist mit ihrem sechs Monate alten Baby und ihrem sechsjährigen Sohn geflohen. Aktuell wohnt sie noch bei Freunden, erzählt sie auf Ukrainisch. Auch ohne Milas Übersetzung merkt man ihr die Anspannung an. Sie spricht schnell, ihre Augen wirken müde und angestrengt. Ihr sei es wichtig, Privatsphäre zu haben und auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen zu können. Jedes Kind habe doch unterschiedlichen Bedürfnisse und ein eigenes Tempo.

Ein Kinderwagen ist voll beladen mit Windel und verschiedenen Kleidungsstückenn.
Ein Kinderwagen im Help Store. Foto: Stine Schumacher

„Ich möchte eine Wohnung haben, in der ich für meine Kinder kochen kann“, sagt Polina. „Wir suchen seit zwei Monaten.“ Sie zeigt auf ihrem Handy, wie viele Vermieter*innen sie schon kontaktiert hat. Sie bekäme nur Standardantworten. „Ich möchte die Sprache lernen. Ich möchte mein Kind im Kindergarten oder der Grundschule anmelden. Ich möchte etwas Normalität und Stabilität haben.“

Der Laden helfe ihr. Sie bekomme hier Babynahrung. Sie zeigt auf den Kinderwagen vor sich. Auch der stammt aus dem Help Store. Mila rät ihr, sich an den Norddeutschen Hilfsstab für die Ukraine zu wenden, um eine Wohnung zu finden. Bislang habe das immer funktioniert.

Ein bisschen Normalität, Stabilität: eine Wohnung, ein Kleid, ein Schulranzen. Gar nicht so viel eigentlich. Beim Verlassen des Hilfsladens duftet es wieder nach gebratenem Fisch. Ganz in der Nähe legen die Kreuzfahrtschiffe ab. Doch Urlaub ist hier am Help Store weit weg.