Im Film „Rheingold“ erzählt Fatih Akin die Lebensgeschichte von Xatar. Der Rapper überfiel unter anderem einen Goldtransporter und stand mehrmals an der Spitze der Charts. Akin zeigt in einem emotionalen Porträt, welcher Mensch hinter den kuriosen Schlagzeilen steht.
Das Leben von Xatar klingt wie ein Film: Er ist Rapper und bei der Universal Music Group unter Vertrag. Mehrmals stand er an der Spitze der Charts. Er wurde im Iran geboren und lebt in Deutschland. Neben der Musik betreibt er einen Köfte-Imbiss und eine Shisha-Bar. Zudem hat er eine Tabakmarke und eine Designlinie für Schmuck und Mode. 2009 überfiel er einen Goldtransporter und wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
Xatars Leben hat ausreichend Stoff für einen Blockbuster. Kein Wunder, dass der Hamburger Regisseur Fatih Akin, einen Film über Xatar, der bürgerlich Giwar Hajabi heißt, drehen wollte. Entstanden ist ein emotionales Porträt, das besser verstehen lässt, warum das Leben dieses Mannes abseits der Bürgerlichkeit verlief.
Auf die schiefe Bahn
Giwars Eltern sind Kurden und werden im Iran verfolgt. Während des Iran-Irak-Kriegs fliehen sie mit ihrem Sohn nach Europa. Vater Eghbal Hajabi war in der Heimat ein berühmter Komponist. In Bonn bekommt er ein Engagement am Opernhaus und die Familie kommt als Asylsuchende nach Deutschland.
Im Opernhaus in Bonn hört der junge Giwar mit seinem Vater Richard Wagners Oper „Rheingold“: Das Gold wird von den drei Rheintöchtern bewacht. Der Vater erklärt seinem Sohn: „Es ist das Gold, das unsterblich macht, und wer es einmal hat, wird es nie wieder aus der Hand geben.“ Dass Giwar später selbst Gold stiehlt und niemandem erzählt, wo es geblieben ist, wird so zur tiefsinnigen Parallele.
Nachdem sein Vater die Familie für eine neue Liebe verlässt, fühlt sich Teenager Giwar verantwortlich für Mutter und Schwester. Er versucht Geld zu verdienen – mit Pornos, Drogendeals und Rap. Die Musik ist damals aber noch wenig lukrativ, der Fokus liegt also schnell auf Drogengeschäften. Immer wieder landet er deshalb im Gefängnis.
Giwar wird zum Großdealer und arbeitet gleichzeitig an seiner Karriere als Musiker. Sein Ziel ist es, ein Label für Straßenrapper zur gründen. Dafür braucht er Geld und er lässt sich auf einen Deal ein: flüssiges Kokain im Wert von einer halben Million aus Amsterdam in Deutschland zu verkaufen. Doch durch einen Unfall verliert Giwar die Drogen. Um seine Schulden beim Kartell bezahlen zu können, überfällt er mit drei Freunden einen Goldtransporter. Sie erbeuten 250 Kilogramm Gold – ein Millionenwert. Giwar bezahlt seine Schulden und setzt sich ins Ausland ab.
In Syrien werden er und seine Komplizen geschnappt und landen im Gefängnis. Dort wird Giwar gefoltert. Er soll verraten, wo das Gold ist – doch er schweigt. Später werden die Freunde den deutschen Behörden übergeben. Im Gefängnis in Deutschland produziert Giwar als Xatar das Album „Nummer 415“, seine Gefangenennummer. Das Album verkauft sich rasant – über Nacht.
Der Film endet in der Gegenwart: Xatar ist erfolgreicher Geschäftsmann mit Haus und Familie. Bis heute hat er niemandem verraten, wo das Gold geblieben ist. Im Film „Rheingold“ liegt es auf dem Grund des Rheins und wird von Nixen bewacht – vermutlich den Rheintöchtern.
Ein klassischer Fatih Akin Film
„Rheingold“ ist ein typischer Film von Fatih Akin: brutal, lustig, schonungslos. Die Folterszenen sind schwer zu ertragen. Immer wieder fließen andere bekannte Personen der Musikszene in die Handlung ein. Als etwa Xatar den jungen SSIO mit einem Demotape aus einem Bordell abholt, erzählt dieser, dass eine der Prostituierten dort rappt. Er spricht von Schwesta Ewa.
„Rheingold“ basiert auf Xatars Biografie „Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir“. Akin hat ihn nach eigenen Angaben mehrfach zu den Details befragt. Dem Rapper sei es zudem wichtig gewesen, dass die Geschichte authentisch wirkt. Dennoch klingen Details manchmal so kurios, dass kaum zu glauben ist, dass sie so stattgefunden haben. Etwa, dass seine Mutter ihn während eines Anschlags alleine in einer Höhle voller Fledermäuse zur Welt brachte.
Einige Aspekte von Giwars Leben klammert der Film aus: Obwohl Xatar vor allem für seine Musik bekannt ist, erhält diese im Film nur eine Nebenrolle. Zwar wird klar, dass sich Giwar für Rap-Musik interessiert und ein Label gründet, doch wie genau das abläuft, findet kaum Platz. Und auch seine Probleme, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren sowie der Rassismus, den seine Familie erlebt, werden nur angerissen.
Emilio Sakraya als Xatar
Hauptdarsteller Emilio Sakraya ist einer jungen Zielgruppe bekannt, weil er im Kinderfilm „Bibi und Tina“ einen Dieb spielte. Darüber hinaus hatte er in der Serie „4 Blocks“ eine Nebenrolle als Dealer. Eine gute Vorbereitung auf seine Hauptrolle als Rapper und Großdealer in der Akin-Produktion. Sakraya wurde eine Glatze rasiert, er nahm an Muskelmasse zu und verbrachte viel Zeit mit Xatar. Das hat sich gelohnt: Aussehen, Sprache, Mimik und Gestik passen. Der Schauspieler rappt sogar in einigen Szenen die Texte von Xatar.
Filme über Rapper
Xatars Leben ist nicht die erste Biografie eines Rappers, die auf der großen Leinwand landet. Bereits 2002 erschien das Oscar-prämierte Biopic „8 Mile“ über Eminem. Darauf folgte der biographische Film „Notorious B.I.G.“ (2009) über Biggie, Snoop Doggs „Reincarnated“ (2012), „Straight Outta Compton“ (2015) über die Rap-Gruppe N.W.A. und Tupacs Filmbiografie „All Eyez on Me“ (2017).
In Deutschland versuchte man an diese Erfolge anzuknüpfen – mit mäßigen Resultaten: Die Filmbiographie von Rapper Bushido „Zeiten ändern dich“ (2010) landete 2014 auf Platz 100 der 100 schlechtestbewertesten Filme der Internet Movie Database (IMDb). Die Netflix-Serie „Skylines“ (2019), angelehnt an das Leben von Deutschrapper Haftbefehl, wurde nach der ersten Staffel trotz guter Kritiken abgesetzt – ohne Angabe von Gründen.
Bushido nahm mit der Amazon-Dokuserie „Unzensiert – Bushido’s Wahrheit“ (2021) einen zweiten Versuch, der abermals floppte und etwa als PR-Inszenierung bezeichnet wird. Jüngstes Beispiel ist die Doku „Apache bleibt gleich“ (2022) von Rapper Apache 207.
„Rheingold“ ist anders – nicht zuletzt, weil er Spielfilm und nicht Dokumentation ist. Das Leben von Giwar Hajabi ist filmreif. Fatih Akin ist ein großartiger Filmemacher. Die Kombination macht den Film für das breite Publikum interessant.
„Rheingold“ feierte am 01. Oktober 2022 auf dem Filmfest Hamburg Premiere. In den Kinos startet der Film am 27. Oktober 2022.