Ob Netflix oder Free-TV: Kaum eine Serie oder ein Film kommt ohne Kuss- oder Sexszenen aus. Damit sich am Set alle wohlfühlen, gibt es neuerdings Intimitätskoordinator*innen. Eine davon ist die Wahl-Hamburgerin Anne Schäfer.
Anne Schäfer arbeitet seit 25 Jahren erfolgreich als Schauspielerin. Sie steht unter anderem seit sechs Jahren für die ARD Reihe “Der Barcelona Krimi” als Kommissarin Fina Valent vor der Kamera. Aktuell ist sie in der Hauptrolle des deutschen Films “Alle reden übers Wetter” im Kino zu sehen.
Seit Juni 2022 ist Schäfer, die in Hamburg zu Hause ist, auch als Intimitätskoordinatorin (IC) an Filmsets unterwegs. Wie läuft ihre Arbeit am Filmset ab, wie viel Arbeit steckt hinter einer Sexszene und wie lässt man sich zur Intimitätsskordinatorin ausbilden – davon spricht sie im Interview mit FINK.HAMBURG.
FINK.HAMBURG: Frau Schäfer, Sie arbeiten seit 25 Jahren als Schauspielerin. Wie sind Sie Intimitätskoordinatorin geworden?
Schäfer: Ich habe die erste Weiterbildung im deutschsprachigen Raum zum Intimacy Coordinator 2022 gemacht. Diese Weiterbildung wurde von Barbara Rohm vom culture change hub in Kooperation mit dem Bundesverband Schauspiel BFFS konzipiert und durchgeführt.
Der Berufszweig des Intimacy Coordinators ist noch relativ neu, sagt Claudia Hartmann von der Moin.Filmförderung in Hamburg. Laut der Datenbank Crew United gäbe es aktuell rund 15 Intimacy Coordinator*innen in Deutschland – Tendenz steigend. Anne Schäfer sei die erste Person aus der Region Hamburg, die bei der Weiterbildung zum Intimitätscoach von der Moin.Filmförderung unterstützt werde.
FINK.HAMBURG: Der Beruf Intimacy Coordinator – abgekürzt IC – ist realtiv neu. Was sind Ihre Aufgaben?
Anne Schäfer: Als Intimitätskoordinatorin werde ich von einer Produktionsfirma angestellt und bin dafür zuständig, dass die Darsteller*innen bei intimen, simulierten Szenen mit Sex oder sexualisierter Gewalt innerhalb ihrer professionellen Grenzen arbeiten können. Das heißt, ich sorge im Vorfeld dafür, dass alle informiert sind, was an dem Tag passiert. Und dann sorge ich dafür, im besten Fall mit einer Probe, dass Bewegungen choreographiert und festgelegt werden.
FINK.HAMBURG: Und wie schaffen Sie es, diese Grenzen einzuhalten?
Schäfer: Also erst einmal muss man die Grenzen aller Darstellenden erfragen. Im Vorfeld ist die Hauptaufgabe einer Intimitätskoordinatorin sehr viel Kommunikation. Ich spreche mit der Produktion, um welches Fomat es sich handelt, ich lese die Szenen, beziehungsweise das Drehbuch und mache eine Gefahreneinschätzung. Dann spreche ich mit der Regie und erfrage, was sie sich genau vorstellt. Davon erzähle ich den Darsteller*innen und bespreche das mit ihnen.
Ich erfrage die professionellen Grenzen und vertragliche Regelungen, die ich der Produktion kommuniziere und dokumentiere. Wenn die künstlerische Vision nicht zu den Grenzen der Darsteller*innen passt, finde ich zusammen mit Regie und Kamera Lösungen, um das Storytelling zu gewährleisten.
Danach kommuniziere ich mit Maske und dem Kostüm. Mit beiden halte ich Rücksprache zum Thema “Modesty Garments” – das sind Intimabdeckungen, etwa spezielle Unterwäsche, teilweise mit Silikon Einlagen, oder Schamhaartupés, die den Intimbereich der Darsteller*innen optisch vor Blicken und Kontakt schützen. Prinzipiell ist es dann das Ziel der Choreografie, dass sich die Genitalien der Darsteller*innen nicht berühren. Man legt „Ankerpunkte“ fest, an denen die simulierte sexuelle Bewegung übertragen wird. Wir machen Bewegungen, die am Ende so aussehen, als wäre es wahnsinniger Sex.
Ich bin während des Drehens dabei. Wir legen tagesaktuell die Grenzen fest und ich unterstütze die Darsteller*innen in den Bewegungen, kommuniziere Regieanweisungen und achte mit auf die Einhaltung eines Closed Set Protokolls. Und dann dokumentiere ich den ganzen Prozess: Was hatten wir vor, was haben wir tatsächlich gemacht? Und am Ende bekommt die Produktion ein Protokoll.
FINK.HAMBURG: Das klingt sehr strukturiert. Klappt das auch immer?
Schäfer: Es hakt manchmal noch in der Vorbereitung. Die wenigsten Produktionsfirmen haben mit IC’s gearbeitet. Oft kommt die Anfrage zu spät. Die Kommunikation im Vorfeld dauert gerne mal 2 Wochen. Ich bin nicht, ich überspitze es mal, die Sex-Polizei, die man anruft wenns brennt . Nach dem Motto: Wenn ich da bin, ist alles safe und gut. So funktioniert der Job nicht. Der Job funktioniert, wenn man alle zusammenbringt und im Vorfeld kommuniziert.
FINK.HAMBURG: Sie haben eben schon Sexszenen angesprochen. Es gibt ja auch andere Szenen – wie Gewaltszenen oder Missbrauchsszenen in Filmen. Wie gehen sie da vor?
Schäfer: Bei einer Gewaltszene brauch man noch einen Stunt Coordinator. Es war früher sogar so, dass Stunt Coordinator den IC-Job mitgemacht haben, wenn sie zu Szenen mit sexualisierter Gewalt gerufen wurden. Es gibt tolle Kolleg*innen die Beides sind, IC und SC.
FINK.HAMBURG: Warum choreografiert man erst seit kurzem intime Szenen?
Schäfer: Weil in der Branche leider sehr lange die irre Vorstellung kursierte, dass Liebesszenen ganz besonders echt sein müssen und dass die Schauspieler das schon irgendwie machen. So nach dem Motto “Sex, das kann ja jeder, mach doch mal”. Man hat das einfach nicht für nötig befunden. Zudem galt lange der Glaube, dass man als Schauspieler*in immer zu allem Ja sagt und absolut grenzüberschreitend mit sich selbst umgeht. Es ist ein Glaubenssatz, der einfach nicht stimmt und er hat zu vielen Verletzungen geführt. Wir brauchen keine sexy Stimmung oder Showromanze um glaubhafte Sexszenen zu erzählen. Platt gesagt. Bei Stuntszenen sagt auch niemand: „Haut euch doch mal richtig eine aufs Maul, danit es echt aussieht.”
FINK.HAMBURG: Ich kann mir vorstellen, dass besonders für Frauen eine Grenzüberschreitung eintreten kann, gerade bei sexuellen Intimszenen.
Schäfer: Es gibt definitiv mehr Frauen, die Opfer von solchen Grenzüberschreitungen werden. Es gibt aber auch viele männliche Kollegen, die unter bestimmten Szenen leiden. Man geht in der Branche per se davon aus, dass ein männlicher Schauspieler total fein damit ist, eine Vergewaltigungsszene zu spielen. Man wird als Intimitätskoordinatorin eher angefragt, Frauen am Set zu schützen, aber wenn man dann mit den Männern dort redet, sagen die: “Ich bin so froh, dass ich jemanden habe, mit dem ich darüber reden kann oder dem ich meine Grenzen mitteilen kann”.
Anne Schäfer: “Wenn wir Sexszenen lesen, dann haben wir ganz oft im Kopf, wie die auszusehen haben. Wir hinterfragen das gar nicht mehr, weil wir das selbst so oft, in so vielen Filmen gesehen haben.”
FINK.HAMBURG: Bei welchen Szenen mussten sie eingreifen, weil es zu weit ging?
Schäfer: Ich arbeite erst seit Juni als Intimitätskoordinatorin, habe in fünf Produktionen 22 explizite Szenen betreut. Ich höre ständig von Grenzüberschreitungen. Vor allem auch im Theater, das kenne ich selbst. Dort kann man Übergriffe viel leichter vertuschen, weil sie eben nicht digitalisiert sind.
In meiner Arbeit als IC gab es die Situation, dass ein Komparse gesagt hat: “Ich fühle mich in dieser Spielsituation plötzlich getriggert, ich kann das so nicht mehr.” Es ging dabei um eine Partyszene, in der jüngere Frauen mit älteren Männern eine enthemmte Party darstellen sollten. Ich habe die Person sofort aus der Situation rausgeholt und eine andere Situation für sie gebaut, in der sie sich sicher gefühlt hat.
Es ist oft so, dass Darsteller*innen erst in der Situation merken, dass sie plötzlich etwas triggert. Deshalb sind Proben im Vorfeld auch sehr wichtig. Auch Laiendarsteller*innen und Kompars*innen sind solchen Situationen schutzlos ausgesetzt.
FINK.HAMBURG: Inwiefern ist die Arbeit als Intimacy Coordinator mit Kindern und Jugendlichen anders als die Arbeit mit Erwachsenen?
Schäfer: Bei Kindern gibt es grundsätzlich viel höhere Standards. Es gibt gesetzliche Regelungen zum Schutz von Kindern am Set. Die Eltern werden in die Kommunikation mit eingebunden und man muss sich immer wieder rückversichern. Ich habe bisher noch nicht mit Kindern gearbeitet. Es gibt auch Fortbildungen dazu. Bei Jugendlichen arbeite ich viel mit Wiederholung. Bei der Arbeit mit Jugendlichen kläre ich auch immer wieder darüber auf, daß das Material was gedreht wird, wenn es einmal gedreht ist, für immer im Internet ist. Das ist etwas, dessen sind sich junge Darsteller*innen oft nicht bewusst. Wenn man explizite Szenen als Schauspieler*in dreht, landen die immer auf Pornoseiten.
FINK.HAMBURG: Sind Sie in ihrer Weiterbildung überhaupt auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen vorbereitet worden?
Schäfer: Ich hatte eine zweimonatige Ausbildung in Berlin mit vielen verschiedenen Modulen, in denen es neben Praxis zur Choreografie für die Simulation von Intimität und für die Simulation von sexualisierter Gewalt, auch um die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Menschen mit Behinderung und LSBT*IQ ging. Internationale Guidelines und Best Practice im Umgang mit der Darstellung von Intimität durch den gesamten Arbeitsprozess vom Drehbuch bis zur Postproduktion. Trauma-Awareness und psychische erste Hilfe, Arbeitsrecht und Arbeitsschutz… und und, das alles aufzuzählen würde den Rahmen sprengen.
IC ist ein Berufsfeld indem man sich ständig weiterbildet. Ich habe für mich entschieden, noch nicht mit Kindern zu arbeiten, sondern mich dahingehend noch weiterbilden zu wollen.
FINK.HAMBURG: Zwei Monate Weiterbildung ist ziemlich kurz, finden sie nicht?
Schäfer: Na ja, ich habe jetzt 25 Jahre Berufserfahrung als Schauspielerin. Ich weiß, wie es läuft am Set und im Theater. Ich habe in allen möglichen Formaten fürs Fernsehen, Streamer und Kino gedreht. Zudem habe ich selbst viele intime Szenen gedreht. Ich denke, wenn man vorher nicht in der Filmbranche gearbeitet hat, dann kann man diesen Job nicht machen. Man muss verstehen, wie ein Set funktioniert, wie Schauspieler*innen arbeiten, wie ein Team funktioniert. Deshalb richtet sich die Weiterbildung nicht an Berufsanfänger*innen, sondern an Leute, mit sehr viel Berufserfahrung.
FINK.HAMBURG: Wie wird man denn Inimitätskoordinator*in?
Schäfer: Momentan ist es noch schwierig Weiterbildungsmöglichkeiten zu finden. Bis auf verschiedene Workshops, die man in UK oder den USA online machen kann, gibt es kein vergleichbares Angebot wie das von culture change hub. Es ist, denke ich, wichtig, dass diese Weiterbildung mit einem offiziellen Angebot zu tun hat. Mit ganz klaren Standards. Ansonsten kann ich nur jedem, der das machen will, raten, zuerst langjährige Berufserfahrung am Set und/oder im Theatern zu sammeln.
FINK.HAMBURG: Wie viel verdient man denn als IC?
Schäfer: Das Problem ist, wenn ich jetzt eine Zahl nenne, dann kommt jemand und sagt: Das ist aber zu wenig oder zu viel. Aber auch hier werden gerade Standards gesetzt. Alle guten IC‘s, die ich kenne, haben dieselbe Gage.
Wir haben auch bei Claudia Hartmann von der Moin.Filmförderung in Hamburg nachgefragt. Sie ist sich sicher, “dass das Interesse und der Bedarf an diesem Berufszweig steigt”. Die Moin.Filmförderung werde in den kommenden Jahren sicher weitere Weiterbildungsmaßnahmen unterstützen.