“The Social Experiment” ist ein Sci-Fi-Thriller für Jugendliche. Er beginnt mit einer nachvollziehbaren Social-Media-Kritik, lässt aber die Zuschauer*innen mit einigen offenen Fragen zurück.

Titelbild: Filmfest Hamburg/Andreas Schlieter

„The Social Experiment“ war eine der großen Premieren des Filmfest Hamburg – auch weil der Film in Hamburg spielt. Über den roten Teppich liefen zahlreiche Gäste: Neben Regisseur Pascal Schröder fanden sich am Sonntag, den 02. Oktober 2022 alle Schauspieler, mehrere Mitwirkende aus Kamera und Schnitt sowie weitere Gäste vor dem Cinemaxx Dammtor ein. Auch Zoe Wees, die den Soundtrack des Films singt, reihte sich in die Gästeliste ein.

Dem jungen Alter der Protagonist:innen entsprechend, dreht sich der Film hauptsächlich um Familienprobleme, Freundschaft und Social Media. Die Geschichte handelt von fünf besten Freunden, die im Rahmen eines Wettbewerbs einen Escape Room besuchen.

Der Einsatz der Jugendlichen sind lediglich 24 Stunden ihrer Zeit, die sie gemeinsam in dem Escape Room verbringen sollen. Dafür bekommen sie neben einem Preisgeld auch einen blauen Haken auf ihren Social Media Profilen und je eine Millionen Follower. Ein Angebot, das sie auf keinen Fall ausschlagen können. Dass sich hinter dem Escape Room eigentlich ein soziales Experiment versteckt, bei dem eine Künstliche Intelligenz (KI) versucht herauszufinden, ob aus besten Freunden Mörder werden können, ahnen sie da noch nicht.

Kira: “Mit 70 Likes kann ich dich besser einschätzen als dein bester Freund.” 

Der Spielfilm beginnt mit einer Kritik an den sozialen Medien. Das Leben der Jugendlichen spielt sich im Internet ab: Sie drehen witzige Videos von sich selbst, geben mit ihrem tänzerischen Talent an und streamen ihren gesamten Alltag live auf den sozialen Plattformen. Immer mit dabei: Ihr digitales Publikum, das jedes gestreamte Achselzucken mit positivem Feedback belohnt.

Im Escape Room angekommen, nutzt die KI namens Kira wiederum genau diese Daten, die die Freunde unbedacht im Internet teilen, um die Jugendlichen gegeneinander auszuspielen. Die Message des Films bis zu diesem Punkt: Passt im Internet auf eure Daten auf, denn sie könnten gegen euch verwendet werden. So weit noch gut nachvollziehbar, Bildungsauftrag erfüllt.

Und dann häufen sich die Fragen

Nach dem ersten Drittel verschwimmt diese Botschaft und „The Social Experiment“ wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Hier eine Auswahl: Weshalb versuchen die Jugendlichen nie das Experiment zu beenden? Wieso schwankt das Niveau der Aufgaben im Escape Room so stark? Im einen Moment müssen sich die Jugendlichen gegenseitig erschießen, um sich fünf Minuten später im Kreis bei den Händen zu fassen und eine Teambuilding-Maßnahme durchzuführen. Seit wann lassen sich Schusswunden eigentlich mit Duct-Tape verarzten? Und die wichtigste Frage: Warum will man herausfinden, ob beste Freunde zu Mördern werden können?

Es ist nicht einfach bei diesem Thriller ernst zu bleiben

Diese und weitere Fragen haben an vielen Stellen des Films dazu geführt, dass statt gespannter Stille verwirrte Lacher den Kinosaal bei der Pressevorführung füllten. Die zum Teil unnatürlichen Dialoge, die eher an Schultheater erinnern als an realistische Gespräche der Gen Z (O-Ton Nancy: „Habt ihr denn immer noch nicht verstanden, dass Weigern nur mit Schmerzen oder Schlimmerem endet?“) tragen dazu bei, dass es zunehmend schwerfällt, den Film ernst zu nehmen – besonders als Thriller. Und ist man einmal in Belustigung abgedriftet, fällt es schwer sich wieder zu fangen.

Leider gelingt es dem Film auch nicht, tiefgründige Charaktere zu etablieren. Die Jugendlichen öffnen sich scheinbar aus dem Nichts gegenüber ihren Freunden. Sie berichten zum Beispiel von Selbstmordgedanken, die sie seit dem Tod ihrer Mutter quälen, gestehen einander ihre Liebe oder äußern die Angst, so zu werden, wie ihr cholerischer Vater. In der nächsten Szene jedoch sind diese Themen schon wieder vergessen und werden auch im restlichen Film nicht wieder aufgegriffen.

Schade, handelt es sich doch um wichtige Probleme für Heranwachsende, die der Film gut hätten ausarbeiten können. Stattdessen aber lässt er die Zuschauer*innen ratlos vor der Leinwand zurück – vor Ort vielfach durch kurzes, ungläubiges Auflachen ausgedrückt, was so viel bedeutet wie: “Was war das denn jetzt schon wieder?”

Eher Streaming und Second-Screen statt große Leinwand 

Insgesamt besitzt “The Social Experiment” Unterhaltungswert – zum Gruseln an Halloween ist der Film allerdings ungeeignet. Möglicherweise versteckt sich für eine jugendliche Zielgruppe mehr Spannung in den Familiendramen und dem tragischen Liebesdreieck zwischen Nancy, Adrian und Neil als für eine Kommunikationsstudentin Mitte 20.

Das Second-Screen-Phänomen beschreibt die parallele Nutzung zweier Bildschirme. Beispielsweise das Schauen eines Films während gleichzeitig auf den Bildschirm von Smartphone, Laptop oder Tablet geschaut wird.

Dennoch bleibt  „The Social Experiment“ ein Film, der sich besser für das Streamen Zuhause eignet. Dort fallen dank Second-Screening Unstimmigkeiten in der Handlung und holprige Dialoge weniger auf als bei voller Konzentration auf im Kino. Blöd nur, wenn gerade der Film, der die sozialen Medien eigentlich kritisieren will, dazu einlädt, über eben diese abzuschweifen.

Ab dem 27. Oktober 2022 ist der Science-Fiction-Thriller in den deutschen Kinos zu sehen. Falls ihr allerdings lieber einen gelungeneren Film sehen möchtet: Die FINK.HAMBURG-Redaktion hat noch weitere Beiträge des Filmfest Hamburg rezensiert. Empfehlen lassen sich zum Beispiel “Rheingold“, “Banu” und auch “In einem Land, das es nicht mehr gibt“.