Rollerderby ist quasi taktischer Kampfsport auf Rollen, bei dem darauf geachtet wird, dass es allen gut geht
Rollerderby ist quasi taktischer Kampfsport auf Rollen, bei dem darauf geachtet wird, dass es allen gut geht. Foto: Clara Fricke

Rollerderby steht für Action und Feminismus. Beim letzten Spiel der Saison erzählt das Team HARD* was den Sport zudem inklusiv macht und wie sie sicherstellen, dass ihr Verein ein Safe Space ist und auch bleibt.

Eine Reportage von Clara Fricke und Louisa Schnitzker
Titelbild: Clara Fricke

Das Holz der Bänke in der Sporthalle am Millerntor knarzt unter dem Gewicht der Fans. Viele sind gekommen, um ihr Team anzufeuern, um die Spieler:innen jammen, blocken und siegen zu sehen. Immer mehr Menschen schälen sich aus ihren nass geregneten Jacken, halten damit für nachkommende Freund*innen Plätze frei und versorgen sich vor Anpfiff noch mit Sekt-Mate und Pizzaschnecken vom Tisch am Spielfeldrand. Der Geruch von Turnmatten, Linoleumboden und altem Schweiß erinnert an Sportunterricht, an Völkerballturniere und Bundesjugendspiele. Und trotzdem: Vieles an diesem Nachmittag in der Sporthalle ist ganz anders, als man es aus seiner Schulzeit in Erinnerung hat.

Sporthalle mal anders

Die Toilettenschilder sind überklebt von DIN-A4 Blättern mit den Aufschriften „Cis-Männer“ und „Flinta* – mit/ohne Pissoir“. An den Wänden sind Zettel angebracht, die zu umsichtigem Verhalten aufrufen und auf das örtliche Awareness-Team hinweisen. Das ist Standard beim Roller Derby. Diese Sportart ist actionreich, feministisch und geschlechtsinklusiv – eine Seltenheit in der deutschen und internationalen Sportlandschaft.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelorseminars “Digitale Kommunikation” an der HAW Hamburg entstanden und wurde ausgewählt, um auf FINK.HAMBURG veröffentlicht zu werden.

Roller Derby kommt eigentlich aus den USA der 1930er Jahre und ist ein Vollkontaktsport auf Rollschuhen. In den frühen 2000ern revolutionierten vor allem Frauen* aus der Feminismus- und Punkszene den Sport und gründete 2004 den internationalen Dachverband Womens Flat Track Derby Assoziation (WFTDA). Im Jahre 2006 wurde das erste deutsche Team gegründet.

Seitdem hat Rollerderby immer weiter an Popularität dazugewonnen und in vielen deutschen Großstädten bildeten sich eigene Teams. In Hamburg können sich Spieler*innen inzwischen sogar zwischen zwei Vereinen entscheiden: Die Harbor Girls vom FC St. Pauli und HARD*  – das steht für Hamburg Rollerderby – Altona 93.

Kampf um den Aufstieg

Heute findet in der Sporthalle auf St. Pauli ein sogenannter Bout statt – ein Spiel von insgesamt 60 Minuten. In maximal zweiminütigen Jams sind pro Team fünf Spieler*innen auf der Bahn. – vier Blocker*innen und eine Jammer*in. Letztere versuchen die jeweils gegnerische Jammer*in am Überholen und damit Punkten zu hindern. Heute steht ein wichtiges Spiel zwischen HARD* und Starlight Exzess aus Köln an. Es geht um viel, den Aufstieg in die erste oder den Verbleib in der Zweiten Bundesliga.

Geflasht von der Atmosphäre und dem Happening

Die beiden Teams in Action in der Sporthalle in St. Pauli. Foto: Clara Fricke
Die beiden Teams in Action in der Sporthalle in St. Pauli. Foto: Clara Fricke

Auf einer der oberen Bänke abseits der großen Gruppen sitzt Christian in dunklem Pulli und mit teils ergrauenden Haaren. Er ist heute allein gekommen und wirkt älter als die meisten Zuschauer*innen. Auf die Frage, wie er zum Rollerderby gekommen ist, erzählt er begeistert davon, wie er vor knapp sechs Jahren mit seinen Söhnen das erste Mal ein Spiel besuchte und „sofort geflasht von der Atmosphäre und dem Happening“ war. Er wollte ihnen einen Sport zeigen, bei dem es „nicht nur ums Zuschauen und Bier trinken geht“, so Christian, sondern um mehr.

Es ertönt eine Stimme durch die Lautsprecher und kündigt die Teams an. Die Menschen auf den Bänken springen auf – applaudieren, rufen. Die Spieler:innen fahren ein. Sie tragen grüne und schwarze Trikots, Helme, Arm- und Knieschoner und natürlich Rollschuhe an den Füßen. Ein Punk-Song dröhnt durch die Halle. Die Spieler*innen sind groß, klein, dick, dünn – viele sind tätowiert.

Das Spiel startet, die Teams liefern sich ein hartes Rennen. Die Köpfe der Zuschauenden folgen den rasanten Manövern der Jammer*innen, während die Teams um jeden Punkt kämpfen.

Diversitäts- und Inklusionsarbeit

Eine hochgewachsene Person in schwarzer Weste läuft immer wieder am Spielfeldrand entlang, lehnt gelegentlich an der Eingangstür. Ihr Blick fällt nicht aufs Spiel, sondern auf die Zuschauenden. Auf der Weste ist ein großes „A“ sichtbar auf dem Rücken befestigt. Scarlet TörtlespEEd ist heute für die Awareness zuständig. Die Künstler*in und Aktivist*in ist seit einem Jahr Mitglied bei HARD* – hauptsächlich um Sport zu machen, wie sie sagt. Nebenbei engagiert sich auch im erweiterten Vorstand und gibt Workshops, um die Diversitäts- und Inklusionsarbeit des Vereins weiterzuentwickeln, zuletzt sogar beim Deutsch Olympischen Sport Bund (DOSB).

Scarlet TörtlespEEd [sie/they] - Spieler*in, Vorstandsbeisitzende und aktiv in der Vereinsarbeit zum Thema Diversität, Weiterbildung und Inklusion. Foto: privat
Scarlet TörtlespEEd [sie/they] – Spieler*in, Vorstandsbeisitzende und aktiv in der Vereinsarbeit zum Thema Diversität, Weiterbildung und Inklusion. Foto: privat

Offene Fehlerkultur ist wichtig

Ausschlaggebend für ihre Entscheidung, HARD* beizutreten, sei vor allem der Code of Conduct gewesen. Eine Art Manifest von Verhaltensregeln, die auf fünf Seiten für alle Mitglieder, Fans und Sponsoren die Werte des Vereins und der Roller Derby Community definieren und damit verpflichtend machen. „Es ist eine gemeinsame Grundlage, mit der man arbeiten kann, damit sich alle so wohl wie möglich fühlen“ sagt Scarlet. Der Code of Conduct sei nie fertig. „Es ist Teil des Prozesses, sich weiterzuentwickeln eine offene Fehlerkultur ist wichtig,“ sagt Scarlet.

Inklusiv denken spart Zeit und Arbeit

Auf die Frage, was sich andere Sportarten beim Thema Inklusion und Diversität abschauen können, zieht Scarlet die Schultern nach oben und schaut zur Seite, so als wäre ihr die Frage schon oft gestellt worden. „Eigentlich machen wir gar nicht viel anders, wir denken nur ein paar Kleinigkeiten mehr mit, integrieren die und manchmal sparen wir dadurch sogar Arbeit und Zeit, weil wir im Vorhinein inklusiv denken und so nicht jedes Mal den Sonderfall mitbedenken müssen.“

Mitgedacht wird zum Beispiel eine möglichst inklusive Beschilderung der Toiletten, eine Pronomen-Runde am Anfang jedes Aufeinandertreffens oder der Einsatz von Social-Captains. Diese sind im Gegensatz zu Team-Captains nicht fürs Spielerische zuständig, sondern fungieren als eine Art Sprachrohr, um geäußerte Kritik von Spieler*innen stellvertretend und wenn gewünscht anonymisiert weiterzugeben.

Mit der linken Hand deutet sie Richtung Toiletten: „Leider haben wir nicht immer die Möglichkeit, alles zu tun, was wir gerne würden, heute haben wir zum Beispiel wenig Räume und Toiletten zur Verfügung, aber dafür setzen wir dann extra Fokus auf Awareness.“ sie tritt von einem Fuß auf den anderen und schaut in Richtung Eingang, „Dafür muss ich rumgehen und ansprechbar sein und das geht von hier draußen natürlich schlecht.“ Ziel ihrer Arbeit ist es grenzverletzendes Verhalten und Übergriffe jeglicher Art, egal ob körperlich oder verbal, zu verhindern und Betroffenen zur Seite zu stehen.

Eine knappe Stunde später ist klar, dass HARD* den Aufstieg in die Erste Bundesliga an diesem Samstag leider nicht schaffen, sie verlieren knapp gegen Starlight Exzess. Bei der Sieger*innenehrung erscheint das schon fast vergessen. Beide Teams jubeln und werden vom Publikum und Kontrahent*innen gleichermaßen gefeiert.

Ein Team – auch teamübergreifend

Rund 48 Stunden später in einer kleinen Sporthalle in Ottensen ist wieder Training – nach und nach treffen die Spieler*innen von HARD ein. Ob die dunklen Augenringe und müden Bewegungen, Nachwirkungen vom Spiel oder von einer durchzechten After-Bout-Nacht mit Starlight Exzess sind, bleibt offen. Einige der Spieler:innen tragen T-Shirts des gegnerischen Teams am mit blauen Flecken übersäten Körper und ziehen trotz gezerrter Muskeln ihre Bahnen. Auch das ist Teil dieses Sports: Man ist ein Team – auch teamübergreifend.

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