Eine Notlage macht Restaurantbetreiberin Kathrin Guthmann zur politischen Aktivistin. Grund: Ihr Restaurant Maharaja wird für den Bürokomplex Paulihaus abgerissen. Guthmann geht es aber schon lange nicht mehr nur um ihr Restaurant.
Die Lichter sind aus. Von außen sind durch das Schaufenster nur schemenhaft Menschen zu erkennen. Fast könnte man meinen, der Betrieb wäre im indischen Restaurant Maharani eingestellt. Läge da nicht ein süßlicher Curry-Kümmel-Duft in der Luft. Das Maharani in der Hallerstraße ist eins von ehemals drei Restaurants von Kathrin Guthmann. Sie isst zusammen mit ihrer Belegschaft an einem großen Tisch. Es gibt die ayurvedischen Spezialitäten des Hauses und arabischen Tee. Indische Musik sorgt im Hintergrund für das passende Ambiente.
Am Eingang thront eine Holzstatuen des Elefanten Ganesha, der von Hinduist:innen als gnädiger und humorvoller Gott beschrieben wird. Umzingelt ist die Gottheit von zwei ausgewaschenen Plüschtigern. In jeder Ecke hat sich indischer Feenstaub in Form von Wandteppichen, Schnitzereien und Sitzkissen breit gemacht. Alles aus Indien importiert, wie Guthmann versichert.
Ihre langen, blonden Haare sind verziert mit einer roten Rose. Zwischen ihren blauen Augen befindet sich ein goldenes Bindi, ein kleiner Schmuckstein. Dort, wo im Hinduismus das energetische dritte Auge vermutet wird. Sie trägt einen traditionellen Sari in kurkumaorange mit handgestickten Verzierungen.
Guthmann betreibt seit über 25 Jahren indische Restaurants wie dieses, obwohl sie sich das vorher nie hätte vorstellen können. Es hat sich durch äußere Umstände einfach so ergeben. Solche Umstände sollten es auch Jahre später sein, die sie zu einer politischen Aktivistin machten. Grund: Ihr Restaurant Maharaja am Neuen Pferdemarkt wird für einen Bürokomplex abgerissen.
Aus Liebe zur Musik
Pflege, Politik oder Sport: Viele Hamburger:innen zeigen gesellschaftlichen Einsatz – und das auf ganz unterschiedliche Weise. FINK.HAMBURG erzählt die Geschichten von 25 Menschen – etwa einem Rikschafahrer, der Senior:innen kutschiert oder einem Pfarrer, der Predigten im Internet versteigert. Das ist alles andere als langweilig, Ehrensache.
Guthmann ist in Marburg aufgewachsen. Sie habe schon immer einen Hang zum Spirituellen gehabt, sagt sie. „Meine Eltern waren nie religiös, dafür aber meine Großeltern, zu denen ich eine sehr enge Verbindung habe – vor allem zu meinem Großvater.” Nach ihrem Abi zog es sie Ende der Achtziger nach Westberlin, wo sie kurzzeitig Religionswissenschaft studierte.
Ihre wahre Leidenschaft ist aber die Musik. Sie spielt bis heute Querflöte und hatte auch damals die Absicht, ein Musikstudium zu beginnen. Die, so sagt sie, „geradlinige Arbeitsatmosphäre deutscher Musikschulen“ schreckte sie jedoch ab. Durch ihren Cousin lernte sie die klassisch indische Musik kennen. „Es war für mich so, als hätte ich musikalisch nur an der Wasseroberfläche gekratzt und auf einmal tut sich vor mir die Tiefe des Ozeans auf.“
1992 folgt die erste Reise nach Indien. Seitdem war Guthmann dort jedes Jahr mindestens einmal – außer im Jahr 2020. Hindi spricht sie nach eigener Aussage mittlerweile fließend, ohne es bewusst gelernt zu haben. Dabei geholfen hat ihr unter anderem die Aufzeichnung von Bhagwan Shree Rajneesh, auch bekannt als Osho, dem – bereits verstorbenen – spirituellen Guru hinter der sogenannten Bhagwan-Bewegung. Kathrin ist fasziniert von seiner Philosophie, auch wenn sie sich nie der religiösen Community anschloss.
Wie Kathrin Guthmann Restaurantbetreiberin wurde
In Deutschland wollte Guthmann fortan nicht mehr auf Indien verzichten. Sie zog in eine WG mit Gleichgesinnten, die ihre Faszination teilten. So ergab es sich, dass ausländische Freund:innen eine vertragsfähige Person brauchten, um ein indisches Restaurant in Berlin eröffnen zu können. Die geplante Inhaberin sprang jedoch in letzter Minute ab.
Freund:innen kamen danach auf Guthmann zu. „So rutschte ich 1995 in die Gastronomiebranche“, sagt sie. Ihre erste Gastronomie in Berlin musste sie nach einem Jahr schließen. Daraufhin gelang Guthmann 1997 mit ihrem Restaurant Maharaja ein Neustart in Hamburg. Damals lag es noch in der Detlev-Bremer-Straße.
Indien in St. Pauli
Weil der Mietvertrag ihres Restaurants gekündigt wurde, musste Guthmann sich 2014 nach einer Alternative umschauen. Sie übernahm das Restaurant Feuerstein am Neuen Pferdemarkt. Diesmal war der Vermieter kein Privatunternehmen, sondern die Sprinkenhof GmbH, die zentrale gewerbliche Immobiliengesellschaft Hamburgs. Nach einem großen Umbau eröffnete im Sommer 2016 dort das neue Maharaja. Guthmann wusste nach eigenen Angaben zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht, dass auf diesem Grundstück bereits der Bau eines neuen Bürogebäudes geplant war.
Das Paulihaus ist ein Baugemeinschaftsprojekt verschiedener Träger. Auf sechs Stockwerken sollen laut offizieller Webseite Unternehmen miteinander kooperieren und gemeinsam Flächen nutzen können. Kurz nachdem das neue Maharaja eröffnet war, seien Repräsentant:innen der Baugemeinschaft in das Restaurant gekommen, erzählt Guthmann.
Sie waren verwundert, dass die Fläche überhaupt noch vermietet war. „,Wie? Neues Restaurant? Wir bauen hier‘, bekam ich damals zu hören“, erinnert sich Guthmann. Sie beklagt, dass sie vor Vertragsschluss nicht über das Bauvorhaben informiert worden sei: „Hätte ich damals gewusst, dass das Gebäude ein paar Jahre später abgerissen wird, hätte ich doch nie einen Mietvertrag unterschrieben.“
Klage gegen Sonderkündigung
Bereits im September 2015 sei eine Infoveranstaltung zum Bauprojekt durchgeführt worden, schreibt hingegen Regine Jorzick auf Nachfrage von FINK.HAMBURG. Jorzick leitet die Unternehmenskommunikation der Hamburg Team Gesellschaft für Projektentwicklung, sie spricht im Namen des Paulihauses. An dieser Infoveranstaltung hätte auch der damalige Pächter der Räumlichkeiten teilgenommen. Kurze Zeit später übernahm Guthmann die Räumlichkeiten. „Wir standen in keinem Rechtsverhältnis zu Frau Guthman und wissen nicht, ob und wann sie von ihrer Vermieterin, der Stadt Hamburg in Gestalt der Sprinkenhof GmbH, über das Bauvorhaben informiert wurde“, so Jorzick.
Das sei für den Sachverhalt auch nicht relevant, sagt Lars Vieten, Pressesprecher der Sprinkenhof GmbH: “Denn vertraglich wurde darauf hingewiesen, dass der Vertrag jederzeit kündbar ist.” Ob Guthmann bereits bei Vertragsschluss wusste, dass die Immobilie anderweitig verwertet wird, “können wir nicht beantworten”, schreibt er auf Nachfrage.
Ende 2018 wollte die Sprinkenhof GmbH Gebrauch vom Sonderkündigungsrecht des Mietvertrags machen und das Gebäude bis Mitte 2019 räumen lassen. Gegen diese Sonderkündigung klagte Guthmann anschließend vor Gericht.
Streit ums Paulihaus
Wie anderen Mietparteien sei auch ihr die Integration ihres Restaurants in das Paulihaus angeboten worden, berichtet Guthmann. Die Mietfläche sei jedoch ein Drittel kleiner gewesen als die vorhandenen Räumlichkeiten und ein Umzug wäre frühestens drei Jahre später möglich gewesen. Im Gegensatz zu anderen Mietparteien sei ihr für die Zwischenzeit keine finanziell angemessene Entschädigung angeboten worden, sagt sie. Daher habe sie das Angebot abgelehnt: „Was hätte ich außerdem in der Zwischenzeit machen sollen, ohne finanzielle Entschädigung und einer temporären Ausweichfläche?“
Jorzick bestätigt, dass es Verhandlungen mit Guthmann über eine Integration in das Paulihaus gab. Die angebotene Fläche wäre in der Tat kleiner gewesen. Guthmann hätte darüber hinaus sehr umfangreiche Lagerflächen gehabt, die im selben Umfang nicht hätten gestellt werden können, so Jorzick. „Die Suche nach entsprechenden Lösungen war noch im Gange, als Frau Guthmann aus der gemeinsamen Planung ausstieg.“ Hinsichtlich einer finanziellen Entschädigung sei auch keine Einigung erzielt worden.
Klage gegen die Stadt Hamburg
Sie sei mit einem unguten Bauchgefühl in die Gerichtsverhandlungen gegangen, erinnert sich Guthmann. Ihr Rechtsanwalt betonte, dass Anklagen gegen die Stadt selten zugunsten des Anklägers entschieden werden. Die Restaurantbetreiberin druckte daraufhin vor dem ersten Gerichtstermin Anfang 2019 unzählige Flyer und verteilte sie in ihrer Nachbarschaft: „Fast niemand hat von dem Bauprojekt gewusst. Die meisten Personen haben erst durch meine Flyer erfahren, dass demnächst ein sechsstöckiger Bürokomplex in die Nachbarschaft gesetzt wird“, sagt sie.
Schnell erklärten sich andere Bürgerinitiativen wie die Feldbunker Initiative oder St. Pauli Code Jetzt! solidarisch mit ihr. Zusammen veranstalten sie bis heute Gesprächsrunden und Demonstrationen, um mehr bürgerliche Partizipation bei der Stadtplanung zu erzielen.
Das Maharaja wird geschlossen
Anfang 2020 entschied das Landgericht, dass das festgehaltene Sonderkündigungsrecht zu unkonkret formuliert und dadurch nicht rechtskräftig sei. Die Freude über diese Entscheidung hielt jedoch nicht lange an, denn die Stadt Hamburg legte Berufung ein und gewann im September 2020 vor dem Oberlandesgericht. Demnach war die Stadt zur Sonderkündigung berechtigt.
Guthmann versuchte daraufhin, Räumungsschutz wegen sittenwidriger und sozialer Härte geltend zu machen, weil sie noch keine neuen Räumlichkeiten für ihr Restaurant in Aussicht hatte. Dieser Antrag wurde jedoch vom Amtsgericht abgewiesen. Guthmann beschwerte sich, das Landgericht bestätigte jedoch das Urteil des Amtsgerichts. Bereits einen Tag später, am 30. März 2021, musste Guthmann ihre Schlüssel abgeben.
Für die Übergabe engagierte die Stadt einen privaten Sicherheitsdienst. Die Männer sahen aus wie ein Sondereinsatzkommando (SEK) mit dazugehörigen SEK-Masken. „Ich kam mir vor wie eine Terroristin“, sagt Guthmann. Sie glaubt, dass die Stadt durch die Nähe zur Roten Flora eine Besetzung der Räumlichkeiten befürchtete.
Eine Vermutung, die Lars Vieten bestätigt: Richtig sei, “dass vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit ‚schwierigen‘ Objekten” eine Besetzung zumindest als Szenario in Erwägung gezogen worden sei. Aufgrund dieser Befürchtung sei der Einbruchschutz erhöht worden. Trotz der gerichtlich angeordneten Schlüsselübergabe will Guthmann nicht aufgeben.
Kathrin Guthmann kämpft weiter
Regelmäßig betreten Kund:innen das Restaurant Maharani in der Hallerstraße, um eine Bestellung abzuholen. Sie erklären sich solidarisch mit der Restaurantbesitzerin und wollen ein paar Worte mit ihr über den Neuen Pferdemarkt wechseln. Fast alle Unterhaltungen drehen sich um das Paulihaus, den Gerichtsprozess und das Hamburger Stadtbild.
Guthmanns Engagement hat sich sichtlich bezahlt gemacht. Für sie ist der Kampf jedoch noch nicht vorbei. „Es geht mir schon lange nicht mehr um die Rettung meines Restaurants“, sagt sie. „Sondern darum, dass die Bürger stärker in die Gestaltung unserer Stadt eingebunden werden.“ Dass dies nötig ist, habe ihr diese Erfahrung gezeigt. „Es ist wichtig, sich für seine Anliegen stark zu machen.“
Zusammen mit St. Pauli Code Jetzt! will Guthmann Orte für Toleranz schaffen und erhalten. Was ihr dabei wichtig ist: Dass Kreativität gefördert wird und dass alle auf St. Pauli einen Platz finden, unabhängig von der Größe des eigenen Geldbeutels.
Ihre Mitarbeitenden hat Guthmann mittlerweile in ihren anderen Restaurants untergebracht. Kurz nach der Schlüsselübergabe habe sich die Stadt Hamburg für den Einsatz der Sicherheitsleute entschuldigt, sagt sie.