Stefanie (links) und Irina (rechts) im Tierheim Süderstraße.
Stefanie (links) und Irina (rechts) haben sich über das Tierheim in der Süderstraße kennengelernt. Foto: Caroline Fechner

In der einen Hand das Kind, in der anderen die Transportbox mit den Haustieren. Gemeinsam mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und ihren Eltern floh Irina Podvoiska nach Hamburg. Im Gepäck: fünf Katzen.

Die Süderstraße in Hamburg ist leer und leise. Entfernt hört man Hunde bellen – das Tierheim ist nicht weit weg. Besucher*innen des Tierheims laufen ein und aus, um Hunde auszuführen. Es ist einer der wärmeren Tage in Hamburg, die Hunde hecheln und wälzen sich im frischen Gras. Irina Podvoiska und Stefanie Bauche sitzen im Hof des Tierheims und unterhalten sich, halb auf Deutsch, halb auf Englisch. Irina hat Ekaterina Konyaeva als Dolmetscherin mitgebracht.

Flucht mit Haustieren: “Wir haben es einfach versucht”

Irina ist eine Tierärztin aus Charkiw, einer östlichen Stadt in der Ukraine. Eine Rakete traf am 1. März den Freiheitsplatz im Zentrum von Charkiw. Irina evakuierte sich und ihre Familie schon am ersten Kriegstag. Ein Luftschutzbunker unter ihrer Tierklinik bot ihnen Schutz, während der Beschuss auf ihre Heimatstadt andauerte.

Flüchtlingslager in Przemysl von Innen. Im vorderen Teil des Bildes sind viele Betten zu sehen. Weiter hinten ist eine Menschenmenge zu sehen.
In Przemyśl ruhten sich Irina und ihre Familie das erste Mal seit zwei Wochen Flucht aus. Foto: Privat

Am 2. März floh Irina mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und ihren Eltern. Ihre fünf Katzen habe sie in zwei Transportboxen transportiert, erzählt sie. 16 Stunden dauerte die erste Fahrt nach Khmelnytskyi, eine Stadt im Westen der Ukraine. Von dort aus wollten Irina und ihre Familie weiter nach Lwiw. “Als wir durch gefährliche Gebiete fuhren, schaltete der Fahrer das Licht im Zug aus und wir fuhren in völliger Dunkelheit”, erzählt die 38-Jährige. Lwiw ist circa 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Dort mussten sie am Bahnhof übernachten: “Wir schliefen abwechselnd auf den Taschen, zugedeckt mit einer Decke. Die Katzen wärmten sich gegenseitig.”

Irynas Katzen liegen zusammengekuschelt in einem selbst abgesperrten Bereich im Flüchtlingslager in Przemysl. Eine Transportbox, ein Katzenklo und die Trink- und Essschalen liegen auch in dem Bereich.
Irina baute einen kleinen abgesperrten Bereich für ihre Katzen in einer Unterkunft in Przemyśl. Foto: Privat

Über die Grenze nach Polen fuhr kein Bus, sie mussten zu Fuß weiter. Mit Kindern, Haustieren und Taschen in den Händen liefen sie und ihre Familie zwei Kilometer bis zur Grenze. In einer Unterkunft für Geflüchtete in der süd-östlichen Stadt Przemyśl in Polen konnten sich Irina und ihre Familie das erste Mal seit zwei Wochen ausruhen, berichtet sie.

Wie haben sie und ihre Familie die Flucht überstanden? Sie zitiert ein russisches Sprichwort: “Die Augen haben Angst, aber die Hände machen einfach.” Sie hätten, sagt sie, gar nicht überlegt, sondern einfach angepackt und es versucht.

Viele Hürden bei der Flucht mit Haustieren

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine macht sich auch in Hamburg bemerkbar. FINK.HAMBURG hat dazu in der Serie „Ukraine in Hamburg“ Reportagen und Porträts von Betroffenen zusammengestellt. In der Schule und im Ballett, unterwegs mit einer geflüchteten Influencerin und einem Tennisprofi aus Kiew – FINK.HAMBURG zeigt unterschiedliche Herausforderungen und Perspektiven, die mit dem Krieg zusammenhängen.

In Hamburg angekommen, mussten Irina und ihre Familie sich am Ankunftszentrum in Rahlstedt von ihren Tieren verabschieden. “Ich dachte, ich bekomme einen Herzinfarkt”, sagt sie. Denn in ukrainischen Tierheimen werden viele Tiere eingeschläfert, berichtet Irina, die selbst in einem Tierheim in der Ukraine gearbeitet hat. Daher sorgte sie sich sehr, als sie ihre Katzen abgeben musste. So wie ihr, sagt sie, gehe es auch anderen ukrainischen Geflüchteten. Ekaterina berichtet, dass sie auf dem Weg zu ihrer Arbeit an der Erstaufnahme vorbeifährt. Man könne dort jeden Tag sehen, wie Ukrainer*innen ihr Haustier fest im Arm halten und nicht abgeben wollen.

Für ukrainische Geflüchtete mit Haustieren gibt es Sonderregeln: Ukrainer*innen dürfen ohne die sonst notwendigen Papiere für ihre Haustiere einreisen. Nach der Einreise nach Deutschland müssen sich die Besitzer*innen der Haustiere bei der lokalen Veterinärbehörde melden. Ob Impfungen oder eine Isolation der Tiere nötig sind, wird für jedes Tier einzeln beschlossen, schreiben die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Die Tiere werden vor allem auf Tollwut untersucht, da diese immer noch tödlich für den Menschen sein kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass ukrainische Hunde oder Katzen Tollwut haben wird jedoch als gering eingestuft.

Die neuen Regeln für ukrainische Geflüchtete erleichtern die Bürokratie der Einreise, emotional wird es aber trotzdem. Denn auch nach der erfolgreichen Anmeldung können die Besitzer*innen und die Tiere nicht immer zusammen sein. Haustiere sind in den Unterkünften für Geflüchtete aus hygienischen Gründen nicht erlaubt. Sie dürfen erst wieder bei ihren Besitzer*innen untergebracht werden, wenn diese eine feste Bleibe finden. Die Suche nach einer Wohnung, in der Tiere erlaubt sind, gestaltet sich aber oft schwer. So entstehen, trotz erfolgreicher Flucht, weitere Belastungen im vermeintlich sicheren Hafen Hamburg, für die Menschen und ihre lieb gewonnenen Haustiere.

Tierschützerin hilft Tierschützerin

Stefanie Bauche, Vorstandsmitglied des Hamburger Tierschutzvereins, besitzt ein leerstehendes Haus in Rahlstedt. Auf offiziellen Vermittlungswebseiten suchte sie nach Ukrainer*innen, die in ihr Haus einziehen wollen, vergebens. Bei ihrer Arbeit im Hamburger Tierschutzverein hörte sie, dass eine Familie fünf Katzen in nur einer Transportbox über die Grenze getragen hätte.

Fünf Katzen in einer einzigen Transportbox? Stefanie Bauche wunderte sich, wie das überhaupt möglich sein soll. Sie recherchierte, was wirklich passiert war und welche Familie zu diesen fünf Katzen gehört. So lernte Stefanie Irina und ihre Familie kennen, die ihre Katzen allerdings nicht in nur einer, sondern in zwei großen Transportboxen nach Hamburg gebracht hatten.

Damit Irina und ihre Familie sich nicht von ihren Tieren trennen müssen, bot Stefanie ihnen an, in ihrem leerstehenden Haus in Rahlstedt unterzukommen. Die aktuelle Haustierregelung für Geflüchtete geht Stefanie nahe: “Das ist schlimm, dass sie getrennt werden müssen, wenn sie hierher kommen. Nach diesem ganzen furchtbaren Weg.” Nur wenige Vermieter*innen in Hamburg würden es erlauben, Haustiere in der Wohnung zu halten, sagt Stefanie.

“Wir wägen immer ab, was wichtiger ist: der Mensch oder das Tier”, sagt sie. Natürlich sei es auch ihr Wunsch, dass den Ukrainer*innen geholfen wird. Bedrückend findet sie jedoch die Vorstellung, dass die zurückgelassenen Tiere sich nicht selbst helfen können. Und auch die deutsche Bürokratie könnte, ist Stefanie überzeugt, die Einreise und den Aufenthalt von Tieren einfacher gestalten. “Allein schon diese ganze Flucht ist ja traumatisch”, ihr ist die Trauer und Frust im Gesicht anzusehen „und dann werden Mensch und Tier, wenn sie endlich in Sicherheit sind, doch wieder getrennt”. Sie appelliert, dass die Haustierregelungen für Geflüchtete in Deutschland langfristig geändert werden müssen. Und zwar so, dass Geflüchtete durchgehend mit ihren Tieren zusammenbleiben können. Das erspare zusätzliches Leid – für den Menschen sowie für das Tier.

Weiter im Einsatz für die Tiere

Trotz erster Hürden: Die Ankunft und den Empfang in Hamburg beschreibt Irina als positive Überraschung. Die Hilfsbereitschaft der Menschen hätte sie nicht erwartet: “Wie die Leute hier zu den Geflüchteteten und den Tieren waren. Und Stefanie, wie sie uns aufgenommen hat und wie viele Liebe und Verständnis sie gezeigt hat.” Auch der Umgang mit den Tieren in den Tierheimen hat Irina beeindruckt. Die Organisation der deutschen Tierheime und auch die Liebe, die den Tieren dort entgegengebracht werde, mit den ukrainischen Tierheimen sei all das nicht vergleichbar.

Über ihre Zukunft denkt sie optimistisch: “Egal wie es kommt, ich versuche etwas zu lernen, damit ich mich weiterentwickeln kann.” Sie habe in der Ukraine schon immer viele Projekte im Tierschutz gehabt, das möchte sie auch in Hamburg weiterführen. Schon einen halben Monat nach ihrer Ankunft in Deutschland, fuhr sie an die polnische Grenze, um weitere ukrainische Tiere zu retten und weiterzuvermitteln.