Der erste Mai in Hamburg blieb ungewöhnlich friedlich. Wer sich jedoch die Demonstrationen genau ansah, konnte ahnen: Bei G20 könnte etliches schiefgehen.
Am 7. und 8. Juli 2017 findet in Hamburg der G20-Gipfel statt. Erwartet werden die größten Wirtschaftsmächte der Welt und Tausende Demonstranten. FINK.HAMBURG hat die wichtigsten Fakten, News und Hintergründe zum G20-Treffen auf einer Themenseite zusammengefasst.
Tag der Arbeit, 10.15 Uhr. Es stehen ungefähr 500 Leute an der Ecke Graskeller-Rödingsmarkt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund lädt zur Demonstration unter dem Titel: „1. Mai – Tag der Arbeit – Wir sind viele! Wir sind eins!“. Viele Teilnehmer werden es an diesem sonnigen Montag noch werden – laut Polizei 7000. Wie es mit der Einigkeit aussieht, ist allerdings fraglich.
Zu diesem Zeitpunkt sind größtenteils Gewerkschafter, Auszubildende und Menschen aus Nahost vor Ort: Kurden, Türken und Iraner, letztere mit Flaggen der Arbeiterkommunistischen Partei. Dazwischen eine gemischte Gruppe mit Antifa-Flaggen. Überall gibt es kostenlose Zeitungen und Flugblätter. Sie thematisieren Trump, die AfD, Thor Steinar, G20. Dabei soll es am Tag der Arbeit doch eigentlich um Leiharbeit und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gehen.
Der Bruch der Linksradikalen mit den Gewerkschaften
Noch ist es still, lediglich die Marching-Band der Gewerkschafter spielt sich warm. Nach etwa 45 Minuten setzen sich die Kleinlaster in Bewegung, von denen die Demonstranten abwechselnd von Musik und Redebeiträgen beschallt werden. Hinter einem der Wagen läuft die Gruppe mit den Antifa-Flaggen. Nach einigen hundert Metern wird der erste Bengalo gezündet. Auf der Pritsche fahren eine Aktivistin und ein Aktivist mit, die selber Texte vorlesen oder Redebeiträge einspielen, wenn die Musik stoppt. Zuerst geht es noch um Arbeiter, dann um G20, und nach der Soli-Aktion für die Genossen in Rojava, einem autonomen Kurdengebiet im Norden Syriens, wird für die anschließende Demo in der Schanze geworben. Gewerkschaftsführer werden als opportunistische Handlanger des Kapitals und “Bratwurstdemonstranten” beschimpft.
Am Fischmarkt teilt sich die Menge. Die autonome Gruppe zieht mit den internationalen Demonstranten weiter, während sich die Gewerkschafter eine Treppenstufe tiefer erst an den Bratwurstständen und dann vor der Bühne tummeln. Dort hält die gelernte Industriekauffrau Katja Karger, DGB-Landesvorsitzende, eine Rede. Erst spricht sie vom Mindestlohn als „großer Erfolgsgeschichte“, dann wettert sie gegen Leiharbeit. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist anwesend. Nach der Kundgebung löst sich die Menge recht schnell auf. Die Polizei spricht von 500 Personen am Ort der Schlusskundgebung.
Harmonische Revolutionäre
Im Schanzenviertel kommen kurze Zeit später hinter der Roten Flora und am Schanzenpark vereinzelt Demonstranten an, um sich auszuruhen. Einige haben Schnittchen geschmiert und Wasserflaschen eingepackt, andere sitzen dort mit Bier und Döner.
Der Großteil hat sich jedoch dem bunten Zug angeschlossen, der ungefähr um 17:15 Uhr an der Roten Flora vorbeizieht. Unter dem Motto „Alles Allen!“ rollt im Schritttempo ein Kleinlaster mit lautem Techno und zwei DJs auf der Ladefläche die Susannenstraße hinunter. Die Stimmung ist ausgelassen, kaum mit einer Demo zu vergleichen, und schon gar nicht mit den Krawallen, die die Polizei nach einem Bericht der „Hamburger Morgenpost“ erwartet hatte. Ladenbesitzer und Touristen zücken die Handys, um die unbeschwerte Tanztruppe zu filmen. Der Großteil der Zuschauer begrüßt das Spektakel mit einem wohlwollenden Lächeln, ein paar reihen sich ein. Vor der S-Bahn-Station bleibt der Zug stehen, noch gut zwanzig Minuten läuft die Musik weiter.
Innerhalb dieser zwanzig Minuten sammeln sich dort kleine Kinder mit Gehörschutz, Hippies, Punks, Hipster und die Revolutionäre aus Nahost, die vorher auch auf der DGB-Demo waren. Dann geht die Musik aus. Nachdem das Banner mit der Aufschrift „Lieber tanz ich als G20“ abgehängt wurde, sagt der Sprecher: „Jetzt ist hier Schluss mit lustig“.
20 Minuten später zieht der Konvoi weiter, jetzt unter einem neuen Motto: „Krieg und Krise haben System – G20 entern, Kapitalismus versenken! Heraus zum revolutionären 1. Mai!“.
Linke üben Contenance
Jetzt steht der Schwarze Block ganz vorne – am Straßenrand hinter den Zuschauern lange Reihen von Polizisten. Zu Beginn der Demo sollen laut Polizei 1300 Personen anwesend gewesen sein, zu denen sich bis zur Schlusskundgebung 1200 weitere gesellten. 2100 Polizisten seien den Tag über im Einsatz gewesen, teilt die Polizei mit.
Trotzdem liegt der Geruch von Marihuana in der Luft – selbst, nachdem der Sprecher die Demonstranten ermahnt, ihre Joints wegzuwerfen, „um Stress zu vermeiden“.
Aus allen Richtungen wird “Hoch die internationale Solidarität” skandiert. Türken und Kurden, Serben, Iraner und Kasachen laufen Schulter an Schulter und singen mit. Zwischendrin einige Vermummte. Männer gehen Hand in Hand, Frauen küssen einander. Unterwegs werden kurdische Lieder für Rojava gespielt. Die Landsmänner sind sichtlich gerührt und heben ihre Handys, um die Menge zu filmen. Wenn es unter einer Brücke durchgeht, hört man oft den alten APO-Gesang: „Bürger lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein“. Einige tun das tatsächlich.
Auf Bannern, auf Flyern und durch die große Zahl an Bündnissen und Protestaktionen wird deutlich: Viele, sehr unterschiedliche Menschen in Hamburg haben ein Problem mit dem Gipfel. Jedes Mal, wenn der Sprecher über den „Scheiß G20-Gipfel“ herzieht, klatscht die Menge beinahe ausnahmslos. Das scheint alle zu vereinen, egal woher und wie alt.
Was passiert, wenn Krawall ausbricht?
Wasserwerfer, meterlange Polizeikolonnen und gepanzerte Räumungsfahrzeuge säumen jetzt die Straßen und bestimmen die Demonstrationsroute. Das eine oder andere ACAB („All Cops Are Bastards“) hallt über die Köpfe hinweg. Ein 28-Jähriger, der aufgrund eines Überfalls im Gefängnis saß und jetzt in Nachtschichten Müsliriegel verpackt, erklärt auf Nachfrage, dass er die Polizei hasse. Sie sei da, „um die da oben zu schützen, aber uns hier unten zu treten“. Er hebt Steine auf, die er jedoch bis zum Ende der offiziellen Demo nicht wirft. Aber was, wenn jetzt Steine oder Flaschen fliegen würde?
Was, wenn sich unter die 150.000 bunt zusammengewürfelten Demonstranten, die zum Gipfel im Juli erwartet werden 8000 gewaltbereite Radikale mischen?
Noch vor einem Monat wurde mit 4000 Gewaltbereiten gerechnet. Es ist nicht abzusehen, wie stark die Zahl noch ansteigen wird. Die Demonstrationen am 1. Mai zeigen, wie schwer die Situation für die Polizei zu handhaben sein wird. Es werden viele Menschen demonstrieren, die zwar gegen den Gipfel, aber ebenso gegen Gewalt sind.
Der G8-Gipfel in Genua 2001 hat exemplarisch gezeigt, welche Gefahr Großveranstaltungen wie diese bergen. 126 Festnahmen und 500 Verletzte gab es dort, der Demonstrant Carlo Giuliani wurde erschossen. Der damalige Polizeichef der Stadt wehrte sich gegen die Vorwürfe übertriebener Polizeigewalt gegen Unbeteiligte mit dem Argument, dass sich gewaltbereite Demonstranten unter die Menge gemischt hätten. Es gibt jedoch Hinweise auf vielfältiges Versagen der Polizei beim Gipfel in Genua.
Es wird den Organisatoren friedlicher Protestzüge ebenso wie der Polizei viel abverlangen, dafür zu sorgen, dass im Juli in Hamburg eine Katastrophe wie in Genua ausbleibt. Großflächige Demonstrationsverbote, wie sie sich Hamburgs Polizei wünscht, würden in deutschen Städten kaum akzeptiert. “Es bliebe (…) nicht mehr viel übrig, das wert wäre, geschützt zu werden, wenn die Polizei aus Gründen vorbeugender Gefahrenabwehr dazu überginge, Grundrechte der Bürger außer Kraft zu setzen”, kommentierte Frank Drieschner kürzlich in der “Zeit”.
Alles geht gut aus – diesmal
Die Demonstration zum 1. Mai endet am Jungfernstieg. Dort bedankt sich der Sprecher dafür, dass alles friedlich geblieben ist, hofft aber, dass es bei G20 mehr „Rambazamba“ geben werde. Ein Ordner erklärt, man sei froh, überhaupt ohne Ausschreitungen am Jungfernstieg angekommen zu sein. In der Bahn nach Hause fragen sich einige Demonstranten, ob es wohl „mehr Action“ geben werde, nachdem sie gegangen sind.
Am Abend in der Schanze gibt es dann doch noch Randale, aber weit weniger heftig, als man das in Hamburg aus den vergangen Jahren gewohnt ist. Es gibt sechs Verletzte, während es im Vorjahr 44 waren. Aber all das war nur ein Testlauf. Für Polizei und Radikale gleichermaßen.